| # taz.de -- Die Angst von Jüdinnen und Juden: „Fühle mich in meiner eigenen… | |
| > Der 7. Oktober 2023 hat das Leben vieler Jüdinnen und Juden in Berlin | |
| > nachhaltig verändert. Zwei junge Menschen erzählen von Anfeindungen im | |
| > Alltag. | |
| Bild: Solidarität mit Jüdinnen:Juden ist klein, aber es gibt sie, etwa die w�… | |
| „Jüdisch zu sein war für mich schon immer etwas, das ich nicht offen | |
| gezeigt habe. Auf dem Fußballplatz war als Kind „Jude“ unter Arabern ein | |
| Schimpfwort. Dadurch lernte ich früh, dass man es in bestimmten Situation | |
| besser nicht sagt. Auch zu Hause wurde mir mitgegeben, damit vorsichtig zu | |
| sein. Bis zum 7. Oktober 2023 hatte ich dennoch einen gewissen Stolz | |
| darauf, meine Identität zu teilen. Seitdem gehe ich wieder sehr vorsichtig | |
| damit um, wem und wie ich es sage. | |
| Ich erlebe auf der Straße, im Stadion, in Bars und in den Sozialen Medien | |
| Anfeindungen: Holocaust-Vergleiche, antisemitische Parolen, Uber-Fahrer, | |
| die einem erzählen, dass alles Böse auf der Welt auf den Zionismus | |
| zurückzuführen sei, Ausgrenzung von Freund*innen, weil man der IDF auf | |
| Instagram folgt – obwohl man Familie in Israel hat, die vom Krieg betroffen | |
| ist. Als Juden und Jüdinnen sind wir Angriffen von rechts, von links und | |
| aus Teilen der arabischen Welt ausgesetzt. Die gesellschaftliche Mitte | |
| bleibt auffallend leise. Dieses Schweigen wirkt auf mich schwer und | |
| isolierend. | |
| Nach dem 7. Oktober hat mich nicht nur der Terror selbst schockiert, | |
| sondern auch, wie still die Solidarität mit Israel in Berlin blieb und wie | |
| laut und präsent gleichzeitig propalästinensische Parolen waren. Demos aus | |
| dem jüdischen Leben waren klein und zögerlich, während auf der anderen | |
| Seite Massen auf der Straße standen. Diese Asymmetrie wirkt einschüchternd. | |
| In meinem Kiez sehe ich Kufiyas und „Free Palestine“-Graffiti – das ist an | |
| sich nichts Schlechtes. Aber an der nächsten Ecke steht „Intifada“ oder | |
| eine rote Hand. Solche Symbole tragen eine historische und gewaltvolle | |
| Bedeutung, die vielen offenbar nicht bewusst ist. Wenn Menschen auf den | |
| Straßen offen den 7. Oktober verherrlichen, fühle ich mich in meiner | |
| eigenen Heimat gejagt. | |
| ## Isoliert und taub | |
| Das erinnert mich an Tendenzen der 1930er Jahre. Wir sind in Europa an | |
| einem Punkt angelangt, an dem sich jüdische Jugendliche in Paris, Berlin, | |
| London nicht mehr wohlfühlen – so weit, dass sie nach Israel ziehen. In ein | |
| Land in dem Krieg herrscht, wo Sirenen und Bunker Alltag sind. Ich bin noch | |
| nicht so weit. | |
| Ich habe Schwierigkeiten mit der israelischen Politik, und ich sehe, dass | |
| diese Debatten in der jüdischen Gemeinde und in Israel selbst sehr kritisch | |
| und differenziert geführt werden. Aber außerhalb Israels – in Deutschland, | |
| auf den Straßen Berlins – fühle ich mich zunehmend isoliert und taub. | |
| Ich habe oft mit Bekannten aus der arabischen Welt diskutiert: | |
| Iraner*innen, Ägypter*innen, Libanesen*innen, Palästinenser*innen. Aber | |
| inzwischen fehlt mir die Energie dafür. Die Gespräche folgen oft denselben | |
| Mustern, Argumentationen und Konfrontationen. Und doch gehören zu jedem | |
| Konflikt zwei Seiten, das sehe ich nach wie vor. Nur scheint allein die | |
| Definitionsfrage von Begrifflichkeiten wie Zionsimus bereits den Rahmen der | |
| Diskussion zu sprengen. Erschreckend ähnlich verhält es sich in der Debatte | |
| mit links. | |
| Was mir fehlt, ist eine kritischere Stimme aus der arabischen Welt selbst: | |
| klare Positionen gegen Hamas, Iran, Hisbollah, oder die Huthis. Ich selbst | |
| habe auch Kritik an Israel. Oft spreche ich sie zuerst aus, um meinen | |
| Gesprächspartner*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber sich | |
| als jüdischer Mensch ständig für das Vorgehen Israels rechtfertigen zu | |
| müssen, fühlt sich erdrückend an. Und Empathie oder Verständnis mit den | |
| Bürgern Israels oder jüdischen Menschen in der Welt ist kaum vorzufinden. | |
| ## Auch mal leise sein | |
| Online versuche ich, Auseinandersetzungen zu vermeiden. Aber wenn Menschen | |
| aus meinem nahen Umfeld verletzende Inhalte posten, kann ich nicht | |
| schweigen – sonst würde ich meine eigene Existenz und Identität verleugnen. | |
| Trotzdem schweige ich in 90 Prozent der Fälle, um meinen Alltag bewältigen | |
