Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Frankreich vor der Regierungskrise: Mit wehenden Trikoloren in den …
> Die Regierung von Premier Bayrou wird nächste Woche über eine
> Vertrauensabstimmung stürzen. Zugleich drohen neue Proteste im Stil der
> Gelbwesten.
Bild: Vielleicht schon Anfang nächster Woche weg vom Fenster: Frankreichs Regi…
Paris taz | Die Wetterprognose für Frankreichs Herbst ist schlecht.
[1][Wenn der bisherige Premierminister François Bayrou die von ihm selber
gewünschte Vertrauensabstimmung am 8. September verliert – wie dies
allgemein erwartet wird –, muss er mitsamt seinen Ministern zurücktreten].
Frankreich schlittert mit wehenden Trikoloren in eine weitere
Regierungskrise.
Parallel dazu wächst der Volkszorn, der sich Mitte des Monats in Streiks
und Straßenblockaden entladen kann. Auf den Netzwerken findet sich eine
Bewegung zusammen, die bereits an die Proteste der Gelbwesten vor vier
Jahren erinnert.
[2][Niemand weiß, was am 10. September in Frankreich wirklich geschehen
wird]. „Die Mainstreammedien verstehen eh nichts. Aber ich hoffe, dass
etwas abgeht“, sagt Maxime Nicolle alias „Fly Rider“ in den Netzwerken. Er
war einer der Wortführer der Gelbwesten-Bewegung von 2018/19.
Heute will er jedoch lieber keine persönliche Verantwortung dafür
übernehmen, wenn es jetzt zu einer Wutbewegung aus der Provinz kommt. Wer
Mitte Juli hinter dem Aufruf „Bloquons tout le 10 septembre!“ („Blockieren
wir alles am 10. September!“), steht, ist weiterhin unklar. Die Spuren
führen zu einer nationalistischen Gruppe in Nordfrankreich.
## Angestauter Unmut
Der Ursprung hat letztlich wenig Bedeutung. Denn der Aufruf zur Revolte hat
in den Sommerwochen in ganz unterschiedlichen Kreisen rasch ein wachsendes
Echo gefunden. Deren einziger gemeinsamer Nenner ist die Unzufriedenheit
oder Wut von Menschen.
Sie fühlen sich „von denen da oben“, den Amtsträgern und anderen
Repräsentanten, verachtet und durch den öffentlichen Dienst vernachlässigt.
In Frankreich, wo der soziale Dialog noch nie richtig funktioniert hat,
braucht es oft nur wenig, um wegen des angestauten Unmuts einen großen
Konflikt heraufzubeschwören.
Auslöser der Mobilisierung von unten ist dies Mal der Regierungsentwurf für
einen Sparhaushalt für 2026. Premierminister François Bayrou sagte seinen
Landsleuten unverblümt, da helfe eben nichts. Sie müssten den Gürtel enger
schnallen, um eine gravierende Schuldenkrise, wie in Griechenland, zu
vermeiden. Wer ohnehin schon finanzielle Engpässe hat und den sozialen
Abstieg fürchten muss, empfindet solche Äußerungen als provokative
Zumutung.
Für die Franzosen ist es schlicht grotesk, wenn Bayrou in den Medien seinen
voraussehbaren Abgang wie ein persönliches Opfer inszenieren will. In Paris
wird nicht diskutiert, ob der Premier verliert oder noch gewinnen kann,
sondern nur noch über die Kandidaten für seine Nachfolge.
## Keine parlamentarische Mehrheit
Die meisten Franzosen erwarten indes nichts von einem neuen Regierungschef.
Denn dieser wird, wie Bayrou seit Ende 2024 und vor ihm Michel Barnier,
keine parlamentarische Mehrheit haben und dem Druck der
Oppositionsfraktionen ausgesetzt sein. Rund zwei Drittel der Leute
befürworten laut Umfrage des Instituts Toluna-Harris den Aufruf zur
Blockade am 10. September, obwohl deren Ziele noch konfus bleiben.
Die „Gilets jaunes“ hatten einen ganzen Forderungskatalog, als sie Ende
2018 überall im Land mit ihren gelben Warnwesten gegen eine sinkende
Kaufkraft, höhere Steuern, die Reduzierung öffentlicher Dienstleistungen
sowie für unzählige oft lokale Anliegen demonstrierten und Blockaden
errichteten.
Gebracht hatten die zum Teil gewaltsamen Proteste, die bis 2020
weitergingen, außer einer von Emmanuel Macron angeregten landesweiten
Alibidebatte und leeren Versprechen jedoch nichts. Zudem hatte die in ihrer
Selbstsicherheit erschütterte Zentralmacht in Paris zuvor nicht gezögert,
mit repressiver Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden vorzugehen.
