# taz.de -- Homosexualität in der ukrainischen Armee: „Wenn die Ukraine verl… | |
> Veteran Viktor Pylypenko gehörte zu den ersten ukrainischen Soldaten, die | |
> sich outeten. Jetzt streitet er weiter für die Rechte der LGBT-Community. | |
Bild: „Wenn die Ukraine verliert, werden wir die ersten Opfer des russischen … | |
taz: Herr Pylypenko, Sie verteidigen Ihr Land seit der | |
Euromaidan-Revolution im Jahr 2014. Sie leben offen schwul. Ist die | |
Akzeptanz für queere Menschen in der ukrainischen Armee nach mehr als zehn | |
Jahren Krieg gestiegen? | |
Viktor Pylypenko: Die Situation ist heute sehr anders. Als ich im Jahr 2018 | |
mein Coming-out hatte, war Homophobie weit verbreitet. Viele Ukrainer | |
glaubten, dass es keine schwule Männer an der Front gab, dass Schwule keine | |
Verteidiger, keine Patrioten sein könnten. Ich und die anderen Männer und | |
Frauen in der Armee, die ihre Sexualität öffentlich machten, waren wie | |
schwarze Schwäne. Mit diesem Schritt an die Öffentlichkeit begannen wir, | |
die Wahrnehmung vieler Ukrainer*innen gegenüber LGBT-Personen zu | |
verändern. Auch wenn manche kritisierten, dass der Krieg mit Russland erst | |
mal Priorität habe. | |
taz: Sie waren damals erst der zweite ukrainische Soldat, der sich outete. | |
Wie reagierten Ihre Kameraden darauf? | |
Pylypenko: Ich war zu dem Zeitpunkt Veteran, bevor ich ab Februar 2022 | |
wieder aktiver Soldat wurde. Für mich war es etwas Existenzielles. Ich | |
wollte auch als Zivilist weiter für eine demokratische Ukraine kämpfen. Nur | |
ein paar Kameraden aus meiner alten Einheit äußerten sich homophob über | |
mein Coming-out. Die allermeisten unterstützen mich. | |
taz: Schätzungen zufolge sind etwa zehn Prozent ukrainischer | |
Soldat*innen LGBT, also lesbisch, schwul, bisexuell oder trans – | |
ungefähr so viel wie in der Gesamtgesellschaft. Viele berichten davon, dass | |
sie nach ihrem Coming-out ihre Einheit wechseln müssen, wegen Mobbing und | |
Drohungen. | |
Pylypenko: Homophobie ist weiterhin ein großes Problem in der ukrainischen | |
Armee. Es gibt Einheiten, in denen Soldaten keinen Hehl daraus machen. Sie | |
sind aber nicht repräsentativ für die gesamten Streitkräfte. Ein Problem | |
ist: Die Streitkräfte folgen zwar demokratischen Statuten, Homophobie gibt | |
es aber als Diskriminierungsform offiziell nicht. Deshalb berät unser | |
Verein LGBT Military Betroffene in der Armee. | |
taz: Im Jahr 2019 wurde der offen homosexuelle Veteran Vasyl Davydenko auf | |
dem Heimweg von fünf Personen zusammengeschlagen – offenbar ein | |
homofeindlicher Angriff. Kommt es häufig zu solchen Attacken? | |
Pylypenko: Auch ich wurde in diesem Jahr körperlich angegriffen. Schon | |
damals zeigte sich die ukrainische Gesellschaft empört über diese beiden | |
Attacken, weil wir in erster Linie als Veteranen des Krieges galten, nicht | |
als Schwule. Das war in den Augen vieler also ein Angriff auf Verteidiger | |
der Ukraine. Seitdem gab es kaum körperliche Attacken gegen die Community, | |
sondern vor allem homophobe Kommentare in den sozialen Medien. Doch | |
neulich, am 18. August, kam es zu einem Vorfall mit Denis Nikitin. | |
taz: Der russische Neonazi, mit bürgerlichem Namen Denis Kapustin, der | |
aktuell als Freiwilliger aufseiten der Ukraine gegen Russland kämpft. | |
Pylypenko: Ich war bei der Trauerfeier für den linken Künstler David | |
Chichkan, der an der Front getötet wurde, auf dem Maidanplatz in Kyjiw. Es | |
war sein Wunsch, möglichst viele Flaggen bei der Zeremonie zu haben, die | |
für Freiheit stehen. Ich und ein Freund brachten eine Regenbogenflagge mit. | |
Denis Nikitin war auch auf dem Maidan und riss mir die Flagge weg. Ich | |
griff ihn an, um die Flagge zurückzubekommen. Dann schritten andere | |
Menschen ein, sie wussten aber nicht, wer ich und wer der Angreifer war. Am | |
Ende haben sowohl Nikitin als auch ich Pfefferspray ins Gesicht abbekommen. | |
taz: Vor der russischen Invasion im Februar 2022 griffen Rechtsextreme | |
immer wieder die jährliche Pride-Demo in Kyjiw an. Nach einer zweijährigen | |
kriegsbedingten Pause findet sie seit vergangenem Jahr wieder statt. | |
Verläuft sie jetzt friedlicher? | |
Pylypenko: Auch wir nehmen daran teil. Manche Soldat*innen werden für | |
die Demo von ihren Vorgesetzten freigestellt. Die Polizei [1][bittet uns | |
immer wieder darum, keine Pride-Demos zu organisieren], weil sie nicht für | |
unsere Sicherheit sorgen wollen. Doch unsere Menschenrechte können nicht | |
auf die Zukunft verschoben werden. In diesem Krieg geht es darum, ob wir | |
einer europäischen Welt mit europäischen Werten angehören, der wir immer | |
