# taz.de -- LGBTIQ+ in der Ukraine: Unter Beschuss von außen und innen | |
> Nicht nur Russlands Angriffe gefährden die Kyjiwer Regenbogen-Gemeinde, | |
> sondern auch Queerfeindlichkeit innerhalb der geschundenen Gesellschaft. | |
Bild: Auch Queers kämpfen an der Front: Ein Soldat läuft bei der Kyjiv Pride … | |
Kyjiw taz | An einem grauen Kyjiwer Samstagmorgen werden die Zahlenfolgen | |
5488 und 9103 zu Sprechchören. Sie beziffern Gesetzentwürfe, für die in der | |
Ukraine demonstriert wird: gegen Hassverbrechen und für eine eheähnliche | |
Partnerschaft für queere Paare. | |
Eingeklemmt zwischen Polizeiautos und Gefangenentransportern und umringt | |
von Hunderten Polizisten versammeln sich an einem Vormittag Mitte Juni mehr | |
als 1.000 Menschen auf der Kreuzung über der U-Bahn-Station „Teatralna“. | |
Ein Banner begrüßt die bunte Menge mit dem diesjährigen Motto der | |
Pride-Parade „Einheit durch Vielfalt“. In wenigen Minuten formieren sich | |
Blöcke. Die Organisator:innen und der Verein LGBTQ military führen | |
den Marsch für queere Gleichberechtigung an. | |
Dass Militärs die Queers unterstützen, ist für die Bewegung im Krieg | |
besonders wichtig. Nach Russlands Invasion 2022 hatte sie schnell viel | |
Zuspruch erfahren. Dass auch lesbische, schwule, bisexuelle und trans | |
Personen in den Reihen der Armee gegen den Aggressor kämpfen, hatte | |
beispielsweise einer Petition für die Ehe für alle überraschend Millionen | |
von Unterstützungsunterschriften gebracht. | |
Der Umzug ist laut und politisch. Wechselnde Sprechchöre fordern | |
Gleichbehandlung und Sicherheit für LGBTQ+ im Allgemeinen sowie gleiche | |
Rechte für queere Soldat:innen im Besonderen. Denn wer unverheiratet | |
seine:n Partner:in im Krieg verliert, hat bis jetzt keinerlei Recht auf | |
Informationen, Beerdigung und Entschädigungszahlungen. Doch die Ehe steht | |
als „freiwillige Verbindung von Mann und Frau“ in Artikel 51 der | |
ukrainischen Verfassung, und die kann während des Kriegszustandes nicht | |
verändert werden. Also bleibt eine zivile Partnerschaft, ein Gesetzentwurf | |
dafür liegt seit 2023 vor. | |
## Schwierige Absprachen mit der Polizei | |
Dass die Parade in Kyjiw stattfinden kann, ist keine | |
Selbstverständlichkeit. Die Organisator:innen erleben heftigen | |
Widerstand. Nicht nur wegen der seit Monaten zahlenmäßig zunehmenden | |
russischen Luftangriffe mit Drohnen und Raketen. Sondern auch wegen der | |
brutal auftretenden Pride-Gegner, mobilisiert von der | |
nationalistisch-christlichen, wegen früherer prorussischer Umtriebe | |
umstrittenen Partei Bratstwo, Bruderschaft, unter Dmytro Kortschynsky sowie | |
der „Prawa Molod“, der Jugendorganisation des extremistischen „Rechten | |
Sektor“. Offiziell positionieren diese sich für „Familie und traditionelle | |
Werte“ und drohen damit, dass die Ukraine wegen LGBTQ+-Events keine | |
militärische Unterstützung mehr von Trumps republikanischer US-Regierung | |
bekommen könnte. Kortschynsky behauptet in einem Video gar, die Queers | |
seien von Russlands Geheimdienst bezahlt. | |
Polizei und Militärverwaltung der Hauptstadt beriefen sich auf | |
Sicherheitsbedenken, bauten Druck auf und drängten zur Absage der | |
Veranstaltungen, erklärt Projektmanager Mychajlo Jurow von KyjiwPride. „Die | |
