# taz.de -- Regierungskrise in Frankreich: Bayrou ist Geschichte | |
> Ministerpräsident François Bayrou verliert eine Vertrauensabstimmung im | |
> Parlament. Damit fangen die Probleme erst an, denn neue Mehrheiten sind | |
> nicht in Sicht. | |
Bild: Noch sitzt er: François Bayrou an seinem Platz in der französischen Nat… | |
Paris taz | Die Regierung von François Bayrou ist am Montag in der | |
Nationalversammlung bei einer Vertrauensabstimmung durchgefallen. Nur 194 | |
Abgeordnete sprachen dem bisherigen französischen Regierungschef ihr | |
Vertrauen aus, 25 enthielten sich und 364 stimmten gegen ihn und seine | |
Sparpolitik. Nach nur neun Monaten im Amt muss Bayrou bei Präsident | |
Emmanuel Macron unverzüglich den Rücktritt einreichen, er bleibt aber | |
zunächst geschäftsführend im Amt. | |
Nichts hatte Bayrou zu dieser Vertrauensabstimmung gezwungen. Er wollte | |
aber unterstreichen, wie ernst die Lage ist. In den vergangenen Tagen hatte | |
er bei unzähligen Medienauftritten immer wieder eindringlich betont, dass | |
Frankreich, unabhängig von seiner Person, die Staatsfinanzen wieder in | |
Ordnung bringen müsse – sonst drohe der Abstieg. | |
Dass er dazu sein Amt aufs Spiel zu setzen bereit war, verlieh seinem | |
politischen Entscheid den Charakter eines persönlichen Opfers. Doch weder | |
seine politischen Gegner in der Nationalversammlung noch die öffentliche | |
Meinung ließen sich davon beeindrucken. | |
Alle politischen Beobachter waren sich einig in der Prognose, dass Bayrou | |
dabei nur verlieren konnte. Vielleicht, so wurde spekuliert, sei es seine | |
Absicht gewesen, in die Geschichte einzugehen als Staatsmann, der | |
ungeachtet der Kosten der Nation die „Wahrheit“ ins Gesicht sagte. | |
Für Frankreich aber, so meint die Zeitung Le Figaro, komme Bayrous Poker | |
mit totalem Einsatz und absehbarem Ausgang einem „Sprung ins Leere“ gleich. | |
Denn eine Lösung dank des Abgangs des Regierungschefs und seines Kabinetts | |
zeichnet sich nicht ab, weil die politisch vertrackte Ausgangslage für | |
einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin wie ein Patt auf dem Schachbrett | |
identisch bleibt. | |
## Taktische Fehlentscheidung | |
Selbst die engsten Vertrauten von Staatspräsident Emmanuel Macron müssen | |
heute einräumen, dass es eine taktische Fehlentscheidung des Staatschefs | |
gewesen war, im Juni 2024 nach der Niederlage bei den EU-Wahlen die | |
französische Nationalversammlung aufzulösen. Denn mit den anschließenden | |
Neuwahlen ist eine politische Konstellation entstanden, die die Bildung | |
einer regierungsfähigen Mehrheit permanent verhindert. | |
Von den drei Blöcken – Linke, Zentrum aus Macronisten und Konservativen | |
sowie Rechtspopulisten – machte jeder ideologische Berührungsängste mit den | |
andern geltend, wenn es darum ging, im Stil einer „Großen Koalition“ | |
formell Bündnisse zu schließen und Abstriche an den eigenen politischen | |
Vorgaben zu machen. | |
In den vergangenen Tagen [1][haben sich die Sozialisten angeboten, an | |
Stelle von Bayrou und der bisher regierenden rechten Mitte die | |
Verantwortung zu übernehmen und einen Premierminister zu stellen]. Ihre | |
Vorschläge zu Bayrous von links (und rechts) bekämpftem Entwurf für einen | |
Staatshaushalt 2026 stehen jedoch in wesentlichen Punkten in Widerspruch zu | |
Macrons Prioritäten. | |
So plant die Linke zum Schuldenabbau Sonderabgaben für die Vermögendsten | |
und großen Unternehmen [2][statt der von Bayrou geforderten Opfer, die auch | |
weit weniger wohlhabende Schichten treffen würden]. Macron will im | |
Interesse der Wettbewerbsfähigkeit keine Steuererhöhungen für | |
„Privilegierte“, die damit drohen, lieber ins Ausland abwandern, als noch | |
mehr Abgaben zu bezahlen. | |
## Spätes Eingeständnis | |
Mit dieser nach sozialer Gerechtigkeit rufenden Linken eine Einigung zu | |
finden, wäre nicht einfach. Zudem wäre die Nominierung einer Persönlichkeit | |
aus dem linken Lager zwecks Regierungsbildung das späte Eingeständnis, dass | |
Macron nach den Wahlen 2024 gut daran getan hätte, dem stärksten Block in | |
der Nationalversammlung die Regierungsgeschäfte zu übergeben statt alle | |
Macht bei sich und seinen Vertrauten zu konzentrieren. | |
Dennoch erscheint eine solche „Kohabitation“ (wie sie Frankreich in anderer | |
Form von 1986 bis 1988 mit Präsident Mitterrand und seinem Gegner Chirac | |
als Premier gekannte hatte) als letzte Karte. Laut Umfragen befürwortet | |
zudem eine Mehrheit der Franzosen diese Art der Zusammenarbeit, die zu | |
Kompromissen zwingt. | |
Natürlich hätte Präsident Macron die Möglichkeit, die Nationalversammlung | |
erneut aufzulösen. Die Karten würden dabei aber nicht wirklich neu | |
gemischt. Denn bei eventuellen Neuwahlen zeichnet sich immer noch keine | |
Mehrheit ab, auch wenn die Rechtspopulisten bei der heutigen Stimmungslage | |
zweifellos kräftig (und weit mehr als die heute gespaltene Linke) zulegen | |
würden. | |
Zudem wären Neuwahlen für die „Macronisten“ höchstwahrscheinlich eine | |
Katastrophe. Selbstverständlich könnte Macron als Staatspräsident | |
zurücktreten, was politisch logisch und verantwortungsvoll wäre. Doch | |
diesen Schritt schließt er bisher aus, weil Präsidentschaftswahlen | |
vermutlich die extreme Rechte an die Macht bringen würden. Das erachtet | |
Macron als eine für Frankreich und Europa verhängnisvolle Perspektive. | |
Nach dem neunmonatigen Intermezzo Bayrou muss Macron jetzt die für ihn am | |
wenigsten unangenehme und für das Land am wenigsten abträgliche Lösung | |
finden. Allzu lange warten kann er nicht. Mit angekündigten Protesten, | |
Streiks und Blockaden ab Mittwoch machen diverse Bevölkerungskreise Druck. | |
Sie sind wütend auf die Staatsführung und mit ihrer Geduld längst am Ende. | |
8 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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