Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kretschmanns Buch über Arendt: Hannah und ich​
> Winfried Kretschmann hat ein Buch über Hannah Arendt geschrieben. Und
> feiert sich und das Buch mit dem anderen Parteiphilosophen, Robert
> Habeck.
Bild: Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, …
Stuttgart/taz | Vielleicht kann man Politiker ganz grob so einteilen: In
jene, die Politik auf Grundlage von mehr oder weniger tieferen
Überzeugungen gestalten, und in jene, die sie aus dem Bauch heraus machen –
der oft von üppigen Fleischmahlzeiten gespeist ist, die dann auf Instagram
ausgestellt werden.
[1][Winfried Kretschmann] gehört zweifellos zur ersten Kategorie. Sein
präsidialer aber bodenständiger Regierungsstil wird von vielen Wählern
geschätzt, Opposition und die eigene Partei sind davon bisweilen genervt.
Auch Journalisten waren bisweilen genervt, wenn sie auf konkrete Fragen
philosophische Sentenzen von ihm zur Antwort erhielten. Aber als erster und
einziger Grüner Regierungschef in Deutschland hat er den Südwesten immerhin
fast 15 Jahre, länger als jeder andere, seriös regiert. Und das ist in
diesen Zeiten ja schon eine ganze Menge.
Jetzt, kurz vor dem Ende seiner Regierungszeit, hat Kretschmann ein Buch
vorgelegt, in dem er sein politisches Denken erklärt. „Der Sinn von Politik
ist Freiheit“ heißt es, und „Warum [2][Hannah Arendt] uns Zuversicht in
schwieriger Zeit gibt“. Ein bisschen spät, denkt man sich. In der ersten
Hälfte seiner Amtszeit hätte ein solches Buch eine Art politisches Programm
sein können. Jetzt ist es eher ein Vermächtnis.
Wer schon ein paar Kretschmann-Reden gehört hat, der kennt seine
Begeisterung für die jüdische Philosophin und Heidegger-Schülerin, die vor
den Nazis fliehen musste, während ihr Lehrer im Hitler-System Karriere
machte. Und so trifft man im Buch alte von Arendts Philosophie abgeleitete
Bekannte wieder: Dass „Politik keinen Spaß, sondern Sinn macht“, zum
Beispiel, oder auch sein Kredo, dass zivilisierter Streit die Menschen
zusammenhält und unzivilisierter sie auseinandertreibt.
## Mit Arendt gegen den inneren Mao
Trotzdem ist es ein ungewöhnliches Politikerbuch geworden: 136 Seiten über
eine Philosophin zu schreiben und daraus seine Politik abzuleiten, das hat
bisher nicht mal der andere philosophierende Grüne gewagt: [3][Robert
Habeck]. Der – „das ist eine Ehrensache“ – nach Stuttgart gereist ist, …
gut gelaunt Kretschmanns Schrift vorzustellen.
An diesem Abend vor vollen Rängen beweist der frühere Schriftsteller
Habeck, dass er mindestens so gut im Stoff ist wie der 77-jährige
Jung-Autor, der es schon in der ersten Woche auf die
Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Der frühere Vizekanzler erklärt mal
eben allgemeinverständlich Grundbegriffe der Phänomenologie Martin
Heideggers. Er beschreibt Arendts Begriff von Macht, die einem einzelnen
nur von einer Gemeinschaft verliehen und von dieser auch genommen werden
könne, als „ Befreiungsschlag für die Linke“. Arendt habe Skeptikern jeder
Autorität einen positiven Begriff von Macht gegeben, mit dem sich Politik
machen ließe. Kretschmann stimmt zu. In seinem Buch beschreibt er, wie ihn
Hannah Arendt vor dem Extremismus gerettet hat. Als maoistisch geprägter
Student habe ihn ein Satz Arendts direkter getroffen als alle anderen: „Was
niemals aus den Gewehrläufen kommt, ist Macht.“ Denn Gewalt und Macht sind
für Arendt Gegensätze.
In den besseren Momenten wirkt der Dialog im Stuttgarter Hospizhof wie ein
kurz aufflackerndes Streichholzlicht in dunklen politischen Zeiten. Ein
Dialog allerdings zwischen zwei Politikern, von denen der eine bald aus dem
Amt scheidet und der andere mit seinem Politikstil vorläufig gescheitert
ist.
Vielleicht auch deshalb bleiben die tieferen Einsichten in das Wesen von
Politik, Macht und Hoffnung dann doch seltsam abgekoppelt vom politischen
Alltag, den beide Gesprächspartner ja bestens kennen. Kretschmann gerät ins
Stocken, als taz-Chefreporter Peter Unfried, der den Abend moderiert,
wissen will, was denn nun im Sinne Hannah Arendts die Idee der Regierungen
Kretschmann gewesen sei, hinter der sich die Menschen bei drei Wahlen
versammelt hätten. Als der Grüne dann im zweiten Anlauf sagt, „die Natur in
den Mittelpunkt zu stellen“, kommt einem unwillkürlich die maue Bilanz
Baden-Württembergs beim Klimaschutz in den Sinn. Und so schleicht sich beim
Beobachter der Verdacht ein, dass Kretschmann im politischen Alltag doch
der Stückwerk-Theorie eines Karl Poppers näher ist als den Visionen Hannah
Arendts.
28 Sep 2025
## LINKS
[1] /Winfried-Kretschmann/!t5010944
[2] /Hannah-Arendt/!t5043159
[3] /Robert-Habeck/!t5007736
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Winfried Kretschmann
Robert Habeck
Hannah Arendt
GNS
Robert Habeck
Dienstwagen
Bündnis 90/Die Grünen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Robert Habeck tritt ab: „Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure lauf…
Ex-Vizekanzler Habeck verlässt den Bundestag. Die Grünen hätten ihre neue
Rolle nun gefunden, sagt er der taz. Und dann gibt er Julia Klöckner noch
eins mit.
Dienstwagen in der Politik: Kretschmer, fahr doch Phaeton!
Markus Söder fährt Spritschleuder, Winfried Kretschmann ein E-Auto – die
Klischees stimmen. Dabei bieten Dienstwagen viel Raum für Kreativität.
Winfried Kretschmann über Grünen-Kurs: „Was ist jetzt bitte an der Linken p…
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hört 2026 auf.
Ein Gespräch über die politische Konkurrenz, das Klima – und seine
Nachfolge.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.