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# taz.de -- Mulatu Astatke: Ein Dorf, aus dem Erfahrung und Weisheit kommt
> Mulatu Astatke ist das Mastermind des Ethio-Jazz. Jetzt geht der
> inzwischen 81-jährige mit neuem Album auf Abschiedstournee in Europa.
Bild: Der Erfinder und noch immer einzige Vertreter des Genres Ethio-Jazz: Mula…
Er ist eine Ein-Mann-Jazz-Bewegung: Mulatu Astatke begründete in den
1960er-Jahren den Ethio-Jazz, in dem er die äthiopische Musiktradition
seiner Heimat mit dem US-Jazz verschmolz. Auch wenn der Komponist damit
stilbildend wirkte und als einflussreicher Vermittler tätig war, gilt er
bis heute als einziger echter Vertreter dieser Richtung.
Inzwischen 81 Jahre alt, ist Mulatu – in Äthiopien werden Menschen nach
ihrem Vornamen bezeichnet – derzeit auf Abschiedstournee in Europa
unterwegs. Mit dabei hat er auch sein neues Album „Mulatu Plays Mulatu“.
Geboren 1943 im Westteil des Landes als Kind einer wohlhabenden Familie,
war er früh von der orthodox-christlichen Kirchenmusik fasziniert. Seine
Eltern zeigten sich allerdings wenig begeistert von seinem Interesse,
hatten sie doch eine andere Laufbahn für Mulatu im Sinn.
Im Alter von 16 Jahren schickten sie den Sohn dann nach England, er sollte
dort eine Pilotenausbildung machen. Die Lehrkräfte erkannten und förderten
jedoch Mulatus musikalisches Talent. Er lernte Trompete spielen und wurde
Teil der damals noch kleinen, aber lebendigen Clubszene der britischen
Hauptstadt.
Studium am Berklee College of Music in Boston
Mulatu Astatke war in den 1960er-Jahren vor allem von den Musiker*innen
aus Westafrika und der Karibik beeindruckt, die ihre Traditionen in
Großbritannien weiterentwickelten und mit Elementen von Jazz und anderen
Stilen mischten. So etwas wollte er auch mit seinem äthiopischen Musikerbe
probieren. Um seine kompositorischen Fähigkeiten zu vertiefen, schrieb sich
Mulatu Anfang der 1960er-Jahre am renommierte Berklee College of Music in
Boston ein, wo er der erste afrikanische Student war.
In den USA fand Astatke mit dem Vibrafon sein Signaturinstrument.
Schließlich beendete er seine Ausbildung in New York. Dort, in der
Hauptstadt des Jazz, sah er Konzerte von John Coltrane und Bud Powell und
gründete seine erste Band, The Ethiopian Quintet. Da es in den USA
allerdings kaum [1][Musiker*innen aus Äthiopien] gab, rekrutierte er
die Mitglieder seiner Gruppe vorwiegend aus Puerto Rico.
Schon zu diesem Zeitpunkt wollte er in seiner Musik Verbindungslinien
zwischen lateinamerikanischen und ostafrikanischen Formen aufzeigen. Die
Band nahm Mitte der 1960er erste Alben auf: „Afro-Latin Soul“ und
„Afro-Latin Soul Vol. 2“. Die Stücke sind eindeutig geprägt von den Trends
jener Zeit zwischen Boogaloo, Soul und Bossa Nova.
Programmatisch lässt sich „Girl From Addis Ababa“ verstehen, in dem Mulatu
Astatke [2][Astrud Gilbertos] träumerisch am Strand von Ipanema
spazierendes Mädchen nach Addis Abeba, die schnell wachsende Hauptstadt
Äthiopiens, verpflanzt. Ein weiteres Album – „Mulatu of Ethiopia“ – na…
1971 auf.
Und aus jener Musik spricht zum ersten Male deutlicher der Stil, den Mulatu
unter Ethio-Jazz versteht, die Verbindung äthiopischer Melodien mit
westlicher Harmonielehre und Instrumentierung: So basiert
„Kulunmanqueleshi“ auf einem bekannten äthiopischen Hochzeitslied, dessen
Tonfolge der Bandleader von einer Querflöte spielen lässt und mit
elektrischem Bass, Wah-Wah-Gitarre und Conga unterlegt.
