| # taz.de -- Was Zähne erzählen: Auf den Zahn gefühlt | |
| > Zahnschmelz ist die härteste Substanz in unserem Körper – robust genug, | |
| > um Jahrmillionen zu überdauern. Und es enthüllt viel über die | |
| > Urzeitwelten. | |
| Bild: im Zahnschmelz des Dino-Gebiß können Proteine über sehr lange Zeiträu… | |
| Berlin taz | Der Fund an sich wirkt zunächst unscheinbar: ein 24 Millionen | |
| Jahre alter Nashornzahn aus Kanada. Mit etwas Glück könnten so einen | |
| fossilen Zahn auch Hobbysammler finden. Aufregender ist die genaue | |
| Untersuchung des Zahnschmelzes. Forschende aus Kanada und Dänemark konnten | |
| Sequenzen von sieben Proteinen gewinnen und mehr als 1.000 | |
| Peptidspektrum-Übereinstimmungen identifizieren, die mindestens 251 | |
| Aminosäuren umfassen. | |
| Möglich machte dies ein hochsensitives massenspektrometrisches Verfahren, | |
| das winzigste Proteinreste aufspüren kann. Um den wissenschaftlichen Wert | |
| dieser Entdeckung zu zeigen, verglichen die Forschenden die alten Sequenzen | |
| mit Proteinen von lebenden und jüngeren, ausgestorbenen Nashornarten. Die | |
| Aminosäurenabfolgen lassen Rückschlüsse auf Verwandtschaftsverhältnisse und | |
| die Evolution des Nashorns zu. | |
| Wirklich neue Erkenntnisse über etwaige Großeltern oder entfernte Cousins | |
| der heutigen Nashörner brachte das zwar nicht. Wichtig genug für eine | |
| Publikation im Fachblatt Nature ist jedoch der Forschungsansatz selbst. | |
| „Der Zahnschmelz ist so hart, dass er diese Proteine über sehr lange | |
| Zeiträume schützt. Es ist im Wesentlichen wie ein Tresor“, wird | |
| Studienleiter Ryan Sinclair Paterson in der zugehörigen Pressemeldung | |
| zitiert. | |
| Diese natürliche Konservierung funktioniert nicht nur in der Arktis mit | |
| ihren besonderen Erhaltungsbedingungen. Eine parallel veröffentlichte | |
| Nature-Studie eines amerikanischen Teams belegt, dass auch in tropischen | |
| Gebieten Kenias Proteine bis zu 18 Millionen Jahre in Zahnschmelz | |
| überdauern können. Paterson und seine Kollegen hoffen mittelfristig auf | |
| noch ältere Proteininformationen. Die Studie zeigt, dass Proteine unter | |
| günstigen Bedingungen mindestens 24 Millionen Jahre überstehen und damit | |
| theoretisch auch die 66 bis 230 Millionen Jahre überdauern könnten, die uns | |
| von den Dinosauriern trennen – oder sogar eventuell noch länger. | |
| ## Dinobeißerchen bis ins kleinste Detail vermessen | |
| Die Chancen dafür stünden gut, glaubt auch Geochemiker Thomas Tütken von | |
| der Universität Mainz. Er war an der aktuellen Studie zwar nicht beteiligt, | |
| ist aber ein ausgewiesener Experte für die Analyse von Zahnschmelz. „Dass | |
| im Zahnschmelz auch Proteine über sehr lange Zeiträume erhalten bleiben, | |
| haben wir schon länger vermutet. Es laufen schon weitere Untersuchungen zu | |
| älteren Zähnen.“ | |
| [1][In der Paläontologie] könnte dieser neue Ansatz bei der Beantwortung | |
| vieler wichtiger Fragen helfen. Bisher werden Verwandtschaftsverhältnisse | |
| vor allem über die Gestalt der Tiere, also die Morphologie ihrer | |