Absprachen mit der Polizei im Vorhinein sind immer sehr schwierig. Während | |
der Veranstaltung dagegen verhalten sich die Beamt:innen sehr gut und | |
freundlich, einige sagten diesmal zu uns: ‚Wir schützen hier die | |
Menschenrechte.‘“ | |
Eine Woche vor der Pride-Demo hatte bereits die Kulturveranstaltung | |
KyjiwPride Park starkem Druck standhalten müssen. Geplant war ursprünglich | |
ein Event mit Diskussionen, Infoständen, Kreativecken und Konzerten in | |
einem Pavillon des glamourösen Messegeländes WDNH. Doch zwei Tage vorher | |
meldete die Polizei, es sei ein Terroranschlag angedroht worden. Wenn das | |
WDNH auf die Veranstaltung bestehe, müsse die Polizei sämtliche Ein- und | |
Ausgänge für jenen warmen Juni-Samstag absichern. Das Messegelände knickte | |
ein, KyjiwPride Park stand kurz vor der Absage. | |
Bis sich überraschend das ukrainische Außenministerium bereit erklärte, | |
seinen Hof − malerisch und zentral gelegen − zur Verfügung zu stellen. Das | |
Programm fand zwar um Stände und Konzerte gekürzt statt. Trotz Drohungen, | |
Hitze, Ortswechsel und heftigster russischer Nachtbeschüsse kamen dennoch | |
rund 1.200 Menschen, um über queere Rechte, EU-Integration und russische | |
Desinformation zu diskutieren. Dabei sammelte KyjiwPride 140.000 Hrywnja | |
für die Armee ein. | |
## Auch queere Menschen kämpfen an der Front | |
Auch gegen Pride Park protestierten Rechtsnationale: Die Aggressivsten nahm | |
die Polizei vor Veranstaltungsbeginn fest, übrig blieben einige Dutzend | |
Jugendliche der Prawa Molod, die den Queers zubrüllten: „Kraft der | |
Tradition, Gräber den Schwuchteln“ und „Wir sorgen für Ordnung.“ | |
Seitdem der Gesetzentwurf für die zivile Partnerschaft eingebracht wurde, | |
stagniert die Initiative. „Momentan scheint es realistischer, dass wir | |
zuerst ein Gesetz gegen Hassverbrechen durchbekommen“, erklärt Mychajlo | |
Jurow von KyjiwPride. Darum konzentriere man sich in der politischen Arbeit | |
aktuell darauf. Auf den Pride-Events bleibt die zivile Partnerschaft aber | |
ein Kernanliegen der Community: „Mein Partner kämpft an der Front“, wendet | |
sich ein junger Mann an die Sprecher der Pride-Park-Diskussion zum Thema | |
[1][Queers und Armee]. „Er könnte jeden Tag sterben. Wann bekomme ich | |
endlich mein Recht, ihn im Ernstfall begraben zu dürfen?“ | |
[2][Leicht haben es die Queers nicht]: Einerseits liegt der | |
gesellschaftliche Fokus in der Ukraine auf der Unterstützung der Armee, | |
damit diese möglichst erfolgreich die vorrückenden russischen Truppen im | |
Osten des Landes abwehren und die Zivilbevölkerung vor Russlands massiven | |
Luftangriffswellen mit regelmäßig Hunderten Kamikaze-Drohnen schützen kann. | |
Gleichzeitig kämpft die Zivilgesellschaft für Verbesserungen für | |
Veteran:innen, Kinder und Jugendliche, Frauen und Mädchen, Queers, | |
Minderheiten. Und das unter anhaltenden russischen | |
Desinformationskampagnen, die die Gesellschaft an strittigen, emotionalen | |
Themen spalten und ermüden wollen. | |
„Homophobie ist noch immer weit verbreitet in der Gesellschaft“, räumt auch | |
Mychajlo Jurow von KyjiwPride ein. „Wir sehen das an den Gegenprotesten | |
oder auch daran, wenn manche Brigaden unsere gesammelten Spendengelder | |
nicht annehmen wollen.“ Trotzdem zeigt er sich zuversichtlich: Trotz aller | |