Geblieben davon ist in den meist außerhalb der städtischen Zentren lebenden
Bevölkerungskreisen, die damals den Aufstand probten, Verbitterung und
manchmal auch ein Wunsch nach Revanche. Der Aufruf für den 10. September
hört sich für sie wie eine Einladung zu einem zweiten Anlauf an.
## Ein Auge verloren
„Das ist nicht die Geburt einer Wutbewegung, sondern eine Wiedergeburt“,
meint eine andere historische Figur der Gelbwesten, Jérôme Rodrigues. Er
hat bei einer Kundgebung durch eine Polizeigranate ein Auge verloren und
deswegen selber noch eine Rechnung mit der Staatsmacht offen.
Andere ehemalige Gelbwesten sagen, ein zweites Mal würden sie sich nicht
auf einen Kampf mit persönlichen Opfern einlassen, der dann doch nichts
bringe. Zudem kommt unter den Ex-Gelbwesten die Befürchtung auf, dass die
Parteien und Gewerkschaften, die sie das letzte Mal im Stich gelassen
hatten, gleich von Beginn an die Kontrolle über die Bewegung übernehmen
und die Proteste für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren könnten.
Kaum hatte der Blockadeappell in den Netzwerken ein Echo gefunden, sprangen
zuerst Linksparteien und dann auch Gewerkschaftsverbände auf den Zug auf,
um den Volkszorn zu organisieren und eventuell zu kanalisieren. Vom
Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon bis zu den gemäßigteren Sozialisten
wollen alle vorab verhindern, dass die Unzufriedenheit den Rechtspopulisten
von Marine Le Pen nützt.
Möglich also, dass es am 10. September bei einem Strohfeuer bleibt. Oder
bricht sich eine grenzenlose Wut Bahn, die erhitzten Gemütern als Ventil
dient, um Druck abzulassen? Ersteres scheint die Hoffnung des
Noch-Regierungschefs zu sein, dessen Popularitätswerte einen Tiefpunkt
erreicht haben.
Bayrou dramatisiert die Lage, er setzt darauf, dass eine drohende
Regierungskrise seinen Gegnern Angst macht. In den Medien zirkuliert das
Gerücht, prorussische Influencer würden mit dem 10. September-Aufruf
gezielt gegen die französische Staatsführung agitieren. Bayrou selber
spielt die Karte „Ich oder das Chaos“ aus.
## Paris mit schlechtem Image
Die Perspektive, dass Frankreich in diesen ohnehin schon bewegten und
gefährlichen Zeiten möglicherweise während Wochen ohne Regierung und ohne
Staatshaushalt dasteht, ist ungemütlich. Wirtschaftskreise werden nervös.
Ohnehin verschlechtert sich das Image von Paris auf den Finanzmärkten.
Inzwischen bezahlt Frankreich für neue Anleihen mehr an Zinsen als Spanien
und Italien. Der Schuldendienst wird zum wichtigsten Ausgabenposten im
Staatshaushalt, vor Erziehung und Verteidigung. Die Schuldenspirale, von
der Bayrou bei seiner letzten Moralpredigt an die Nation zur Verteidigung
seines Sparhaushalts gesprochen hatte, dreht sich bereits.
Die Menschen, die in unterschiedlicher Weise am 10. September und
vermutlich in den Tagen danach gegen Bayrou und Macron demonstrieren,
wollen nicht akzeptieren, dass immer sie es sein sollen, die Opfer bringen
müssen, während wirklich Privilegierte weiter geschont werden.
Das scheint die gemeinsame Botschaft zu sein. Und da Bayrou an seinen
Sparpläne nichts Wesentliches ändern will, fordern die „Sansculotten“ des
Jahres 2025 seinen Kopf, respektive seine Absetzung. Dem kommt die
Vertrauensabstimmung am 8. September wie ein politisches Fallbeil nur
zuvor. Geregelt ist damit jedoch noch überhaupt nichts.
2 Sep 2025
## LINKS
[1] /Regierungserklaerung-in-Frankreich/!6062517
[2] /Heisser-Herbst-in-Frankreich/!6106439
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
François Bayrou
Gelbwesten
Schwerpunkt Emmanuel Macron
GNS
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Frankreich
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Streikaufruf in Frankreich: Premierminister Bayrou kündigt Vertrauensabst…
Ein Appell zu Protesten und Generalstreik am 10. September bringt Bayrou in
Zugzwang. Dem „heißen Herbst“ will er mit dem Vertrauensvotum zuvorkommen.
Harte Sparpläne in Frankreich: 43 Milliarden und zwei Feiertage
Frankreichs Premier will Staatsausgaben und Feiertage kürzen. Das soll
Frankreich aus der Schuldenkrise retten – falls der Plan angenommen wird.
Misstrauensvotum in Frankreich: Wer nicht gewinnt, verliert
Premier François Bayrou übersteht das Misstrauensvotum gegen ihn, dank der
Enthaltung der Sozialisten. Dafür ist nun die französische Linke gespalten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.