| Skelettreste, nachgewiesen. Mithilfe von Proteinresten in Dinosaurierzähnen | |
| könnten Verwandtschaftsverhältnisse künftig noch sicherer und unabhängig | |
| von der Knochen- oder Zahnform bestimmt werden. Spannend wäre das zum | |
| Beispiel bei der Frage nach der Abspaltung der modernen Vögel von den | |
| Dinosauriern oder nach den ersten wirklichen Säugetieren. Doch | |
| Verwandtschaftsverhältnisse sind nicht die einzigen Urzeitgeheimnisse, die | |
| dank Zähnen gelüftet werden können. | |
| Traditionell untersuchen Forschende die Oberfläche der Zähne. Per Laser | |
| können Dinobeißerchen bis ins kleinste Detail vermessen werden. Die | |
| Abnutzungsspuren zeigen sich dabei wie eine dreidimensionale Geländekarte | |
| mit Bergen und Tälern. | |
| Aus der Beschaffenheit lässt sich rekonstruieren, wie die Nahrung wohl | |
| aussah. Ein Ergebnis solcher Untersuchungen: [2][Junge Tyrannosaurier] | |
| hatten ein anderes Fressverhalten als die ausgewachsenen Tiere. Die Zähne | |
| der Jungtiere waren deutlich stärker abgenutzt. Vermutlich liegt das daran, | |
| dass sie häufiger Knochen abnagten und sich stärker von Kadavern ernährten. | |
| Die erwachsenen Tiere machten dagegen häufiger lebende Beute. Bei kleinen | |
| Pflanzenfressern zeigen die Zähne Abnutzungsspuren von Gestein, weil sie | |
| Grünzeug am Boden abrupften und damit öfter auf Sand und an den Pflanzen | |
| anhaftenden Gesteinsstaub bissen. | |
| ## „Im Zahnschmelz lesen wie in einem Tagebuch“ | |
| Ein neuerer Ansatz ist der Blick auf die Isotopensignaturen, die sich im | |
| Zahnschmelz bei dessen Biomineralisation einlagern. Dabei handelt es sich | |
| um Varianten von Elementen, die sich in ihrer Masse unterscheiden. Weil die | |
| Verhältnisse von schwereren zu leichten Isotopen durch Klima oder Nahrung | |
| systematisch variieren, lässt sich auch nach Millionen von Jahren | |
| herausfinden, was die Tiere gefressen haben und unter welchen | |
| Umweltbedingungen sie lebten. So eignen sich Isotope des essenziellen | |
| Spurenelements Zink gut dafür, die Nahrung von Tieren zu rekonstruieren: | |
| Muskelfleisch enthält mehr Zink-64 als Pflanzenmaterial. | |
| Je höher ein Tier in der Nahrungskette steht, desto kleiner ist das | |
| Verhältnis von Zink-66 zu Zink-64. Strontium wiederum wird auch mit der | |
| Nahrung aufgenommen und wegen ähnlicher chemischer Eigenschaften anstelle | |
| von Kalzium in Knochen und Zähnen eingelagert. Mithilfe des | |
| Strontiumisotopenverhältnisses lässt sich mehr über die Herkunft und | |
| Wanderung der Tiere herausfinden. Isotopen verändern sich nämlich in | |
| verschiedenen Ökosystemen und Landschaften. „Im Prinzip lernen wir gerade, | |
| im Zahnschmelz zu lesen wie in einem Tagebuch“, sagt Tütken. Die Methode | |
| ist dabei minimalinvasiv, nur wenige Milligramm Material genügen | |
| typischerweise für eine Isotopenanalyse. Gerade bei seltenen Zahnfunden ist | |
| das ein großer Vorteil. | |
| Zuletzt hat der Mainzer Geochemiker zusammen mit anderen Forschenden Zähne | |
| verschiedener Dinosaurier aus dem späten Jura und der späten Kreide | |
| untersucht – darunter auch [3][die bananengroßen Beißer des T-Rex]. Dabei | |
