| # taz.de -- Wohnungsnot bei Studis und Azubis: Jung, arm, wohnungslos | |
| > Studierende und Azubis haben in Berlin zum Semesterstart große | |
| > Schwierigkeiten, ein bezahlbares Zimmer zu finden. Nicht wenige gehen | |
| > leer aus. | |
| Bild: Schlange bei der Wohnungssuche in Berlin im August 2025 | |
| Berlin taz | „Ich muss etwas finden“, sagt Laura Lange* verzweifelt. | |
| Eigentlich hat sie Semesterferien und ist mit ihrer Familie nach Spanien | |
| gereist. Sie würde jetzt gerne abschalten. Was sie stattdessen macht: sich | |
| auf Wohnungs-Inserate in Online-Portalen bewerben, Nachrichten checken, | |
| WG-Castings per Videocall. | |
| Lange ist 21 Jahre alt, Studentin und wohnungslos. Seit September hat sie | |
| kein WG-Zimmer mehr. Und schon in weniger als zwei Wochen beginnt das | |
| Wintersemester. Also kämpft sie auf dem letzten Drücker um ein günstiges | |
| Zimmer wie so viele Studierende jedes Jahr. | |
| Über 200.000 Menschen sind für das kommende Wintersemester an Universitäten | |
| und Hochschulen in Berlin immatrikuliert, mehr als 75.000 von ihnen sind im | |
| ersten Hochschul- oder Fachsemester. Sie kommen oft aus anderen | |
| Bundesländern oder dem Ausland und müssen in Berlin mit einem mageren | |
| Budget eine neue Bleibe finden. | |
| „Ich finde es schon krass, dass bezahlbarer Wohnraum hier derart knapp | |
| ist“, sagt Lange. Sie ist in Hamburg aufgewachsen. Seit mittlerweile einem | |
| Jahr studiert sie Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Ihr | |
| Maximalbudget für ein WG-Zimmer: 600 Euro. | |
| ## WG-Zimmer für 610 Euro kalt | |
| In Berlin kostet so ein Zimmer aktuell aber im Schnitt 610 Euro – kalt, | |
| also ohne Nebenkosten wie Heizung oder Strom. Das hat das Portal | |
| wg-gesucht.de auf taz-Nachfrage ausgerechnet. Zum Vergleich: [1][Die | |
| Bafög-Wohnkostenpauschale beträgt für das kommende Semester höchstens 380 | |
| Euro.] | |
| Viele Studierende versuchen deshalb, beim Studentenwerk einen der etwa | |
| 9.200 Wohnheimplätze zu ergattern. Aber die sind hart umkämpft. Über 4.000 | |
| Studierende stehen aktuell auf der Warteliste, sagt eine Sprecherin auf | |
| taz-Anfrage. Damit ist die Warteschlange länger, als Wohnungen jährlich die | |
| Besitzer:innen wechseln, zumal ja jedes Semester neue Interessenten | |
| dazukommen. | |
| Finden Studierende bis zum Semesterstart keine Bleibe, müssen sie | |
| entscheiden: Sollen sie ihren Traum-Studiengang abbrechen? Oder in eine | |
| andere Uni-Stadt ziehen, weil dort die Miete günstiger ist? „Das sind | |
| Gedanken, die irgendwo im Kopf schweben“, sagt Lange. Sie hat sich anders | |
| entschieden und hangelt sich jetzt von Zimmer zu Zimmer. Sie nimmt, was sie | |
| kriegt: befristete Untermiete ohne Mietvertrag, die Couch bei Freunden. | |
| Seit September hat sie sich auf viele Inserate beworben. Zugesagt hat ihr | |
| bisher niemand. Der Konkurrenzdruck ist hoch. „Du weißt, dass schon zehn | |
| Leute vorher da waren“, sagt sie. Laura Lange hat sich also schon darauf | |
| eingestellt, wieder nichts Langfristiges zu finden. „Man ist wie im | |
| Hamsterrad gefangen“, sagt sie. Im Notfall will sie übergangsweise zu | |
| Freunden ziehen. Aber sie müsste dann mit ihnen ein Zimmer teilen. Und | |
| ihnen so viel abzuverlangen, ist ihr eigentlich unangenehm. | |
| ## Untervermietete Abstellkammer | |
| Ellina Diedrich hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch sie ist Studentin | |
| und lebt seit mehreren Monaten wohnungslos. Wie das so ist? „ Man ist | |
| irgendwo stationiert, wohnt aber nirgendwo richtig“, sagt Diedrich. In | |
