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# taz.de -- Van Morrison zum 80. Geburtstag: Warum kann Kontemplation nicht imm…
> Auf Spurensuche in Van Morrisons mythischem Nordirland. Dessen schroffe
> Küstenlandschaft taucht oft in den Texten des legendären Folksängers auf.
Bild: Begnadeter Sänger, spiritueller Songtexter: Van „the Man“ Morrison b…
Ein Autoradio gibt es nicht in dem alten Vauxhall, mit dem Al Bodkin seinen
einzigen Kunden abholt – Sonntag morgens um neun, als Belfast noch schläft.
Aber sobald wir auf der Landstraße Richtung Süden unterwegs sind, immer nah
an der Küste der Grafschaft Down, fummelt er hinterm Steuer an seinem Handy
herum: Ein vierschrötiger Endsechziger mit Lesebrille und silberweißem
Bart, der mit der Technik kämpft.
Bis wir den Song und seinen Text, der diese Landschaft besingt, laut und
deutlich hören. „Coming back from Downpatrick stopping off at St. John’s
Point / Out all day birdwatching and the craic was good …“
Auf der Coney Island Tour in Nordirland fährt man eben nicht nur durch eine
Region, sondern auch einen besonderen Song hindurch. Er trägt denselben
Namen und findet sich auf dem 1989 erschienenen Soloalbum „Avalon Sunset“
von Van Morrison.
## Guide aus Leidenschaft
Darin werden sieben Orte erwähnt, die man in dieser Reihenfolge kaum
passieren kann. Aber dafür gibt es ja Al Bodkin. Der Guide aus Leidenschaft
steuert sie in den nächsten fünf, sechs Stunden so an, dass es einen Sinn
ergibt. Und das gleich in doppelter Hinsicht.
Denn wer die 50 Kilometer bis St. John’s Point an der Spitze der Halbinsel
Lecale zurücklegt, windet sich in die Echoräume einer singulären
Musikerbiografie hinein. Genau hier hat der Urheber von 45 Studioalben, der
am 31. August 2025 80 Jahre alt wird, immer wieder eine Auszeit genommen.
Erst als Schüler aus Bloomfield, einem Viertel in East Belfast, der ab und
zu bessere Luft atmen sollte, sowie später als weltweit gefeierter
Singer-Songwriter, [1][dessen voluminöse Stimme jede Musik zum Vibrieren
bring]t.
Blues und Rock, Jazz und Soul, Country und Folk, Gospel und Skiffle: „Van
the Man“ hat so viele Stile der populären Musik in seiner Kehle fusionieren
lassen. Überzeugte als Sänger der legendären Rhythm-and-Blues-Formation
Them (1965–67) wie Jahrzehnte später bei Auftritten mit der Irish-Folk-Band
The Chieftains; legte mit „Astral Weeks“ (1968), „Moondance“ (1970), od…
„The Healing Game“ (1997) kultisch verehrte Soloalben vor; und tauchte in
kritischen Phasen immer mal ab – in Boston und in Kalifornien, in Woodstock
und in New York.
## Lieber Poetik als Politik
Wenn er sich überhaupt mal interviewen ließ, sprach Morrison lieber über
Poetik als Politik. Denn die Troubles, die Unruhen in Nordirland, waren ihm
ein ähnliches Gräuel wie die Mechanismen der Musikindustrie. Oder
Journalisten, die Fragen zu zwei gescheiterten Ehen oder sonstige Details
aus seinem Privatleben stellen.
Und doch ist diese Tour von Al Bodkin jetzt ziemlich intim: Sie führt in
einen Hinterhof, wo Van Morrison häufiger kurzfristig anberaumte Konzerte
gibt. Das weiß Al schon deshalb, weil er in der Regel dabei ist. Bis heute
hat der verrentete Angestellte der britischen Armee nach eigener Zählung
mehr als 150 Gigs seines Helden erlebt, sowie alle Tonträger inklusive des
neuesten Albums („Remembering Now“), relevante Bücher und Artikel über den
Star gesammelt. Er weiß im Zweifel mehr über den Meister als dieser selbst
und genießt es, andere für eine auszuhandelnde Pauschale auf dessen Spuren
zu führen.