| analysierten sie, in welchem Verhältnis drei stabile Sauerstoffisotope im | |
| Zahnschmelz erhielten blieben. „Der im Zahnschmelz eingelagerte Sauerstoff | |
| stammt zum Teil von dem Sauerstoff, den die Dinosaurier damals eingeatmet | |
| haben. Und daraus lassen sich ziemlich genaue Rückschlüsse auf die | |
| Zusammensetzung der damaligen Atmosphäre und damit das urzeitliche Klima | |
| ziehen“, so Tütken. | |
| Die Analyse von Dinosaurierzahnschmelz offenbarte dramatisch höhere | |
| CO2-Werte in der Vergangenheit: Im späten Jura lag der | |
| Kohlenstoffdioxidgehalt der Atmosphäre viermal höher als vor der | |
| Industrialisierung, in der späten Kreidezeit noch fast dreimal so hoch. | |
| Besonders auffällig waren die Isotopenwerte in den Zähnen eines | |
| Tyrannosaurus rex, die wahrscheinlich auf CO2-Spitzen durch gewaltige | |
| Vulkanausbrüche hindeuten. Noch eine Erkenntnis: Die globale | |
| Photosyntheseleistung der urzeitlichen Pflanzen war im urzeitlichen | |
| Treibhausklima deutlich höher als heute. | |
| Auch die alte Frage nach der Körpertemperatur der Dinosaurier konnte durch | |
| Zahnschmelzanalysen (erneut) beantwortet werden. Lange hielt man | |
| Dinosaurier für wechselwarm – ähnlich wie Eidechsen oder Schlangen. Diese | |
| Annahme wurde inzwischen mehrfach widerlegt, auch dank der chemischen | |
| Zusammensetzung des Zahnschmelzes. Das Team analysiert gezielt die | |
| Kohlenstoff- und Sauerstoffisotopenzusammensetzung des im Zahnschmelz | |
| gebundenen kleinen Karbonatanteils. Je seltener die Isotope beider Elemente | |
| darin eine Verbindung eingehen, desto wärmer war die Temperatur. Wie mit | |
| einem Fieberthermometer konnten sie sogar die Körpertemperatur einzelner | |
| Tiere bestimmen. Bei großen Langhalsdinosauriern wie dem Giraffatitan lag | |
| sie bei rund 38 Grad. Doch damit nicht genug: Zahnschmelz verrät | |
| Forschenden heute sogar, wie sich Lebewesen vor Jahrmillionen bewegten. | |
| Entenschnabel-Dinosaurier, auch liebevoll „Kühe der Kreidezeit“ genannt, | |
| zogen zum Beispiel in großen Herden von Hunderten Tieren durch die | |
| Landschaft, stets auf der Suche nach frischem Grün. Dabei legten sie | |
| Tausende Kilometer zurück. Auch Camarasaurus, ein 20 Meter langer | |
| Langhalssaurier, war ein Wanderer. Ein Forscherteam des Colorado College | |
| untersuchte verschiedene Sauerstoffisotope im Zahnschmelz des Tieres und | |
| entdeckte, dass es seinen Durst nicht nur in flachen Seen der Heimat | |
| stillte. Unterschiedliche Konzentrationen des Sauerstoffisotops O-18 | |
| zeigten, dass die Tiere wohl auch in höhere Bergregionen zogen, um dort zu | |
| fressen und zu trinken. Die Forschenden schlossen daraus: Im heißen Sommer | |
| bevorzugten sie die schattigen Berge und kehrten im Herbst ins Flachland | |
| zurück. Dank ihrer Einträge im Zahnschmelztagebuch konnten Forschende an | |
| diesen Reisen teilhaben – wenn auch nur mit Mikroskop und | |
| Massenspektrometer. | |
| 21 Sep 2025 | |
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| Birk Grüling | |
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