angehört haben, oder einer Welt der russischen Tyrannei, in der es keine | |
Freiheit für das Individuum gibt. Deshalb ist auch der Kampf für die | |
kleinste Minderheit äußerst wichtig. | |
taz: Eine orthodoxe Kirche in Kyjiw hat Ihnen die „Medaille für | |
Opferbereitschaft und Liebe zur Ukraine“ wieder entzogen, weil Sie schwul | |
sind. Viele Soldaten und Freiwillige haben daraufhin ihre Medaillen aus | |
Protest zurückgegeben. | |
Pylypenko: Die ukrainische Kirche ist leider bis heute homophob, selbst die | |
vermeintlich progressivsten Teile. Sie ist immer eng verwoben gewesen mit | |
dem KGB, heute dem FSB. Der Mann, der mir die Medaille wegnahm, war früher | |
KGB-Agent. Aber wir haben weniger Probleme mit der Kirche, [2][weil sie mit | |
sich selbst beschäftigt ist]. | |
taz: Um gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren, müsste die ukrainische | |
Verfassung geändert werden, was unter dem jetzigen Kriegsrecht nicht | |
möglich ist. Ein 2023 eingebrachter Gesetzentwurf, der eingetragene | |
Partnerschaften legalisieren würde, ist im ukrainischen Parlament ins | |
Stocken geraten. Warum? | |
Pylypenko: Bedauernswerterweise ignorieren Präsident Selenskyj und seine | |
Partei Diener des Volkes Menschenrechte für LGBT-Soldat*innen, obwohl sie | |
behaupten, inklusiv zu sein. Wir erzählen Abgeordneten immer wieder davon, | |
wie Menschen ihre verletzten Lebenspartner*innen im Krankenhaus nicht | |
besuchen dürfen, wie sie keine Rechte im Fall ihres Todes haben, wie ihre | |
gemeinsamen Kinder dann im Waisenhaus landen können. Immer wieder antworten | |
sie mit vorgeschobenen Gründen, die Kirche sei dagegen und so weiter. Das | |
ist heuchlerisch. Denn immer, wenn es ein unbeliebtes Gesetz gibt, das sie | |
aber persönlich bereichern würde, spielt die öffentliche Meinung plötzlich | |
keine Rolle. Deshalb sagen wir Selenskyj und seiner Partei: Spielt nicht | |
mit dem Leben der Verteidiger*innen dieses Landes. | |
taz: Einem Bericht des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie | |
zufolge glauben 70 Prozent der Ukrainer*innen, dass queere Menschen gleiche | |
Rechte wie alle anderen haben sollen. Ist das Parlament konservativer als | |
die Gesellschaft? | |
Pylypenko: Ja, so ist es. Die öffentliche Meinung hat sich in den | |
vergangenen Jahren enorm verändert. Aber ukrainische Abgeordnete ignorieren | |
das. | |
taz: Die Ukraine kämpft gegen ein autoritäres, homofeindliches Regime in | |
Moskau. Macht Ihnen das noch mehr Angst um die Zukunft, sollte die Ukraine | |
den Krieg verlieren? | |
Pylypenko: Uns ist bewusst: Wenn die Ukraine verliert, werden wir die | |
ersten Opfer des russischen Regimes sein. Russland verwendet Homophobie als | |
Instrument in diesem Kampf, der sich auch gegen Europa richtet. „Bis nach | |
Berlin“ lautet die Parole aus dem Zweiten Weltkrieg, die die Russen heute | |
wieder auf ihren Panzer schreiben. Der Kreml spricht von „Gayropa“, das aus | |
Schwulen und Faschisten bestehe. Er stellt den Krieg als einen Kampf gegen | |
korrupte westliche Werte dar, die angeblich die russische Jugend | |
verschwulen. Diese Propaganda motiviert Russen, gegen die Ukraine zu | |
kämpfen. | |
taz: Hat Wladimir Putins homofeindliche Ideologie Ukrainer*innen | |
weniger homophob gemacht, in Abgrenzung zum angreifenden Regime? | |
Pylypenko: Wir als LGBT Military weisen auf die staatlich gesponserte | |
Homophobie in Russland hin, um ukrainischen Homophoben klarzumachen, wo das | |
hinführt. Wir betonen, dass es uns nicht nur um den Schutz von | |
LGBT-Menschen geht, sondern um Menschenrechte und liberale Werte. Es geht | |
um Respekt und Würde. Wir kämpfen hier für alle. | |
taz: Im August empfing US-Präsident Trump in Alaska Putin, auf konkrete | |
Versicherungen für ein Ende des Krieges wartete man vergeblich. | |
Pylypenko: Es war ein Zirkus. Und eine Erniedrigung des US-amerikanischen | |
Militärs, das den roten Teppich für einen Kriegsverbrecher ausrollen | |
musste. Eine Schande. In der Ukraine kämpfen wir um unser Überleben. Das | |
ist kein Konflikt, der in zwei Wochen einfach aufhören wird, wie Trump es | |
immer wieder verkaufen will. Deshalb brauchen wir von Deutschland | |
Langstreckenraketen wie Taurus – um Russlands Ölraffinerien und | |
Flugzeugstützpunkte anzugreifen, zum Schutz unserer Zivilbevölkerung. Denn | |
diese Infrastruktur ermöglicht es Kampfflugzeugen, Raketen zu | |
transportieren, die unsere Zivilist*innen töten. Der Tod diskriminiert | |
nicht danach, ob man schwul ist oder nicht, und auch nicht, ob man homophob | |
ist oder nicht. | |
12 Sep 2025 | |
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Nicholas Potter | |
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