# taz.de -- 50. Todestag von Otis Redding: Die Seele Amerikas retten | |
> Vor 50 Jahren ist der Soulsänger Otis Redding bei einem Flugzeugabsturz | |
> ums Lebens gekommen. Eine Annäherung an einen großen Künstler. | |
Bild: Das Foto zeigt Otis Redding bei einem Konzert 1967 | |
## 9. Februar 1962 | |
Es war ein Freitag im Stax-Studio von Memphis. Gitarrist Johnny Jenkins | |
absolvierte seine Probe für eine Aufnahme schneller als geplant. Da wandte | |
sich aus dem Hintergrund der Fahrer von Jenkins an den Schlagzeuger der | |
Stax-Hausband, ob er nicht auch mal ein Lied singen könne. Gitarrist Steve | |
Cropper wurde geholt, Jim Stewart, der Chef, tauchte auf, dann fing der | |
Fahrer an zu singen. Sein erstes Lied klang noch etwas zu sehr nach Little | |
Richard, aber das zweite Lied saß! | |
Sobald er „These arms of mine“ anstimmte, schauten sich alle stumm an, | |
solche stimmliche Präsenz überraschte. Am Ende des Tages hatte dieser | |
Sänger, ein gewisser Otis Redding, einen Vertrag mit Stax, Gitarrist Johnny | |
Jenkins dagegen ging leer aus. „These arms of mine“ wurde im Oktober 1962 | |
veröffentlicht, nach einem Jahr Powerplay zweier Radiosender war der Song | |
in den US-R&B-Charts auf Platz 20 geklettert. | |
Otis Redding, geboren 1941 in Dawson, Georgia, tief im Süden, dann | |
übersiedelt nach Macon, Georgia, der Heimat von Little Richard und | |
vorübergehend auch von James Brown. Redding war schon als Kind musikalisch | |
interessiert. Er lernte diverse Instrumente (Gitarre, Klavier, Schlagzeug) | |
und sang bei seinem Vater, einem Baptisten-Prediger, im Kirchenchor mit. | |
Als 17-Jähriger nahm er an Gesangswettbewerben teil, gewann häufig den | |
ersten Preis. | |
Redding eiferte seinen Vorbildern Little Richard und Sam Cooke nach. Er | |
schloss sich verschiedenen Bands an, die um 1960 Singles aufnahmen. Aus | |
dieser Rock-’n’-Roll-Phase gibt es sechs Lieder mit Otis Redding als | |
Sänger. Bereits damals lernte er seinen Freund Phil Walden kennen, einen | |
Weißen, der Redding zusammen mit seinem Bruder Alan managte. | |
## 9. und 10. Juli 1965 | |
In einem seiner wenigen Interviews empfiehlt Redding angehenden Sängern, | |
sich auf das Geschäftliche so zu konzentrieren, dass sie nonstop | |
beschäftigt sind. In der Praxis konnte man das bei der Produktion seines | |
dritten Albums „Otis Blue“ an jenem Wochenende im Juli 1965 erkennen. Bis | |
auf einen Song wurden alle elf Stücke innerhalb von 24 Stunden arrangiert | |
und produziert und am 15. September 1965 veröffentlicht. Auch nach heutigen | |
Maßstäben besteht „Otis Blue“ aus klassischen Soulsongs. Das als erstes | |
Meisterwerk des Sängers angesehene Album taucht daher zu Recht regelmäßig | |
in den Bestenlisten auf. | |
Kurz zuvor brachte Redding einen Song als Single heraus, der eine besondere | |
Karriere machte: „Respect“. Fast zeitgleich unterzeichnete US-Präsident | |
Lyndon B. Johnson 1965 das Wahlrechtsgesetz, es verbietet eine | |
Diskriminierung von Wählern wegen ihrer Hautfarbe. Bei Otis Redding war | |
„Respect“ ein Uptempo-Liebeslied, das anders als viele Soul-Balladen | |
optimistisch und kräftig daherkam. | |
Aretha Franklin veröffentlichte ihre Coverversion von Reddings Komposition | |
im März 1967. Ihre Fassung von „Respect“ drehte die Perspektive um, ihre | |
universale Botschaft war unüberhörbar. Franklins Version wurde zu einem | |
Manifest: für den schwarzen Befreiungskampf, für die weibliche | |
Emanzipation, für ein humanes Grundverhalten. | |
Obwohl Otis kein Superstar war, schaffte er für sich, seine Frau Zelma und | |
die drei Kindern Wohlstand. Nahe Macon erwarb er eine Ranch. Neben dicken | |
