Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verkehrswende: Roter Streifen, grüner Schmerz
> Aachen und Bonn wählen ihre Grünen Oberbürgermeisterinnen ab – vor allem
> wegen deren Verkehrspolitik. Hätten andere Strategien überzeugt?
Bild: Es muss nicht kompliziert sein, Menschen von grüner Mobilität zu überz…
taz | In Bonn war es ein Fahrradweg in der Innenstadt. In Aachen spaltete
die Umsetzung des Radentscheids. In beiden Städten hat die grüne
Verkehrspolitik, Kampagnenziel der CDU, den Wahlkampf vor den
nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen bestimmt. In beiden Städten haben
die amtierenden Oberbürgermeisterinnen letztes Wochenende die Stichwahl
gegen ihre christdemokratischen Konkurrenten verloren.
Sibylle Keupen (parteilos, nominiert von den Grünen) errang in Aachen 44
Prozent der Stimmen, während ihr CDU-Rivale Michael Ziemons mit 56 Prozent
zum neuen Oberbürgermeister gewählt wurde. Katja Dörner (Grüne) unterlag
ihrem Konkurrenten Guido Déus (CDU) mit 46 zu 54 Prozent. Fast scheint es,
als lasse sich mit einer Verkehrswende keine Wahl gewinnen.
Doch, sehr wohl, heißt es aus der grünen Bundespartei auf Anfrage der taz –
gerade weil Mobilität so nah am Alltag der Menschen sei. Der grüne
Verkehrssenator in Hamburg, Anjes Tjarks, habe zum Beispiel ein kostenloses
ÖPNV-Ticket für Schüler*innen eingeführt, Radwege ausgebaut – und sich
so nach der dortigen Bürgerschaftswahl Anfang 2025 eine weitere Amtszeit
gesichert.
Insgesamt waren die Ergebnisse der Grünen bei den Kommunalwahlen in NRW
durchwachsen. In der ersten Runde verloren sie im Vergleich zu 2020 – ihren
absoluten Hochzeiten – 6,5 Prozentpunkte. Besonders schlecht schnitten sie
im strukturschwachen Ruhrgebiet ab. In der zweiten Runde am vergangenen
Sonntag unterlagen ihre Kandidat*innen in den meisten Stichwahlen.
In der Partei bemüht man sich trotzdem, das Positive zu sehen. Der
Bundesvorsitzende Felix Banaszak betonte am Tag nach der Wahl [1][zunächst
das „phänomenale Ergebnis in Münster“], wo mit Tilman Fuchs erstmals ein
grüner Oberbürgermeister gewählt wurde. Auch in einer Handvoll kleinerer
Kommunen ziehen Grüne in die Rathäuser ein. Im Vergleich zur Bundestagswahl
im Februar legte die Partei landesweit leicht zu. In Aachen und Bonn aber,
das redet auch Banaszak nicht schön, „schmerzt“ das Ergebnis die Grünen.
Im bisher grün-rot regierten Aachen war die Verkehrsplanung der große
Aufreger – obwohl Oberbürgermeisterin Keupen immer wieder auf Dialog
gesetzt, alle Maßnahmen mantrahaft erklärt hatte. Über jedes kleine Stück
Radweg wurde hier debattiert, über jede der wenigen Autodurchfahrtssperren
und jedes Abbiegeverbot. Nur setzte das stets eine Kaskade in Gang:
Unmöglich, unzumutbar, hieß es, jetzt das auch noch, alles nur für die
Radlobby – und vor allem gegen die Autos.
Empörte Leserbriefe [2][voll sachfremden Unfugs waren in der Aachener
Zeitung (AZ)] zu lesen: Die City sei nicht mehr per Auto erreichbar, Alte
kämen nicht mehr zum Arzt, Pflegedienste und Handwerker nicht mehr zu den
Kund*innen. Oberbürgermeisterin Keupen und ihre vermeintlich verlogenen
linksgrünen Fahrradideologen wurden zum Feindbild.
