# taz.de -- Jazztrio aus London: Augen schließen und sich fallen lassen | |
> Das österreichisch-britische Jazztrio Flur entwirft auf seinem Debütalbum | |
> „Plunge“ einen spirituellen Sound mit Anklängen an den Dancefloor. | |
Bild: Die jungen Musikerinnen von Flur lernten sich in London am Goldsmiths Col… | |
Eine Harfe, die samtig glitzernd klingt, Saxofonmelodien wie gehaucht und | |
Drumbeats, die eher Soundeffekte sind als Taktgeber: So klingt es auf dem | |
Debütalbum „Plunge“ der Formation Flur, ein spannungsreiches Klangbild im | |
Niemandsland zwischen Ambient und Free Jazz. Zudem führt „Plunge“ viele | |
interessante Fäden ins Jetzt, um ahnen zu lassen, wie sich das Erbe des | |
Spiritual Jazz von heute aus in die Zukunft fortführen lässt. | |
Das Londoner Trio lädt mit seinem Sound zum genauen Hinhören ein. Seine | |
zehn Songs auf „Plunge“ klingen luftig und intensiv, introvertiert und | |
zugleich weitläufig. Die Band scheut keine Repetitionen, bewegt sich im | |
gemächlichen Tempo, wobei ein Großteil ihrer Songs komplett ohne Beat | |
auskommt. | |
Zwischen Meditationskissen und Vinylregal mag sich Spiritual Jazz | |
gegenwärtig entspannt anfühlen, doch seine Wurzeln liegen in der radikalen | |
Suche nach gesellschaftlichem Freiraum. Das afroamerikanisch geprägte Genre | |
entstand Mitte der 1960er Jahre in den USA, eng verknüpft mit Namen wie | |
John und Alice Coltrane oder Pharoah Sanders. | |
## Die Suche nach Freiräumen | |
Es war damals eine Phase, in der in den USA gesellschaftliche Umbrüche | |
anstanden, das Land nach außen immer tiefer in den Vietnamkrieg verstrickt | |
war und zu Hause die rassistische Benachteiligung der Schwarzen Bevölkerung | |
auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung in Aufständen kulminierte. | |
Dieses politische und soziale Reizklima hat insbesondere Schwarze | |
Künstler:innen dazu bewogen, im Rahmen von Jazz und bildender Kunst nach | |
politischen, sozialen, religiösen und auch musikalischen Ideen zu suchen. | |
Sie verbanden Jazz mit Folkeinflüssen aus Fernost bis Afrika und setzten | |
ihn als Antwort auf systemische Unterdrückung und autoritäre Strukturen | |
ein. | |
Mehr als ein halbes Jahrhundert danach stellt sich die Frage: Wie kann | |
Spiritual Jazz im Hier und Jetzt aussehen? Seine politische Schärfe mag | |
geringer geworden sein, [1][doch finden Künstler:innen weltweit neue | |
Wege, die Tradition experimenteller, spiritueller Klänge fortzuführen] und | |
durch Musik nach Transzendenz zu streben. | |
Ohne Transzendenz zur bloßen Retrokopie zu machen, kombinieren auch Flur | |
Jazzelemente mit Einflüssen verschiedenster globaler Stilrichtungen und | |
strecken ihre Hände der elektronischen Musik entgegen. | |
Flur ist die gemeinsame Sache der österreichisch-äthiopischen Harfenistin | |
Miriam Adefris, des britischen Saxofonisten Isaac Robertson und des | |
Perkussionisten Dillon Harrison. Kennengelernt haben sich die drei beim | |
Studium an der Goldsmiths, University of London. Einzeln arbeiteten sie | |
mit Künstler:innen wie Ganavya, [2][Floating Points] und [3][Shabaka | |
Hutchings] – zentralen Stimmen der aktuellen Londoner Jazz- und | |
Elektronikszene. | |
Mit seinem Debütalbum „Plunge“, erschienen beim Pariser Label Latency, | |
bringt das Trio eine eigenständige Perspektive auf [4][das vertraute | |
Setting mit Harfe]: Die üppigen Klänge bilden einen soften Kontrapunkt zu | |
kantigen Melodien und rhythmischen Strukturen. Der Auftaktsong „Nightdiver“ | |
beginnt mit sanften Harfenläufen, bevor lang gezogene Saxofonhooklines neue | |
Richtungen öffnen, um anschließend wieder an Tempo zu gewinnen. | |
## Gleiten über sanfte Wellen | |
„Bolete“ kombiniert perkussives Zupfen mit komplexem Groove und | |
unerwarteten elektronischen Effekten. Die zweite Albumhälfte startet mit | |
„Hold Fast Old Kelp“ in noch sphärischere Gefilde aus verzerrtem Loop, | |
tiefen Frequenzen und melodischen Fragmenten. | |
„Trimaran“, passend benannt nach einem Boot mit drei Rümpfen, gleitet über | |
sanfte Wellen – meditativ und doch voller Dynamik. Musik, die einlädt, das | |
Konzept von Raum und Zeit zu verwerfen. Kopfnicken oder Augen schließen. Zu | |
sphärisch für Jazz, zu kantig für Ambient: „Plunge“ bietet entspannte | |
Flächen, in die man sich fallen lassen kann, und Strukturen, die | |
Konzentration belohnen. | |
Man kann sich völlig verlieren, wegdriften und meditativ entspannen – oder | |
aufmerksam zuhören und den feinen Detailreichtum dieser feingliedrigen | |
Musik entdecken. Beides funktioniert, beides macht Spaß. Ein starkes Debüt | |
eines Ensembles, das Spiritual Jazz ohne falsche Ehrfurcht in die Gegenwart | |
weiterdenkt und eine klare, eigenwillige Handschrift erwarten lässt. | |
9 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anna Grubauer | |
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