| # taz.de -- Klassiker des Popbuchs übersetzt: "Sweet Soul Music" | |
| > 22 Jahre nach dem Erscheinen von "Sweet Soul Music" in den USA hat sich | |
| > der Bosworth-Verlag erbarmt und die wichtigste Milieustudie über die | |
| > klassische Soulmusik ins Deutsche übersetzt. | |
| Bild: Soul-Fans trauern um die Musikerlegende James Brown im Dezember 2006. | |
| "Wir haben dumm geguckt und gespielt, während die Schwarzen gesungen | |
| haben", lässt sich Dan Penn, einer der unterbewertesten Songschreiber des | |
| letzten Jahrhunderts in Peter Guralnicks Kompendium "Sweet Soul Music" | |
| zitieren. Es geht darin um die Soulmusik der Südstaaten, um ihre Stars Sam | |
| Cooke, James Carr, Aretha Franklin, Wilson Pickett, Otis Redding und um | |
| ihre meist weißen Manager, Begleitmusiker und Songschreiber. | |
| 22 Jahre nachdem das Buch in den USA erschienen ist, erbarmte sich nun der | |
| auf Musikbücher spezialisierte Bosworth-Verlag, eine Übersetzung der | |
| wichtigsten Milieustudie und Anekdotensammlung über die klassische Ära der | |
| Soulmusik vorzulegen. | |
| Guralnick ist einer der namhaften Chronisten der amerikanischen Popmusik | |
| des 20. Jahrhunderts. Auch seine Bücher über Countrymusik, über den | |
| Bluesgitarristen Robert Johnson, über den Soulsänger Sam Cooke und über | |
| Elvis Presley gelten als Klassiker. Seine Linernotes für Schallplatten sind | |
| makellos. | |
| Der 65-jährige ist ein begabter Erzähler und akribischer Rechercheur. "Mein | |
| Ziel ist es, komplett zu verschwinden in der Welt, über die ich schreibe", | |
| hat er einmal in einem Interview gesagt. Man hat manchmal das Gefühl, einen | |
| Roman zu lesen, so nahtlos reiht sich das Geschehen in "Sweet Soul Music" | |
| aneinander. Dabei ist Guralnicks Vorgehensweise soziologisch und sein | |
| eigentliches Thema ist die Entstehung einer Zivilgesellschaft, in der | |
| schwarze und weiße Amerikaner für die Dauer eines knappen Jahrzehnts eine | |
| Partnerschaft eingingen. | |
| Guralnick beschreibt zunächst, wie die Gospeleinflüsse in den R&B und | |
| Popmusik gelangten und welche Geschütze von den Kanzeln der schwarzen | |
| Baptisten gegen den ketzerischen Hybriden aufgefahren wurden; wie aus dem | |
| Gospelsänger Sam Cooke der erste Soulstar wurde und der blinde Pianist Ray | |
| Charles die unsichtbaren Rassenschranken zum Einstürzen brachte. "Sweet | |
| Soul Music" verfolgt den Werdegang eines Schuhputzers namens James Brown, | |
| der als Kind im Winter barfuß zur Schule ging und zum Godfather des Soul | |
| aufstieg. | |
| Ausführlich porträtiert Guralnick auch die Plattenfirma Stax, die in einem | |
| ausgemusterten Kino in Memphis, Tennessee entsteht. Notdürftig wird der | |
| Kinosaal zu einem Aufnahmestudio umgestaltet, und ein paar R&B-begeisterte | |
| Jugendliche lungern ständig im angeschlossenen Plattenladen rum. Sie | |
| gründen eine Band namens Booker T. & the Mgs und landen einen | |
| Instrumental-Hit. Es sind weiße und schwarze Kids, die hier zusammen Musik | |
| machen und schließlich zum Fixpunkt, nicht nur von Guralnicks Buch, sondern | |
| für ein zur Blüte gereiftes musikalisches Genre werden. | |
| Der Stax-Sound sog die Einflüsse seiner Umgebung auf: Gospel, Blues und | |
| Country. Bei Stax arbeiteten Leute zusammen, die die Restaurants im | |
| segregierten Süden der USA nicht durch den selben Eingang betreten durften. | |
| An anderer Stelle treffen Amphetamin-Junkies, Schmalspurgangster und | |
| Kleinstadtcowboys zusammen, Figuren, wie der eingangs zitierte Songwriter | |
| Dan Penn oder der kürzlich verstorbene James Luther Dickinson, die übers | |
| Radio mehr über R&B erfahren, das Genre lieben lernen. Sie gründen Bands, | |
| oder unabhängige Plattenfirmen und Tonstudios. Rick Halls legendäres | |
| Fame-Studio in dem Kaff Muscle-Shoals in Alabama verdankt sich der | |
| Langeweile des öden Kleinstadtlebens. | |
| Was die Bürgerrechtsbewegung politisch flankiert, ist in der kleinen Blase | |
| von unabhängigen Labelbetreibern, Songschreibern und schwarzen Sängern | |
| bereits zur Wirklichkeit geworden. Der schnell verdiente Dollar und die | |
| Begeisterung für die Musik diktieren auch in Guralnicks Sichtweise das | |
| progressive Miteinander. | |
| Otis Redding begrüßte sein weißes Publikum beim Monterey-Popfestival 1967 | |
| mit den Worten "We all love each other, don't we?". Wenig später schon | |
| verunglückte Big O, die integrative Kraft von Stax, mit seinem | |
| Privatflugzeug, und nur vier Monate später, im April 1968, wird Martin | |
| Luther King in Memphis erschossen. | |
| Für Guralnick ging damit eine Ära der Hoffnung zu Ende, die mit dem Zerfall | |
| von Stax - angedeutet werden Mafia-Infiltrationen, veruntreute Gelder und | |
| schlichter Größenwahn -, ihr endgültiges Schlusskapitel durchlebte. Man | |
| muss Guralnick seinen idealisierten Liberalismus vorhalten, und, dass er | |
| die Fortführung des Rassismus im Geschäftsgebaren weißer Studiobetreiber | |
| und Labelbesitzer nicht anerkennen mag. | |
| Dennoch ist unbestreitbar, dass sich im Zusammenspiel von Schwarz und Weiß | |
| eine Dekade lang ein musikalisches Genre herausgebildet hat, das in seiner | |
| Produktivität und Wucht einmalig ist. Guralnick würde vermutlich Barack | |
| Obamas Werdegang als direkte Folge dessen sehen, was im Süden der USA in | |
| den sechziger Jahren passierte und tatsächlich ist sein Wahlslogan "Yes We | |
| Can" ein Songtitel der New Orleans-Soullegende Lee Dorsey. | |
| Jedenfalls gibt es kein besser geschriebenes und faktenreicheres Buch über | |
| die Entstehung der Soulmusik und das Milieu ihrer Protagonisten als "Sweet | |
| Soul Music", auch wenn manch ein, um seine Tantiemen betrogener, | |
| afroamerikanischer Musiker mit Sicherheit weniger verklärt in die sechziger | |
| Jahre zurückblicken würde. | |
| Peter Guralnick, "Sweet Soul Music". Aus dem Englischen von Harriet Fricke. | |
| Bosworth Berlin, 2009, 544 S., 29,95 Euro | |
| 23 Aug 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Bulnheim | |
| ## TAGS | |
| Soul | |
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