Die AZ sekundierte mit immer neuen Texten wider die Verkehrswende, über die
gegängelten Autofahrer*innen, über vermeintlich horrende Preise für
„Luxuspoller“ an Radwegen. Vier Tage vor der Stichwahl, am 24. September,
kam noch ein großer Aufregertext: Die Fahrerin der OB – diese sei mit ihr
im Dienstwagen gewesen – wollte einmal versehentlich unerlaubt abbiegen und
wurde von einer Polizeikontrolle belehrt.
„Die erste Bürgerin der Stadt hat Probleme mit ihrer eigenen
Verkehrslenkung“, befand die Lokalzeitung. Die „Tat“ aber hatte sich schon
am 10. Juli ereignet. Also eine gezielte Kampagne zur Wahl?AZ-Chefredakteur
Thomas Thelen beteuert gegenüber der taz, man habe erst ein paar Tage
vorher durch einen unbekannten Informanten davon erfahren.
Dass 2019 auch die CDU im Stadtrat einstimmig für den Radentscheid und
damit eine grundlegende Neuaufteilung der Verkehrsräume gestimmt hatte –
egal, vergessen. Keupens Herausforderer Michael Ziemons entschied die
Stichwahl für sich. Bei der Wahl vor fünf Jahren hatte Keupen noch
sensationelle 67 Prozent bekommen.
Wie es anders geht, [3][zeigt das belgische Gent]. Deren grüne
Verkehrsmanagerin Ann Plas erklärte vor drei Jahren in einem Vortrag in
Aachen, wie sie die Genter Innenstadt autofrei gemacht hat: ein
detailliertes Gesamtkonzept ausarbeiten, lange im Voraus umfassend
erklären, sich über Monate dem Dialog stellen. Um dann an einem Wochenende
den kompletten Verkehr neu zu regeln: Durchfahrten wurden gesperrt,
Videokameras scharf gestellt, Radwege ausgewiesen. Das ging auch nicht ohne
wüste Beschimpfungen.
Aber eben nur ein Mal, nicht stückweise immer wieder. Plas’ Tipp damals an
die Verantwortlichen in Aachen: „Man kann kein Omelett backen, ohne ein
paar Eier zu zerschlagen. Ihr müsst einfach machen!“ Gents malerische
Innenstadt blüht seitdem auf. Debatten gibt es nicht mehr.
Michael Ziemons will jetzt mit der seit Jahrzehnten gescheiterten
Park-and-Ride-Idee die Innenstadt vom Autoverkehr entlasten. Ziemons,
bislang Gesundheitsdezernent in der Städteregion Aachen, ist ansonsten
nicht durch politische Konzepte aufgefallen. Prominente Aachener Grüne
sagen hinter vorgehaltener Hand: Die Wahl war nicht pro Ziemons, sondern
vor allem gegen Keupen.
Das erinnert an die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses vor gut zwei
Jahren. Der CDUler Kai Wegner, bis dahin völlig unbekannt, hatte eine
Kampagne gegen die Verkehrswendeversuche des rot-rot-grünen Senats
betrieben. Er versprach freie Fahrt fürs Auto, endlich wieder,
[4][besonders auf der hochgejazzten Friedrichstraße]. Im April 2023 wählten
ihn die Berliner*innen zum Regierenden Bürgermeister.
## Maßnahmen zur Verkehrswende wirken erst langfristig
In Bremen scheiterten die Grünen bei der Bürgerschaftswahl 2023 [5][an der
sogenannten Brötchentaste] an Parkscheinautomaten. Die macht kostenloses
Parken für schnelle Einkäufe, zum Beispiel beim Bäcker, möglich. Maike
Schaefer, die frühere grüne Mobilitätssenatorin, wollte das Gratisparken
abschaffen. Die Handelskammer schürte Empörung, der SPD-Bürgermeister
verwehrte Schaefer die Unterstützung. Die Grünen verloren die Wahl.
