| # taz.de -- Nachruf auf Christine Böer: „Mal mir Wurzeln, weil ich keine hab… | |
| > Christine Böer machte sich unter anderem als Gerichtszeichnerin | |
| > bundesweit einen Namen. Nun ist sie in Hamburg gestorben. | |
| Bild: Arbeitete als Pressezeichnerin, aber nicht nur: Christine Böer | |
| Gelassen porträtierte sie Millionäre – heftiger schlug ihr Herz für die | |
| Schwachen: Kinder, Alte, Rauschgiftsüchtige. „Darf ich Sie zeichnen?“, | |
| fragte Christine Böer, und sie zeichnete: „Menschen in Hamburg-Altona“ | |
| (1984), daneben schriftliche Porträts, auch aus der Feder Böers. | |
| 1992 folgten „Junkie-Porträts, Zitate, Kommentare zur Sucht“. Er mache bald | |
| einen Entzug, sagte ihr der 25-jährige Enrico. „Mal mir Wurzeln, weil ich | |
| keine hab!“ | |
| In der taz hatte Böer mehr als fünfzig Veröffentlichungen, 1991 die Serie | |
| „Porträts Hamburger Jugendlicher“. Im selben Jahr „Porträts Hamburger | |
| Medienmacher“, darunter Gerd Bucerius, Inhaber der Zeit, Wolf Schneider, | |
| Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule; Hellmuth Karasek, | |
| Kulturredakteur beim Spiegel; die Tagesthemen-Moderatorin Sabine | |
| Christiansen und ihr Kollege Ulrich Wickert. | |
| Christine Böer arbeitete als Pressezeichnerin und Journalistin für die | |
| Morgenpost und fürs Hamburger Abendblatt. Von 1987 an war Böer auch als | |
| Gerichtszeichnerin gefragt und anerkannt: Ihre Zeichnungen erschienen in | |
| der FAZ, im Spiegel, der Zeit, der Süddeutschen Zeitung, der Welt, im | |
| Tagesspiegel, der Stuttgarter Zeitung, bei ARD und ZDF. | |
| Böer zeichnete in den Prozessen gegen die [1][Gladbecker Geiselnehmer] und | |
| gegen [2][Erich Honecker]. Sie zeichnete im Prozess gegen den | |
| [3][Kaufhaus-Erpresser „Dagobert“] und im „Mykonos“-Prozess über den M… | |
| an vier iranischen Oppositionellen in Berlin. | |
| Von 1995 an dokumentierte sie (gemeinsam mit dem Autor dieses Artikels) für | |
| die Süddeutsche Zeitung die Prozesse gegen Mitglieder des SED-Politbüros | |
| und die Grenztruppen-Führung der DDR sowie gegen führende NVA-Generäle | |
| wegen der Erteilung von Schießbefehlen an der Grenze. | |
| Den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl zeichnete Christine Böer im | |
| Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre wie versteinert, übermächtig | |
| herausgehoben aus der Runde der Zeugen. Sie zeichnete Jan Philipp Reemtsma | |
| im Prozess gegen seine Entführer und viele mehr. | |
| ## Beim Zeichnen könne man „weglassen“ | |
| Die Reportage mit Block und Zeichenstift sei „fast gänzlich verdrängt durch | |
| den Druck auf den Knopf der raffiniertesten Fotoapparate“, bedauerte | |
| Christine Böer gegenüber dem Spiegel. Beim Zeichnen könne man „weglassen | |
| und übertreiben, auswählen und bewusst zusammenstellen“. | |
| Sie suchte und fand das Schöne, auch als Ausgleich zu den Tagen im Gericht. | |
| Von 1994 an fuhr sie jährlich nach [4][Venedig]. | |
| Christine Böer wurde 1941 in Berlin geboren, in Potsdam wuchs sie auf. Mit | |
| zwanzig Jahren verließ sie, 1961, kurz vor dem Mauerbau, die DDR. In | |
| Hamburg studierte sie zwei Jahre an der Hochschule für bildende Künste. Sie | |
| arbeitete sieben Jahre als Kostümmalerin an der Hamburgischen Staatsoper | |
| und dann an Theatern. An der Fachhochschule Hamburg unterrichtete sie in | |
| der Klasse Kostümdesign. Die Bücher von Christine Böer sind vergriffen. In | |
| Bibliotheken sind sie noch zu finden. | |
| Am 11. September ist Christine Böer in Hamburg gestorben, im Alter von 84 | |
| Jahren. Es wird Zeit, dass sich jemand findet, der ihren Nachlass übernimmt | |
| und zugänglich macht. | |
| 1 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Roman Grafe | |
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