Eines seiner bekanntesten Stücke: „Yèkèrmo Sèw“
Auch in Mulatus Heimat waren die Moden aus den USA inzwischen angekommen,
und als Musiker, der dort studiert und gelebt hatte, besaß Mulatu Wissen
aus erster Hand. Zurück in Addis Abeba, hatte er in den frühen 1970ern
endlich auch Musiker*innen, die die Grundlagen seiner Lieder kannten. 1974
erschien sein Hauptwerk „Yèkatit: Ethio Jazz featuring Fekade Amde Maskal“,
die erste Session in Äthiopien, die als Album konzipiert worden war. Hier
findet sich mit „Yèkèrmo Sèw“ auch eines der bekanntesten Stücke Mulatu…
Der Titel bedeutet „Mann mit Erfahrung und Weisheit“ und ist ein
umgangssprachlicher Ausdruck im Amharischen. [3][In dem Lied wollte Mulatu
ältere Menschen und Vorfahren würdigen.] Dazu verbindet er eine äthiopische
Melodielinie aus der Kirchenmusik mit Horace Silvers „Song For My Father“,
einem Hardbop-Standard mit einem ähnlichen Thema von 1965. Silvers Stück
scheint in den Bläserarrangements noch durch, verwandelt sich jedoch bei
Mulatu Astatke in eine melancholische Reflektion über Verlust.
Der Titel des Albums „Yèkatit“ verweist auf den Monat Februar des
Erscheinungsjahres, in dem die Aufstände von Studierenden gegen Haile
Selassie begannen, die dann schließlich zum Sturz des äthiopischen Kaisers
am 12. September 1974 führten und in eine sozialistische Militärdiktatur
mündeten.
Es ist einer der wenigen Hinweise im Schaffen von Mulatu auf ein
politisches Ereignis. Generell sah er seine Musik als unpolitisch an,
weshalb er Instrumentalstücke bevorzugte. Während viele Kolleg*innen das
Land verließen, blieb Mulatu. Er wandte sich der Lehre zu, verlor aber
seine Stelle, angeblich, weil er „imperialistische Musik“ fördere.
Wiederentdeckt durch „Broken Flowers“
In den 1990ern wurde seine Musik durch Neuauflagen seiner Werke in
Frankreich wiederentdeckt. Noch größere Bekanntheit erlangte er 2005 durch
den Kinofilm „Broken Flowers“, als der New Yorker [4][Regisseur Jim
Jarmusch] Lieder von Mulatu Astatke für den Soundtrack verwendete.
Seine Originalalben waren inzwischen gesuchte Sammlerstücke.
Hip-Hop-Produzent*innen sampelten seine Songs für Tracks, etwa für die
US-Rapper Nas und Killah Priest. Und auch Mulatu Astatke selbst brachte
seit 2009 wieder neue Alben heraus. Er arbeitete zumeist als Moderator und
brachte in seinen Sendungen im äthiopischen Radio den Landsleuten die
Musikgeschichte nahe. In Addis gründete er zudem einen Club, der zugleich
Musikschule war.
Mit Musiker*innen aus dem Umfeld dieses African Jazz Village sowie
versierten Instrumentalist*innen aus England hat Mulatu sein neues
Album „Mulatu Plays Mulatu“ eingespielt. Es enthält Überarbeitungen seiner
Klassiker von „Mulatu“ bis „Yèkèrmo Sèw“ für ein größeres Ensembl…
noch mehr Glanz und Eleganz entfalten. Der Charakter der Lieder bleibt
jedoch erhalten: [5][hypnotische Grooves, vertrackte Rhythmen sowie
meditative Melodiebögen], die von Trillern und Vibratos umrankt werden,
sodass ein warmer, friedvoller Sound voller Tiefe entsteht.
8 Sep 2025
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## AUTOREN
Sven Beckstette
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Jazz
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