| ihrer Not nehmen Studierende Angebote für Wohnungen an, in den sie unter | |
| anderen Umständen wohl nicht leben würden. In Diedrichs letzter WG hatte | |
| der Hauptmieter von ihr und ihren Mitbewohner:innen weit mehr Miete | |
| verlangt, als er für dieselbe Fläche zahlte. 400 Euro blechte sie für 8 | |
| Quadratmeter. Der Hauptmieter selbst schlief bei einem Freund. Sogar eine | |
| Abstellkammer ohne Fenster und richtige Tür vermiete er unter. Dann zog er | |
| selbst dort ein. | |
| „Er hat angefangen, uns richtig zu tyrannisieren“, sagt Diedrich. Ständig | |
| habe er sich mit den Mitbewohnern gestritten, weil ihm die Wohnung zu | |
| dreckig gewesen sei. Von einer Mitbewohnerin verlangte er deshalb einmal 50 | |
| Euro Strafe. | |
| Diedrich selbst besaß gar keinen Mietvertrag, sie hätte sich also gegen | |
| solche Forderungen nicht wirklich wehren können. Mit einer Mitbewohnerin | |
| suchte sie den schnellsten Weg raus. Gemeinsam zogen sie in ein | |
| Durchgangszimmer ihres Onkels. Eigentlich wollten sie dann zusammen eine | |
| Wohnung suchen, bekamen aber nur Absagen. | |
| Vor Kurzem hat sich nun für Diedrich etwas ergeben. Sie wohnt zur | |
| Untermiete in einer Wohnung, die eine Familie im Voraus für ihre Tochter | |
| angemietet hat. Die soll unter einem günstigen Mietvertrag wohnen, wenn sie | |
| volljährig ist, allerdings erst in vier Jahren. So lange kann Diedrich dort | |
| also vielleicht leben. | |
| ## „Das schlaucht unfassbar“ | |
| Auch Azubis haben in Berlin Probleme, mit ihrem Ausbildungsgehalt die Miete | |
| zu zahlen. Auch für sie gibt es Wohnheime, auch sie sind überfüllt. Das | |
| Kolping Jugendwohnheim am Prenzlauer Berg erhält etwa jede Woche 50 | |
| Anfragen, ob bei ihnen ein Zimmer frei sei, sagt ein Sprecher auf | |
| taz-Nachfrage. Dabei stehen in dem kleinen Wohnheim gerade mal 52 Betten | |
| zur Verfügung. | |
| „Ich hätte sehr gerne allein gewohnt“, sagt Anna Arend. Vor einem Jahr zog | |
| sie für ihre Ausbildung nach Berlin. Rund 1.500 Euro verdient sie netto. | |
| Das günstigste WG-Zimmer, das sie fand: 670 Euro. | |
| Seit Anfang des Jahres ist das Warmwasser futsch. Die Miete zahlt sie | |
| trotzdem den Mitbewohnern zuliebe weiter. Arend wohnt mal bei Freunden, mal | |
| bei deren Eltern oder auch bei Fremden, und passt dafür auf deren Katze | |
| auf. „Das schlaucht unfassbar“, sagt sie. Sie leidet unter Stress, bekommt | |
| Panikattacken und schläft kaum noch, abends geht sie kaum noch weg. Auf der | |
| Arbeit, bei der sie eigentlich beweisen will, was sie drauf hat, kann sie | |
| sich schlecht konzentrieren. Eigentlich will sie nur noch so lange | |
| durchhalten, bis ihre Ausbildung fertig ist, sagt sie. Und dann war’s das | |
| mit ihr und Berlin. Sie sucht sich woanders einen Job. | |
| „Eine Wohnung ist weit mehr als vier Wände“, sagt die Psychologin Eva | |
| Asselmann, „sie ist unser sicherster Rückzugsort, der Raum, in dem wir uns | |
| unbeobachtet fühlen dürfen.“ Fehlt der, gibt es kein Mietvertrag oder ist | |
| der Wohnraum nur bis zu einer Galgenfrist sicher, könne der Körper mit | |
| Dauerstress reagieren. Dabei fährt das vegetative Nervensystem hoch, | |
| Adrenalin wird ausgestoßen, das Herz schlägt schneller, Im Kopf regiert | |
| innere Unruhe. Das stört den Schlaf, und die Konzentration bricht ein. | |
| Betroffene fühlten sich innerlich stark erschöpft, erklärt Asselmann. | |
| Es sind die Symptome eines Kontrollverlustes, wenn man wohnungslos ist. | |
| *alle Namen geändert | |
| 22 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Moritz Tübbecke | |
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