Rückschritte in Menschenrechtsfragen, die man aktuell ja auch in | |
westeuropäischen Gesellschaften sehe, schaut er zuversichtlich auf die | |
nächsten Jahrzehnte. „Langfristig gesehen, denke ich, alles wird gut.“ | |
## Nazisymbolik und Queerhass im Stadtzentrum | |
Mit der KyjiwPride 2025 sind Jurow und seine Mitstreitenden jedenfalls | |
zufrieden: Die Aktion war dreimal größer und länger als 2024. Nach gut 45 | |
Minuten und etwa 300 Metern Demostrecke begleitet die Polizei sämtliche | |
Teilnehmende freundlich, aber bestimmt in die für das Event gesperrte | |
U-Bahn-Station. Spätestens dort sollen alle ihre Plakate und Fahnen | |
einpacken, Regenbögen und LGBTQ+-Symbolik verstecken, und mindestens eine | |
Station wegfahren. | |
Denn nahezu zeitgleich starten etwa 500 Meter entfernt die rund 200 | |
protestierenden Gegner in Richtung Pride-Treffpunkt. Mit Klatschchören, | |
Fahnenstöcken aus Holz, Handschuhen, Skimasken und martialischem Auftreten. | |
Die Queers bekommen sie nicht mehr zu fassen, dafür sorgt das große | |
Polizeiaufgebot. Einige Beamte tragen „Tolerance“-Pins an der Kleidung. | |
Die Rechten können dennoch mit Nazi-Symbolik und Queerhass durchs | |
Stadtzentrum demonstrieren. Niemand bedroht deren Veranstaltungen mit | |
Anschlägen, also muss die Polizei sie nicht besonders schützen. Ihr Zug | |
endet auf dem Maidan. Neben den Gedenkfähnchen für die Gefallenen des | |
Krieges singen sie die ukrainische Hymne. In der Medienberichterstattung | |
überwiegt zwar im Nachhinein die Pride, doch das Straßenbild bestimmten die | |
Rechtsextremen. | |
Den Lautsprecherwagen der Rechten sieht man zwei Stunden später wieder auf | |
der Straße: Er begleitet den Trauerzug für eine junge, feministische | |
Drohnenpilotin, die Anfang Juni bei Pokrowsk im Kampf gefallen war. | |
27 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Pride-in-ukrainischer-Hauptstadt-Kyjiw/!6017402 | |
[2] /Queeres-Leben-in-der-Ukraine/!5835648 | |
## AUTOREN | |
Peggy Lohse | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Ukraine | |
Social-Auswahl | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
Pride Parade | |
Pride Parade | |
IG | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regenbogenfamilien in Italien: Alles Familie | |
Lesbische Paare haben in Italien ein Grundsatzurteil erstritten: Ein Kind | |
kann in seiner Geburtsurkunde zwei Mütter haben. Die Frauen der „Prozesse | |
von Padua“. | |
Influencer Fabian Grischkat: Stolzer Instagram-Konter gegen rechts | |
Der queere Social-Media-Star Fabian Grischkat hat sich den Begriff | |
„Stolzmonat“ als Marke gesichert. Rechte hatten vergeblich Widerspruch | |
eingelegt. | |
Queer-Feindlichkeit in Ungarn: Sie sind noch so frei | |
Ungarns Premier Orbán will die Pride Parade verbieten lassen. Hinter der | |
LGBTIQ+-Feindlichkeit steckt eine Strategie des autoritären Staatsumbaus. | |
Pride in ukrainischer Hauptstadt Kyjiw: Im Gleichschritt für LGBTQ* | |
Bei einer Pride am Sonntag in Kjyw laufen auch Soldat*innen mit. Ein | |
Slogan lautet: Menschenrechte müssen immer gelten, auch in Zeiten des | |
Krieges. | |
Queeres Leben in der Ukraine: „Nach dem Krieg wird es schlimmer“ | |
Wadim Jakowlew ist queer und Autor*in. Ein Gespräch, wie Queers den Krieg | |
in der Ukraine erleben und wie eine Zukunft aussehen könnte. |