Schlitten und einem zweimotorigen Flugzeug war sie sein Statussymbol. | |
Künstlerische Unabhängigkeit suchte er wie Sam Cooke in der Gründung von | |
Firmen – Musikverlag, Plattenlabel, Konzertagentur und eine Agentur für die | |
Unterstützung und Förderung von Talenten nannte Redding sein Eigen. | |
## 8. bis 10. April 1966 | |
Reddings Künstlerkarriere war neben der Studioarbeit von Konzerten und | |
Tourneen bestimmt. Die wichtigsten führten ihn nach Europa, wo er im | |
September 1966 seinen 25. Geburtstag im „Olympia“ in Paris feierte. Im | |
Frühjahr 1967 spielte er mit Sam & Dave, Eddie Floyd, der Rhythmusgruppe | |
Booker T. and the MG’s sowie den drei Bläsern der Mar-Keys im Rahmen der | |
Stax/Volt Tour in Großbritannien, Frankreich und Skandinavien. | |
Zwei Auftritte an der US-Westküste eröffneten ihm ein weißes US-Publikum. | |
Bevor er im Juni 1967 in Monterey beim „internationalen Popfestival“ die | |
Massen begeisterte, gastierte Otis Redding im April 1966 im Club Whisky A | |
Go Go am Sunsetstrip in Hollywood, im Beisein von Musikern der Doors, Van | |
Morrison und Bob Dylan, der ihm sein damals noch unveröffentlichtes Lied | |
„Just like a woman“ vorspielte. Redding spielte sieben Konzerte und sang | |
eine Coverversion zehnmal, die er frisch ins Repertoire aufgenommen hatte. | |
Ein Journalist hielt seine Version für so plausibel interpretiert, dass er | |
dachte, das Lied sei von den Rolling Stones gestohlen worden: Dies war | |
„Satisfaction“. | |
Redding gewann die Herzen, besonders der Frauen. Dabei wollte er die | |
Zuhörer bewegen, nicht beeindrucken. Mit seiner beherrschenden | |
Bühnenpräsenz verkörperte er Soul, das Genre unterstützte Mitte der 1960er | |
Jahre die politische Kraft der Bürgerrechtsbewegung in vielen Songs. Der | |
Begriff Soul stand in den Kirchen schon immer für die innerste | |
Gefühlsregung. Martin Luther King verwendete soulforce seit 1957 auch | |
außerhalb von Gottesdiensten für gewaltloses Vorgehen bei der | |
Bürgerrechtsbewegung, die für Wahrheit, Gerechtigkeit und Mut eintrat. Die | |
von King gegründete Southern Christian Leadership Conference (SCLC) hatte | |
sich 1957 das Motto gegeben: To save the soul of America.“ | |
Im Jazz taucht der Begriff in den Fünfzigern als gefühlvoller Gegensatz zum | |
Cool Jazz auf, etwa in dem Stück „Nothing but the soul“ des Horace Silver | |
Trio. Um 1960 verselbständigt sich der Begriff, bezeichnet einen Musikstil, | |
der 1961 mit Solomon Burke einen ersten Star fand. Um 1965 begann auch für | |
Otis Redding der Soul in seinen Albumtiteln deutlich hervorzutreten. | |
## 10. Dezember 1967 | |
Das Winterwetter war zu kalt für den Start des zweimotorigen Kleinflugzeugs | |
vom Typ Beechcraft. Bereits vor dem Abflug aus Cleveland, Ohio, hatte die | |
Maschine mit Vereisung und Elektrikproblemen zu kämpfen. Nahe Madison, | |
Wisconsin, stürzte das Flugzeug in einen See. Weder Otis Redding noch die | |
Musiker seiner Begleitband Bar-Kays überlebten. Nur Trompeter Ben Cauley | |
klammerte sich an einem treibenden Sitz fest, bis Rettungsboote kamen. | |
Die Musikwelt war geschockt. Aber nicht nur sie, viele Menschen hatten das | |
Gefühl, ein vielversprechender junger Künstler wurde durch ein tragisches | |
Unglück jäh aus seinem Schaffen gerissenen. | |
Als wenig später Reddings melancholisches „Dock of the Bay“ erschien, und | |
zu seinem größten Erfolg wurde, verstärkte sich dieses Gefühl. Dieses Lied | |
wurde sein Epitaph. | |
9 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Matthias Klein | |
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