Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Elternsprechtag für mich und meine Frau: Die armen Lehrer
> Meine Tochter Hatice ist in der Schule auf die schiefe Bahn geraten.
> Jetzt mache ich mir Sorgen. Zumal bei dem großen Deutschenanteil in der
> Klasse.
Bild: Ein wohlbekanntes Schmiermittel – auch bei Hatice in der Schule
Endlich! Die Schulferien sind vorbei, meine kleine Tochter Hatice muss zur
Schule und wir haben wenigstens den halben Tag Ruhe zu Hause. Sollen sich
doch jetzt die Lehrer mit dem kleinen Teufel rumärgern! Wozu bezahle ich
denn so viel Steuern?
„Oh, du arme Hatice, jetzt musst du noch mindestens 20 Jahre lang zur
Schule und den ganzen Tag Mathematik lernen“, stöhnt ihr linksradikaler
Bruder, der ewige Student Mehmet. „Schau mich an, ich habe auch so klein
anfangen wie du, und ich muss heute leider immer noch dahin.“
„Papa, stimmt das, was Mehmet gesagt hat?“, fragt Hatice mit entsetzten
Augen. „Das sag ich euch gleich, wenn ich dort ständig rechnen muss, dann
trete ich aus dem Verein sofort wieder aus!“
Hatice geht gerade mal eine Woche zur Schule, schon hat ihre Lehrerin Frau
Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart nur für mich und meine Frau einen
Elternsprechtag organisiert.
„Herr Engin, ich muss Ihnen leider sagen, dass sich Hatice ihre Aufgaben
von Mitschülern machen lässt. Und das für 50 Cent pro Tag.“
„Hatice, stimmt das etwa? Kind, wie kannst du mir das antun?“, frage ich
meine kleine Tochter vor dem versammelten Lehrerzimmer mit einem so tollen
pädagogischen Unterton in der Stimme, dass alle Lehrer neidisch werden.
„Damit aber nicht genug, Herr Engin. Hatice hat auch mir allen Ernstes Geld
angeboten, damit ich Ihnen davon nichts erzähle. In meiner ganzen Karriere
habe ich so was noch nicht erlebt“, ruft sie empört.
„Nehmen Sie es doch nicht so tragisch, Frau Lehrknecht-Ziegenbart. Die
Kleine hat auch mir schon öfters Schmiergeld gegeben, damit ich ihrer
Mutter nichts verrate.“
„Vater, was erzählst du denn hier?“, stoppt mich Hatice. „Ist das etwa
meine Schuld? Von Mutter und dir war doch kein besseres Kind zu erwarten.“
Und dann bekommt auch noch die Lehrerin ihr Fett weg: „Frau
Lehrknecht-Ziegenbart, wenn Sie unbedingt jemanden bestrafen wollen, dann
knöpfen Sie sich doch Klaus und Ingo vor. Die beiden Geldgierigen haben
doch Schmiergelder angenommen und sich zum Nachteil der Allgemeinheit
bereichert!“
„Oh, Allah, [1][die armen Lehrer!] Die können einem echt leidtun. Eminanim,
stell dir mal vor, es gibt in der Klasse noch fünf Kinder von Hatices
Sorte“, flüstere ich meiner Frau zu.
„Osman, glaubst du, die machen [2][einen solchen Beruf freiwillig?“],
wundert sie sich.
„Aber Eminanim, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit sind die verzweifelten
Menschen doch über jeden Job froh, und sei er noch so
[3][gesundheitsschädlich].“
Beim Rausgehen flüstert mir meine Frau ziemlich besorgt zu: „Du, Osman,
Frau Lehrknecht-Ziegenbart hat gesagt, dass Hatice mehr als zehn deutsche
Mitschüler haben soll. Hoffentlich geht das bloß gut bei einem so großen
Deutschenanteil.“
„Eminanim, ich habe keine Vorurteile gegen deutsche Kinder. Das Einzige,
worüber ich mir Sorgen mache, ist, dass sie schon in zwei, drei Jahren mit
Sexualunterricht anfangen.“
„So lange brauchst du nicht zu warten, Osman. Wenn du was Konkretes wissen
willst, kann dich Hatice jetzt schon aufklären.“
20 Sep 2025
## LINKS
[1] /World-Teachers-Day/!6040818
[2] /Lehrermangel-in-Berlin/!6076380
[3] /Bildungspolitik-in-Berlin/!6031391
## AUTOREN
Osman Engin
## TAGS
Kolumne Alles getürkt
Bestechung
Schule
Kinder
Eltern
Reden wir darüber
Social-Auswahl
Zukunft
Lesestück Recherche und Reportage
Schule
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zukunft der Bildung: Keine toxischen Hierarchien im System
Ein Blick in die Zukunft: Warum man im Jahr 2125 an Schulen
Improvisationstheater spielt – und damit auch noch jede Menge fürs Leben
lernt.
Ein Quereinsteiger als Lehrer berichtet: Das Pochen am Hals
Schulen in Deutschland haben ein massives Problem: Immer mehr
Lehrer:innen geben auf. Können Quereinsteiger:innen die Lücken
füllen?
Zulage an Brennpunkt-Schulen in Berlin: An der Realität vorbei
Lehrer*innen in Neukölln-Britz protestieren gegen die Brennpunktzulage des
Senats, weil ihre Schule trotz vieler Gewaltvorfälle leer ausgeht
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.