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# taz.de -- Diskussion um Wehrdienst: Doppelte Solidarität
> Alle jungen Frauen und Männer sollten ein soziales Jahr leisten. Und alle
> sollten danach einen Anteil am Erbvermögen erhalten.
Bild: Junge Menschen werden gebraucht – ein Grunderbe könnte mit der Abschaf…
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius will einen freiwilligen
Wehrdienst. Die Union will eine Wehrpflicht, aber nur für Männer. Beiden
geht es dabei „nur“ um die Bundeswehr. [1][Marcel Fratzscher] vom Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) will immerhin ein soziales Jahr,
für Ältere, Bodo Ramelow eines für alle junge Leute. Was all diesen
Forderungen abgeht, ist ein Gesamtkonzept, das über die
Verteidigungsfähigkeit hinaus vor allem den Zusammenhalt der Gesellschaft
stärkt – und dabei alle Generationen einbindet.
Es wird deshalb Zeit, zwei Ideen zusammenzudenken, die bisher nicht
zusammengedacht werden: die Forderung nach einem verpflichtenden
Gesellschaftsjahr für alle Frauen und Männer ab 18 Jahren – und die Idee
eines [2][Grunderbes für alle jungen Menschen]. Daraus könnte ein neuer
Generationenvertrag entstehen. Klar, Worte wie „Pflichtjahr“ scheinen nicht
in eine Gesellschaft zu passen, die sich immer stärker der individuellen
Freiheit verpflichtet fühlt.
Viele sprechen sich lieber für eine Stärkung des Freiwilligendienstes aus.
Damit es keine Missverständnisse gibt: Ein [3][freiwilliges Engagement
junger Menschen] ist eine tolle Sache. Doch: Nur 7 Prozent entscheiden sich
jedes Jahr dafür, mehr als 93 Prozent erreicht das Angebot also nicht. Der
gesellschaftliche Zusammenhalt wird so nicht gestärkt.
Wie wichtig jedoch genau dies wäre, zeigt ein Blick auf die Lage junger
Menschen. Mehr als drei Millionen [4][Kinder und Jugendliche] wachsen laut
[5][Paritätischem Wohlfahrtsverband] in prekären Verhältnissen auf, manche
schon in zweiter oder dritter Generation. Die Selektion an den Schulen
verstärkt die soziale Spaltung. An Gymnasien und Realschulen sind die
Kinder in erster Linie mit jenen zusammen, die aus ihrem Herkunftsmilieu
kommen. An den Hochschulen setzt sich dieses Aussortieren fort.
## Nicht als Ersatz für Fachkräfte
Entsprechend bewegen sich junge Menschen in völlig unterschiedlichen
Lebenswelten. Ein Trend, der längst auch Erwachsene erreicht hat. „In
unserem Land mangelt es an Begegnung und Austausch zwischen den
Verschiedenen“, sagt [6][Bundespräsident Frank Walter Steinmeier],
„zwischen Jungen und Alten, Armen und Reichen, Ost- und Westdeutschen,
zwischen Städtern und Landbewohnern, zwischen hier Geborenen und
Zugewanderten.“ Steinmeier wirbt seit Langem für „ein soziales
Pflichtjahr“.
Wenn es gelänge, alle jungen Menschen, die nicht schwer beeinträchtigt
sind, für ein Jahr zu gesellschaftlichem Engagement zu verpflichten und
ihnen danach ein Startkapital für ihr Leben zu gewähren, das von der
älteren Generation finanziert wird, wäre dies ein erheblicher Beitrag zu
einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft.
Wie könnte das konkret aussehen? Alle Beteiligten sollen frei darüber
entscheiden können, wo sie ihr Dienstjahr ableisten: bei der Bundeswehr, in
sozialen Institutionen, in Sportvereinen, im Umweltbereich, im
Entwicklungs- oder Friedensdienst. Sie erhalten dafür nur einen
bescheidenen Lohn, wie ehedem für Wehr- und Zivildienst. Dabei darf das
Gesellschaftsjahr nicht zu einer billigen Ersatzlösung werden, um den
Arbeitskräftemangel in der Pflege, in Kitas, Schulen und anderen Bereichen
zu kaschieren.
Andererseits brauchen Kitas, Krankenhäuser, Pflege im Haus und in Heimen in
jeder Hinsicht Unterstützung. Aber nicht nur dort gibt es viel zu tun: Wer
hilft, kommunale Gärten oder Parks naturgerecht anzulegen oder Wälder
aufzuforsten? Wer verstärkt die Feuerwehr, wer unterstützt die unzähligen
Vereine, wer den Sport? Unabhängig von der gewohnten Umgebung und vom
Konkurrenzkampf um Karrierechancen könnte das Gesellschaftsjahr jungen
Leuten neue Perspektiven eröffnen.
## Leistung und Lohn
Alle müssen sich mit den Lebenswelten der anderen auseinandersetzen. Junge
Frauen und Männer aus Gymnasien treffen auf Hauptschülerinnen und
Hauptschüler, Christen auf Muslime und Juden. Natürlich kann dies auch
Konflikte auslösen. Doch vielfach würde die positive Wirkung überwiegen.
Junge Leute würden Selbstwirksamkeit erleben, die ihnen in schwierigen
Situationen hilft, nicht in Resignation, Depression oder Aggression
abzugleiten.
Aber das Gesellschaftsjahr für junge Leute ist nur eine Seite der Medaille.
Es geht auch darum, die ältere Generation in die Solidarität einzubinden.
Zum Beispiel, indem junge Leute nach dem sozialen Jahr mit einem Anteil aus
dem Reichtum der Älteren belohnt werden. Jährlich werden 400 Milliarden
Euro vererbt, doch viele junge Leute erben nichts. Wie sich dies ändern
ließe, zeigt [7][ein Vorschlag des DIW] in Berlin. Danach sollen alle
jungen Erwachsenen ab 18 Jahren ein Grunderbe von 20.000 Euro erhalten.
Finanziert werden soll das durch die Abschaffung von Privilegien für
Multimillionäre in der Erbschaftsteuer, einem höheren Spitzensteuersatz
oder einer Besteuerung hoher Vermögen, erklärt der Ökonom Stefan Bach. Rund
15 Milliarden Euro könnten auf diese Weise zusammenkommen. Für Bach wäre
das ein großer Schritt zu einer gerechteren Gesellschaft: „Mit einem
jährlichen Erbe für alle jungen Erwachsenen würde sich die Konzentration
des Reichtums in den Händen des reichsten Prozents in 30 Jahren halbieren,
während der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen
langsam steigt.“
Wie wäre es also mit einer Art doppelter Solidarität? Alle jungen Menschen
leisten ein Gesellschaftsjahr und erhalten danach einen Anteil am
Erbvermögen in Höhe von 20.000 Euro – als Startkapital für ihr Leben. Mehr
Solidarität in der Gesellschaft ist dringend notwendig, wenn die kommenden
Umwälzungen demokratisch und friedlich bewältigt werden sollen. Dass die
Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei der Debatte über die
Wehrpflicht kaum eine Rolle spielt, ist eine vergebene Chance.
10 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/rentner-pflichtdienst-ver…
[2] /Vermoegen-gerecht-verteilen/!5918092
[3] /Diskussion-um-Wehrdienst-in-Deutschland/!6093582
[4] /Umfrage-zu-Kinderarmut/!6107867
[5] https://www.der-paritaetische.de/
[6] https://www.youtube.com/watch?v=g5uRuhpFVqk
[7] https://www.diw.de/de/diw_01.c.831678.de/publikationen/wochenberichte/2021_…
## AUTOREN
Wolfgang Kessler
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