„Drove through Shrigley taking pictures and on to Killyleagh …“ Also auf
zum erwähnten Kaff Shrigley und einem über 150 Jahre alten, grün
überwucherten Belltower am Straßenrand: Letztes Relikt einer längst
geschlossenen Spinnerei, in der einst bis zu 500 Beschäftigte arbeiteten.
Die Industrieruine sollte unbedingt erhalten bleiben, wofür Van wohl vor
Jahren plädiert hat, schon weil sie an die große Zeit der Textilindustrie
in Down erinnere. „Und er spendet für solche Zwecke gerne Geld, auch wenn
ihn andere für geizig halten.“
## Zu Gast auf Killyleagh Castle
Gleich darauf Killyleagh Castle, Nordirlands größte und älteste noch
bewohnte Burg. Einige Teile gehen auf das 12. Jahrhundert zurück. Die
Torloggias werden heute als Ferienwohnungen vermietet, und im Vorhof ist
Van mit Band auf Einladung der Besitzer, den Hamiltons, schon an lauen
Sommerabenden aufgetreten. Ähnlich wie sich der Local Hero auch von den
Eigentümern des Europa Hotel in Belfast nie lange bitten lässt, um dort mit
kleiner Besetzung zur Matinee aufzuspielen.
Wurde der noble Kasten [2][während der Troubles] nicht als
„meistbombardiertes Hotel der Welt“ bezeichnet? Bitte nicht daran erinnern,
gibt Al zu verstehen, und nimmt Kurs auf Downpatrick. Die beschauliche,
unauffällige Kleinstadt am Quoile River zieht Gläubige aus nah und fern an,
weil neben der Kathedrale die Gebeine des irisch-katholischen
Schutzheiligen Saint Patrick liegen sollen. Das ist zwar nicht erwiesen,
lockt aber auch heute wieder mehrere Touristinnen an die Grabstelle. Sie
murmeln Gebete in spanischer Sprache.
In den Texten von Van Morrison schwingt Spiritualität dagegen überall mit.
Sie kennt „No Guru, No Method, No Teacher“, um den Titel eines anderen
Albums (1986) zu bemühen, und wird vornehmlich von der Natur inspiriert.
Die nimmt am Strangford Lough, einem riesigen Naturhafen nahe der Irischen
See, phasenweise entrückte Züge an. Schlickige Ufer glänzen in milchigem
Licht. Fliehende Wolken ziehen über dunkle Wälder hinweg. Dazwischen Ruinen
aus den fernen Zeiten der Wikinger und Normannen.
## Ruderboote startklar machen
Am Kai von Strangford machen Männer und Frauen vom örtlichen Coastal Rowing
Club gerade zwei Boote klar. Die Fahrt nach Portaferry, auf die andere
Seite des Sees, ist das beste Training fürs alljährliche Duell zwischen den
Orten, erklärt eine der Ruderinnen. Uns zieht es jedoch weiter nach
Ardglass – den historischen, längst gentrifizierten Küstenort mit dem
Fischereihafen, dessen Delikatessen im Song empfohlen werden. „Stop off at
Ardglass for a couple of jars of mussels / And some potted herrings in case
we get famished before dinner …“
„Du ahnst nicht, wie viele edle Seafood-Restaurants es in diesem kleinen
Ort gibt“, sagt Al. Für einen kurzen Lunch steuern wir jedoch lieber das
Village Kitchen beim Yachthafen an. Hier werden die kleinen Dinge richtig
gemacht, wie eine Belfaster Zeitung geschrieben hat. Und was geht über
einen Teller mit Sausage und Bacon, Eggs und Fries, die man zum Sound von
gemächlich an Holzbohlen plätscherndem Wasser verschlingt?
