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# taz.de -- Krise in Frankreich: Marktnonkonforme Demokratie
> Frankreich hat Schulden – und braucht Geld, vor allem für die Aufrüstung.
> Ein Sparpaket gegen den Willen der Bevölkerung ist aber nicht
> durchzusetzen.
Bild: Die französische Bevölkerung lehnt das Sparprogramm ab
In Frankreich stürzt die [1][Regierung von François Bayrou] über die
Vertrauensfrage – und damit über ihr Sparprogramm. Die politische Krise
lässt die Zinsen für französische Staatskredite steigen, womit die
Finanzmärkte die Regierungen Europas – mehr als ein Jahrzehnt nach der
Eurokrise – daran erinnern, was sie unter „marktkonformer Demokratie“
verstehen. Das Sparprogramm Bayrous soll Frankreich „vor dem Untergang“
(Präsident Emmanuel Macron) bewahren. Das ökonomische Problem: Ein eher
schwaches Wirtschaftswachstum und eine [2][Abfolge von Krisen] – große
Finanzkrise, Coronapandemie, Inflationskrise – haben die Staatsschulden
Frankreichs in den vergangenen Jahren in die Höhe getrieben.
Hinzu kommt, dass Frankreich in großem Stil aufrüsten will und dafür
weitere Kredite aufnehmen muss. Dies nehmen die Anleger:innen an den
Finanzmärkten als Gelegenheit, von Paris höhere Zinsen zu verlangen.
Dadurch steht Frankreich zwar nicht „vor dem Untergang“ in Form einer
Staatspleite. Dennoch fehlt der Regierung jeder Euro, den sie für Zinsen
zahlen muss.
Mit dem [3][Sparpaket soll den Märkten Solidität signalisiert werden, damit
die Zinsen nicht weitersteigen]. Daraus folgen Frankreichs politische
Probleme: Erstens lehnt die Bevölkerung das Sparprogramm ab. Zweitens
verfügt die Regierung über keine Mehrheit, mit der sie die Kürzungen
durchdrücken könnte. Drittens nutzt die Opposition die Situation als
Gelegenheit, an Macht zu gewinnen: Bayrou fällt. Das treibt die Zinsen
weiter in die Höhe. Grund dafür ist aus Sicht von Ökonom:innen und
Anleger:innen die Kombination aus einer Opposition, die sich ihrer
Verantwortung verweigert, und einer Bevölkerung, die keine Einsicht zeigt
in die Notwendigkeiten eines Landes, das über große Ambitionen, aber
begrenzten Kredit verfügt.
An dieser Lage dürften auch Neuwahlen nichts ändern – das politische Lager
ist so zerstritten, dass keine Mehrheit absehbar ist, mit der das
Sparprogramm durchgesetzt werden könnte. Eine Kooperation von Konservativen
mit den Rechten scheitert daran, dass sich beide einander als Endgegner
ausgemacht haben und bei Zugeständnissen um das eigene politische Überleben
fürchten. Aus der Sicht der Kreditgeber, der Investor:innen, ist
[4][Frankreichs Demokratie damit dysfunktional] geworden. Idealerweise
resultiert eine demokratische Wahl in einer eindeutigen Machtverteilung,
aber auch in der eindeutigen Ermächtigung einer Regierungsmannschaft.
Die kann ihre Macht dann nutzen zur Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen,
wobei „unpopulär“ für Ökonom:innen synonym für „vernünftig“ ist. D…
Maßnahmen sind gleichzeitig legitimiert durch das Wahlergebnis, da sich die
Regierung stets darauf berufen kann, im Auftrag der Bevölkerung zu handeln
– schließlich ist sie gewählt worden, massiver Protest gegen sie daher
letztlich illegitim.
Sparsam und sozial befriedet – eine solche „marktkonforme Demokratie“ wü…
den Finanzmärkten gefallen. Schließlich „muss Politik heute mehr denn je
mit Blick auf die Finanzmärkte formuliert werden“, sagte im Jahr 2000
Deutsche-Bank-Chef Rolf E. Breuer, der den Anlegern mehr zutraute als den
Leuten. „Offene Finanzmärkte erinnern die Politiker etwas häufiger und
bisweilen etwas deutlicher an diese Zielsetzungen, als die Wähler dies
vermögen.“ Wege zu finden, „die parlamentarische Mitbestimmung so zu
gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist“ – dieses Problem
formulierte die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Eurokrise
2011.
Angesichts hoher Schulden und steigender Zinsen wurden damals
Kreditprogramme für strauchelnde Euroländer aufgelegt, die mit harten
Sparauflagen verbunden waren. Für die Bundesregierung ging es dabei darum,
in den Schuldnerländern den Widerstand gegen die Sparauflagen zu brechen
und in den Gläubigerländern den Widerstand gegen die Kreditprogramme. Dies
gelang. So musste Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi zurücktreten,
nachdem er seine Parlamentsmehrheit verloren hatte. Abgelöst wurde er von
einer nicht gewählten „Technokratenregierung“ unter Mario Monti, deren
Vorzug darin bestand, vom Willen der Italiener:innen unabhängig zu
sein.
Ähnlich in Griechenland: Dort wollte 2011 Regierungschef Giorgos Papandreou
eine Volksbefragung zu den Sparmaßnahmen abhalten. Die Gläubigerländer aber
drohten mit Kreditentzug, Papandreou trat ab, an seine Stelle kam eine
nicht gewählte „Expertenregierung“ unter dem Ökonomen Lukas Papadimos. Der
schrieb Neuwahlen aus – zuvor aber mussten sich die großen griechischen
Parteien schriftlich dazu verpflichten, im Falle des Wahlsieges die
Sparauflagen umzusetzen. Und im Herbst 2011 kam es in Irland zum Skandal,
als eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erst dem deutschen Bundestag vorgelegt
wurde, bevor das irische Parlament darüber abstimmen durfte.
Auf diese Weise nutzte damals die Bundesregierung ihre Kreditmacht, um die
Euro-Schuldnerländer zur Marktkonformität anzuhalten. Das würde heute nicht
so ohne Weiteres funktionieren. Denn erstens handelt es sich bei Frankreich
nicht um ein kleines Land der Euro-Peripherie, sondern um einen Kernstaat
der EU. Zweitens steht Frankreich noch nicht vor einer existenziellen
Finanzkrise, sondern benötigt lediglich Mittel zur Aufrüstung – gegen die
auch die Bundesregierung angesichts der „geopolitischen Verantwortung“
Europas nichts einzuwenden hat.
Und drittens gäbe es einen Weg, auf dem diese geopolitische Verantwortung
mit Frankreichs Kreditbedarf auch ohne Sparprogramme zu versöhnen wäre:
Eurobonds, also gemeinsame europäische Schuldscheine. Gesamteuropäische
Rüstungskredite, dafür wird in Frankreich kräftig geworben. Noch sperrt
sich die Bundesregierung. Vielleicht aber treibt sie auch nur den Preis für
ihre Zustimmung in die Höhe. Denn deutsche Kredit- und französische
Militärmacht inklusive Atomwaffen – auf dieser Basis ließe sich der Motor
der europäischen Integration schon antreiben.
10 Sep 2025
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## AUTOREN
Stephan Kaufmann
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