Also im Wahlkampf lieber nicht mit Verkehrswende werben, um niemanden gegen
sich aufzubringen? Nicht groß ankündigen, sondern einfach machen und
Proteste aushalten?
Die Krux bei Transformationen wie der Umgestaltung des Verkehrs: Es kann
eine Weile dauern, bis Menschen ihr Mobilitätsverhalten ändern und merken,
dass es danach eigentlich besser läuft als vorher. Verkehrswendemaßnahmen
sorgen für saubere Luft, für weniger Lärm, weniger Stau – manchmal aber
erst langfristig, über eine Legislaturperiode hinaus. Wenn kurzfristig
Umbauten anstehen, Bus und Bahn länger brauchen, dann sorgt das für Unmut,
den Konservative allzu gerne befeuern.
„Sie kriegen in einer Legislaturperiode zwar keine Straßenbahn gebaut“,
sagt Joachim Scheiner, Professor für Stadtentwicklung an der Technischen
Universität Dortmund, „aber Sie können Radwege auf Straßen markieren, die
Sie nicht neu bauen, sondern eben nur markieren müssen.“ Das gehe schnell.
„Der Bevölkerung muss etwas geboten werden, das im Alltag unmittelbar
wahrnehmbar ist“, sagt Scheiner. In Paris etwa, wo die sozialistische
Bürgermeisterin Anne Hidalgo in den letzten Jahren Hunderte Kilometer
Radwege ausgezeichnet, asphaltierte Flächen begrünt und Tempolimits
eingeführt hat, belegten wissenschaftliche Begleitstudien, [6][dass sich
die Luftqualität schnell merklich verbessert hat].
Und in Bonn? Da hatten die grüne Oberbürgermeisterin Katja Dörner und ihre
Koalition mit SPD, Linker und Volt eine Verkehrswende versprochen – und
weitgehend Wort gehalten. Auch in diesem Wahlkampf hatte sich Dörner zu den
Projekten bekannt, die noch geplant sind, und die Vorteile derer betont,
die schon umgesetzt wurden.
## Baustellen-Chaos sorgt für Unmut
Zum Beispiel neue Fahrradstraßen und die Verkehrsberuhigung an der
Rheinuferpromenade. Auch da gab es Widerstand, gesteht die Grünen-Fraktion
im Bonner Stadtrat. Der sei aber schnell wieder abgeflaut, als die
Bonner*innen gemerkt hätten, dass sie am Ufer jetzt schön flanieren oder
Rad fahren können, und zwar ohne Straßenlärm und Abgase. Allerdings sagen
einige in Bonn – selbst ein paar, die Dörner wohlgesinnt sind –, dass sie
es übertrieben habe. Zu viele Radwegeprojekte gleichzeitig an zu vielen
verschiedenen Stellen hätten den Verkehr unnötig gebremst, so heißt es.
Besonders an einem Projekt ist Dörners Bündnis hängen geblieben: einem
Radweg auf der Hauptverkehrsader Adenauerallee, dem eine Autospur weichen
musste. „Dieser Radweg, der wurde im Wahlkampf instrumentalisiert“, sagt
Anna-Katharina Hornidge, Soziologieprofessorin an der Universität Bonn und
Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen, „von konservativen Kreisen, aber auch von Herrn Déus,
Oberbürgermeisterkandidat der CDU, in einem Streitgespräch mit Frau Dörner
wenige Tage vor der Stichwahl.“ Dabei wird die neue Straßenaufteilung mit
markiertem Radweg in der Innenstadt seit Anfang September erst mal nur ein
Jahr lang getestet.
In den zentralen Stadtteilen auf beiden Rheinseiten lag Dörner auch in der
Stichwahl vorne, teils deutlich. Junge Menschen prägen hier das Leben, die
große Uni mit rund 45.000 Studierenden mache viel aus, erklärt Hornidge.