| zu können. Einige wenige jüdische Freund*innen lassen sich zum Teil sogar | |
| in propalästinensische Positionen drängen, nur um weiter am | |
| gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. | |
| Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft eine ausgewogenere Debatte | |
| führen. Dass wir reden, Fragen stellen, versuchen, einander zu verstehen – | |
| und auch einfach mal leise sind, wenn wir zu einem Thema nicht genug | |
| wissen. Aber gerade wird die Debatte angetrieben und geprägt von Extremen, | |
| die laut schreien, ohne Inhalt, ohne Perspektive, ohne Lösungsansätze, ohne | |
| Debatte, ohne Differenzierung. | |
| Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass damit auch den | |
| Palästinenser*innen nicht geholfen wird. Ganz im Gegenteil, dieser | |
| Keil treibt uns weiter auseinander als je zuvor. Differenzierte Haltung ist | |
| kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Sensibilität. Nur so | |
| können wir verhindern, dass Menschen in Extreme abgleiten und ein Klima der | |
| Angst und Isolation entsteht.“ | |
| Noah Schwarz*, 26 Jahre | |
| „Die Tatsache, dass ich das Protokoll anonym veröffentlichen will, spricht | |
| schon Bände. Ich bin Mitte 20, Musikproduzent und arbeite dementsprechend | |
| international in der Kunstindustrie. Ich habe jetzt nie groß mein | |
| Jüdischsein in der Musikbranche preisgegeben, aber Hin und wieder habe ich | |
| das mal getan. Aber seit dem 7. Oktober ist das für mich absolut überhaupt | |
| keine Option mehr. Weil ich weiß, dass, wenn ich den Leuten einfach offen | |
| zeigen würde, dass ich jüdisch bin, dass ich dadurch meine Karriere | |
| potenziell stark gefährden würde. | |
| Ein Produzent aus Los Angeles, den ich persönlich kenne, hat in seinem | |
| Instagram-Status gepostet: „The only people I openly discriminate are | |
| Zionists“. Das war seine Aussage. Als ich das gelesen habe, hat das in mir | |
| so eine Wut und Trauer ausgelöst. Gleichzeitig bestätigt das für mich: Ich | |
| darf nicht öffentlich zeigen, dass ich jüdisch bin. | |
| Wie hat man den Antisemitismus heutzutage wieder salonfähig gemacht? Man | |
| hat einfach das Wort Jude mit Zionist ausgetauscht und damit ist jedes | |
| Tabu, was man davor hatte, über Juden zu sprechen, weggefallen, weil man | |
| einfach den Dingen andere Namen gegeben hat. | |
| Im Endeffekt heißt Zionismus nichts anderes als das Streben nach einem | |
| jüdischen Staat im Homeland Israel, wo die Juden ursprünglich herkommen. | |
| Ein Großteil meiner Familie wohnt in Israel. Sie sind in den 1970er Jahren | |
| aus der Sowjetunion ausgewandert. Ich spreche auch selbst Hebräisch und | |
| identifiziere mich stark mit Israel. | |
| ## Extrem unsicher in Berlin | |
| Seit dem 7. Oktober hat sich dieses Zugehörigkeitsgefühl noch mal | |
| verstärkt. Das habe ich bei vielen jüdischen Freunden und Bekannten | |
| gesehen, dass sich ihre Beziehung zu Israel verstärkt hat. Das war nicht | |
| immer so, aber die Leute haben eben verstanden, dass wenn es um Israel | |
| geht, es auch um Juden geht, und dass ironischerweise Israel der einzige | |
| Ort sein wird, wo wir uns sicher fühlen können. | |
| Bei mir ist das tatsächlich so. Ich fühle mich extrem unsicher in Berlin. | |
| Und wenn ich oftmals mit meinen Freunden und anderen Juden darüber spreche, | |
| dann ist der Nenner, auf den wir alle kommen: Wir können hier nicht mehr | |
| lange bleiben in Deutschland. | |
| Wenn ich an der Sonnenallee entlanglaufe auf dem Weg zum Fitnessstudio, | |
| höre ich oft „Yahudi“, das arabische Wort für Jude. Dann, denke ich oft: | |
| Auweia, wenn die Leute wüssten, dass hier gerade ein jüdischer junger Mann | |
| alleine durch ihre Straße läuft, was wird denn mit mir passieren? | |
| Ich denke, dass keiner leugnen kann, dass das, was in Gaza passiert, | |
| schlimm ist und dass da auch unschuldige Menschen tagtäglich Leid erfahren. | |
| Was ich jedoch glaube, ist, dass die meisten Demos eher weniger | |
| pro-palästinensische Demos sind, sondern mehr anti-israelische Demos. Denn | |
| in keiner Demonstration wird die Hamas verurteilt und verantwortlich | |
| gemacht für das, was gerade im Gazastreifen passiert. Und der 7. Oktober | |
| kein einziges Mal erwähnt.“ | |
| Simon Cohen*, Mitte 20 | |
| *Name geändert | |
| 6 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
| Jonas Wahmkow | |
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