Dann verlassen wir die A 2 und kämpfen uns über schmale Straßen, die Al
„interesting“ findet. Bis ein dezentes Schild mit dem Hinweis „Coney
Island“ erscheint. Hier biegen wir ab und stehen einen Moment später am
Strand einer kleinen, sichelförmigen Bucht. Sie ist der Star des Songs und
steht für eine bescheidene Portion Glück: Bis dahin, zur ersten Welle,
schaffen es auch Leute aus der Umgebung, denen Zeit oder Geld für
„richtigen“ Urlaub fehlt. Wie der Mann und die Frau mit den drei Kindern,
die gerade über den Strand flitzen.
## Steppke in gestrickter Badehose
Darf man sich George Ivan Morrison also als Steppke in gestrickter Badehose
vorstellen, den der Elektriker George Morrison und seine Frau Violet, eine
Jazzsängerin, an hellen Sonntagen im Auto mitnahmen? Oder wurde dieser
Strand ohne Umkleiden erst für den Youngster ein Ziel, der Bluesplatten
sammelte und mit Lokalbands auftrat? Das weiß selbst sein hartnäckigster
Fan nicht so genau. Dafür kann Al den Namen des Standorts erklären: „Coney�…
ist von coinín abgeleitet, dem gälischen Wort für Hase.
Ansonsten sind weder der Rummel noch das „Wonder Wheel“ zu finden, die das
berühmte Coney Island am Brighton Beach von Brooklyn/New York ausmachen.
Diese Nische bleibt sich selbst überlassen. Gerade in Zeiten von
Overtourism hat das jedoch seinen eigenen Charme.
Zumal es im Song weniger um das Ankommen und Verweilen als um ein
Sichtreibenlassen geht. Bis zu dem Punkt, wo sich ein kontemplatives
Einverständnis, wenn nicht sogar Glück einstellt. „And all the time going
to Coney Island I’m thinking / Wouldn’t it be great if it was like this all
the time?“
Zehn Minuten später erreichen wir am St. John’s Point die letzte Station
der Tour, markiert durch den mit 40 Metern höchsten Leuchtturm der irischen
Insel. Um ihn herum stellen sich wenige Häuser dem launischen Wind.
Das ist eine gute Gelegenheit, über Wiesen und Klippen zu kraxeln. Und
beiläufig anzusprechen, was einem schon lange auf der Seele brennt: Warum
nimmt dieser eigenwillige Mensch, der seine Fans mit seiner unglaublichen
Stimme so tief berührt, auf der Bühne so wenig bis gar keinen Kontakt mit
ihnen auf?
## Absolute Konzentration
„Ich glaube, Van braucht auf der Bühne einfach absolute Konzentration“,
erwidert Al Bodkin. „Er will sich und die anderen Musiker perfekt
synchronisieren. Das kommt am Ende auch dem Publikum zugute.“ Und seine
ominöse Androhung während der Coronapandemie, gegen das Verbot von
Livemusik in nordirischen Bars und Clubs vorzugehen? Sei mit Sicherheit von
der Sorge um Musiker getrieben gewesen, die nicht so viel wie er verdienen.
So gibt es wohl wenig bis gar nichts, was Al Bodkin, den treuesten
„Vanatic“, als der er sich selbst bezeichnet, auf einen der größten Säng…
seiner Zeit kommen ließe. Das sei ihm für diesmal zugestanden. Ist es nicht
eine coole, ganz besondere Schleife gewesen? „On and on, over the hill and
the craic is good.“
21 Aug 2025
## LINKS
[1] /Wiederentdeckung-von-The-Associates/!5849958
[2] /Debuetroman-ueber-das-Leben-in-Nordirland/!5956459
## AUTOREN
Bertram Job
## TAGS
Folk
Nordirland
Küste
Architektur
Literatur
Tanz im August
Soul
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