„Das Fahrrad ist ein beliebtes Verkehrsmittel in den innerstädtischen
Bereichen Bonns, für viele beliebter, als mit dem Auto in einer teuren
Tiefgarage unterzukommen.“ Doch es gebe in Bonn auch eine zum Teil sehr gut
situierte Bürgerschaft höheren Alters, gerade in Randgebieten. Dort konnte
der CDUler Guido Déus bei der Stichwahl punkten.
Hornidge glaubt, dass es weniger der Radweg selbst war, der die Gemüter
erhitzt hat. Seit er fertig ist, fließt der Verkehr auf der Adenauerallee –
zwar langsam, aber Stau gab es dort sowieso seit Jahren. Bis der Radweg
aber etabliert wurde, verlangsamte die Baustelle den Verkehr zeitweise
stark. Diese Baustelle habe Dörner ihr Amt gekostet, so Hornidges
Einschätzung. Das liege aber auch daran, dass die deutsche Gesellschaft
weiterhin autozentriert sei und gleichzeitig, demografisch gesehen, älter
werde.
Mit Schnellradwegen, die die Randgebiete mit dem Zentrum verbänden, hätte
die Bonner Regierung eventuell auch ältere E-Bike-Fahrer*innen aus den
Randgebieten für sich gewinnen können, meint Hornidge. Andererseits führen
auch weiterhin zu viele Menschen täglich mit dem Auto in die Stadt, die den
Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel bewusst und nicht wegen
körperlicher Einschränkungen vermieden. Und Dörners Grüne wollten laut
Wahlprogramm ohnehin „Mobilität für alle Altersgruppen“. Die
Instrumentalisierung des Radwegs im Wahlkampf würde dies nun verhindern,
bedauert Hornidge – genau wie den Lärmschutz und die Verbesserungen der
Luftqualität, die durch das neue Verkehrskonzept angestrebt wurden.
Allerdings ist in Bonn noch nicht klar, wie es weitergeht. Mit Guido Déus
wird jetzt zwar wieder ein CDUler Oberbürgermeister, seine Partei holte die
meisten Stimmen für den Stadtrat. Trotzdem hat die vorherige Koalition aus
Grünen, SPD, Linker und Volt eine Mehrheit – wenn die CDU nicht mit einer
anderen Partei koaliert.
3 Oct 2025
## LINKS
[1] /NRW-Kommunalwahlen-in-Muenster/!6111197
[2] https://www.aachener-zeitung.de/lokales/region-aachen/aachen/die-meisten-au…
[3] /Fahrradstadt-als-Zukunft/!5895686
[4] /Berliner-Verkehrspolitik/!5887123
[5] /Wahl-in-Bremen/!5934321
[6] /Verkehrswende-in-Paris/!6098945
## AUTOREN
Nanja Boenisch
Tobias Schulze
Bernd Müllender
## TAGS
wochentaz
NRW
Bündnis 90/Die Grünen
Verkehrspolitik
Kommunalwahl
Social-Auswahl
Deutsche Umwelthilfe
Kommunalwahlen
NRW-SPD
wochentaz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe: Wo illegales Parken auf dem Gehweg gedu…
Viele Großstädte sind laut DUH zu nachsichtig mit Gehwegparkern – auf
Kosten der Fußgänger:innen. In einigen Städten ist die Lage besonders
kritisch.
Stichwahlen in NRW: Schluss mit der schwarz-grünen Harmonie, bitte
Die CDU pumpt sich als Sieger auf, ihr Koalitionspartner verliert OB-Posten
und scheitert in Köln – die Grünen müssen ihren Kuschelkurs ändern.
NRW-Kommunalwahlen: Kein einziges Rathaus für die AfD
Die AfD verliert in Gelsenkirchen deutlich die Stichwahl gegen
Sozialdemokratin Andrea Henze. Doch der Verlust Dortmunds verhagelt der SPD
den Abend.
NRW-Kommunalwahlen in Münster: Ist die Welt hier noch in Ordnung?
Nein. Aber nirgendwo ist die AfD so schwach, sind die Grünen so stark wie
in Münster. Lässt sich hier etwas lernen für den Rest der Republik?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.