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# taz.de -- Remixalbum von Galya Bisengalieva: Zwischen Geigenbogen und Geigerz…
> Die Kasachin Galya Bisengalieva veröffentlicht mit „Polygon Reflections“
> Remixe ihrer Songs von befreundeten Kollegen. Nicht alle sind gelungen.
Bild: Macht ansprechende Konzeptkunst: Galya Bisengalieva
Galya Bisengalieva entwickelt Klangmeere, die durch alle Hautschichten ins
Körperinnere dringen und auf sinnliche Art elementar verunsichern. In der
Musik auf ihren zwei hochgelobten Alben hat sich die kasachisch-britische
Musikerin mit zwei charakteristischen und extrem verseuchten Landschaften
ihrer kasachischen Heimat künstlerisch auseinandergesetzt.
Mit „Aralkum“ (2020) nähert sie sich dem ausgetrockneten Aralsee an. Auf
den tiefen Klangwellen der elektronischen Drums surfend, liebkost ihr
Geigenbogen die Saiten. [1][Bisengalieva entlockt ihrem Instrument
langgezogener Seufzer]. Es ist, als hätte sie die Seele des verschwundenen
Sees zum Sprechen gebracht. [2][„Polygon“ (2023) nimmt Bezug auf das
sowjetische Atomwaffentestgelände Semipalatinsk], in dem bis 1989 über 450
Atomwaffentests durchgeführt wurden.
In sieben Tracks breitet die Künstlerin eine flirrende akustische
Landschaft aus, die die Weite der Steppe, ihre Schönheit und ihre extreme
atomare Verseuchung (höher als in Tschernobyl) hörbar macht. Elektronik und
Streichinstrument kreieren einen schmerzvollen Raum. So entwirft
Bisengalieva im Track „Sary-Uzen“ mit dem Geigenbogen, der an den Saiten
reißt, ein bedrohliches musikalisches Motiv, das vor dem inneren Auge einen
riesigen zum Bersten gespannten Luftkorridor entstehen lässt.
## Zum Jahrestag des ersten Atomtests
Anlässlich des 76. Jahrestags des ersten sowjetischen Atomwaffentests in
Semipalatinsk am 29. August 1949 veröffentlicht die Künstlerin nun ein
neues Album: „Polygon Reflections“. Bisengalieva hat dazu acht ihr
nahestehende Musiker:Innen aus Asien, Afrika, den USA und Europa
eingeladen, einzelne Tracks auf ihre je charakteristische Art zu remixen.
Ein an sich spannendes Projekt, bei dem die Versionen vom britischen
Künstler Kevin Martin (alias The Bug), Aisha Devi, Hatis Noit, KMRU und von
Balkhash aus Almaty im Vergleich zum Original enttäuschen. Bisengalievas
Kompositionen sind nie vorhersehbar, gleichzeitig zeichnet die Musik
kompositorische Finesse aus, die auch noch dem kleinsten Detail
Aufmerksamkeit schenkt. Dagegen wirken die Reflexionen teils flach und
grobschlächtig. Und ergänzen die Originalkompositionen nicht wirklich.
Zwei Interpretationen stechen wie Leuchttürme heraus. Lucy Liyous Track
„Sary-Uzen“ überzeugt als musikalische Antwort auf den gleichnamigen Track
von Bisengalieva. Denn Liyou übernimmt den untergründig-bedrohlichen
Klangteppich des Synthesizers und konfrontiert ihn mit spitzen Dur-Klängen
eines Flügels. Das erzeugt eine ungeahnte neue Räumlichkeit.
## Eigenständige Weiterführung
Der in Berlin lebende [3][gebürtige Karl-Marx-Städter Carsten Nicolai],
bekannt als Alva Noto, wiederum interpretiert „Sary Uzen“ und „Degelen“…
verarbeitet das in einer Klangsignatur, die Bisengalievas Musik
eigenständig weiterführt. So stützt sich auch [4][Carsten Nicolai] auf den
elektronisch erzeugten Klangraum von „Sary Uzen“.
Die xylofonartigen Klänge, die er dazu kombiniert, fallen wie Tropfen in
das bedrohlich flirrende Klangmeer. Dann führt er einen Rhythmus ein, der
nach vorne strebt und an den zarten Wave-Beat erinnert, der Bisengalievas
„Degelen“ durchzieht, bis ihn das nervöse Zittern der Geige mehr und mehr
überlagert.
Bei Alva Noto gelingt dem Geigensound die Verdrängung des Dancefloor-Beats
nicht. Der neunminütige Track entwickelt das Original weiter, ohne es zu
verraten. Der verhalten fröhliche Beat, dem die Puste nicht ausgeht,
erscheint der Hörerin im Vergleich zum Original als vorsichtiger
Optimismus, dass es ihn gibt, den Ausweg aus der atomar bedrohten und
atomar verseuchten Welt.
Leider geben, 76 Jahre nach dem ersten Atomwaffentest der UdSSR, die
derzeitigen Verhältnisse mit Putins brutalem Krieg gegen die Ukraine
keinerlei Anlass zu Optimismus.
12 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=kR5kJ8_p0Cg
[2] /Konzeptalbum-ueber-Atomtestgelaende/!5980834
[3] /Chemnitzer-Arbeitsbiografien/!6112241
[4] /Album-und-Film-von-Carsten-Nicolai/!5960157
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Atombombe
Sowjetunion
Neues Album
Atomkraftwerk
elektronische Musik
taz Plan
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