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# taz.de -- Verfahren gegen Klimaaktivismus: Protest ist doch wieder legal
> Lange verfolgte die Staatsanwaltschaft Verden Aktivist*innen, die sich
> von einer Autobahnbrücke abgeseilt hatten. Nun ist sie zur Einsicht
> gekommen.
Bild: Kehret um! Autobahnen sind der falsche Weg! Die Verkehrswende-Demo in Bre…
Bremen taz | Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Verden doch ein Einsehen:
Vorm Amtsgericht Achim hatte sie vergangenes Jahr noch mit Ach und Krach
einen stark abgespeckten, wackeligen Schuldspruch erwirkt. Den Glauben
daran, dass die Verurteilung der Anti-Autobahn-Aktivist*innen zu einer
Geldstrafe für eine Abseilaktion vorm Landgericht Verden hätte Bestand
haben können, hat sie dann aber doch auch selbst verloren.
Sie hat kurz vor der Berufungsverhandlung doch schnell die Einstellung
beantragt, und zwar nach Paragraf 154 der Strafprozessordnung.
Das bedeutet: ohne Strafbefehl und so ziemlich ohne Auflagen. Genau
genommen haben die nun entlasteten Angeklagten nur versprechen müssen,
keinen Schadenersatz für die weggenommenen Demo-Utensilien zu beantragen,
ein paar Papierzettel und ein Seilstück. „Darauf haben wir verzichtet“,
sagt Ruben, der zur Aktivist*innen-Gruppe gehört, der taz.
Das sei aber auch das einzige Zugeständnis gewesen, das sie der
Strafverfolgungsbehörde habe machen müssen. Vermutlich seien die Asservate
in ihrer Obhut abhanden gekommen, versehentlich zerstört oder stark
ramponiert worden. Die Staatsanwaltschaft selbst sieht sich nicht in der
Lage, auf die Fragen der taz zum Vorgang zu antworten. Noch nicht einmal,
ob sie sich für dieses Entgegenkommen bedankt hat, konnte sie in der Kürze
der Zeit ermitteln.
## Grundrecht aus Versammlungsfreiheit
Dieses Unvermögen kann vielleicht als symptomatisch für das gesamte
Verfahren gelten. Mindestens wirft es ein Schlaglicht auf die Unsicherheit
der Justizbehörden und der Gerichte des ländlichen Raums im Umgang mit dem
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn das Verfahren richtete sich gegen
eine der Autobahn-Abseilaktionen im zeitlich-räumlichen Umfeld der
Verkehrsminister*innenkonferenz am 15. April 2021. Die fand in
Bremen statt.
Die Teilnehmer*innen an gleich gelagerten Demonstrationen – unter
anderem war auf einer Autobahn-Schilderbrücke temporär ein Abbiegezeichen
mit Ziel Verkehrswende aufgebracht worden – waren in Bremen letztlich
unbehelligt geblieben.
Die Staatsanwaltschaft hatte dort Nötigung vermutet, aber sowohl Amts- als
auch Landgericht hatten nach kurzer Prüfung die Klage für unzulässig
erkannt. Das Bremer Kreuz jedoch liegt auf niedersächsischem Terrain und im
Gerichtsbezirk Achim.
Dort schwelte das Verfahren jahrelang, und die Zeit nutzte die
Staatsanwaltschaft Verden offenbar nur – die Frage, welche Beweismittel
genutzt wurden, ließ die Sprecherin der Staatsanwaltschaft unbeantwortet –,
um sich möglichst drastische Vorwürfe auszudenken. „Es geht immer auch um
Einschüchterung“, so Aktivist Ruben. „Aber wir haben uns halt nicht
einschüchtern lassen.“
## Staatsanwaltschaft reagiert nicht
Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft Verden im Akt, über der A 27
Protestbanner aufzuhängen, sogar eine besonders schwere Nötigung gemeint
erkennen zu können nach Paragraf 240, Absatz 4 des Strafgesetzbuchs. Das
hat diesen speziellen Vorwurf allerdings für Fälle reserviert, [1][in denen
entweder eine Frau zur Abtreibung gezwungen wird oder aber ein Amtsträger
wie ein Staatsanwalt oder ein Polizist seine verliehene Macht missbraucht,
um etwas zu erpressen].
Zwar hatten die Unions-Fraktionen im Januar 2023 angeregt, den
Anwendungsbereich zu erweitern – namentlich auf Straßenblockaden. Aber auch
[2][dieser gescheiterte Versuch anderthalb Jahre nach den Achimer
Ereignissen] belegt: Selbst Befürworter*innen härterer Strafen für
Klimaproteste und Autobahn-Abseilaktionen hielten es für nötig, dafür das
Gesetz zu ändern.
Das wäre indes verfassungsrechtlich schwierig: Die Oberverwaltungsgerichte
haben schließlich festgestellt, dass auch auf Autobahnen demonstriert
werden kann, [3][wenn es einen inhaltlichen Zusammenhang gibt wie bei
Klima- und Verkehrswende-Aktionen].
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Verden hatte 2024 dann aber einfach so
getan, als hätte es eine Strafrechtsverschärfung gegeben. Und zugleich
hatte sie die Besetzung einer öffentlichen Brücke als Hausfriedensbruch
gewertet und angeklagt, ohne dass ein*e Brückenbesitzer*in in
Erscheinung getreten wäre, die überhaupt hätte Anzeige erstatten und einen
Strafantrag stellen können: Das aber wäre rechtlich zwingend Voraussetzung
dafür gewesen, das vermeintliche Delikt zu verfolgen.
Die am Mittwochmorgen übermittelte Frage, ob hier eine politische
Motivation die Strafverfolgung beeinflusst hat, beantwortet die
Staatsanwaltschaft Verden bis Redaktionsschluss nicht, obwohl sie dazu
verpflichtet gewesen wäre.
Das Amtsgericht Achim hätte die Anklage ebenso wenig wie die Bremer
Gerichte zulassen dürfen. Stattdessen war es dort im August 2024 zu einem
fünftägigen Prozess gekommen und sein Direktor hatte auch gleich noch
versucht, eine durchs Grundgesetz geschützte Versammlung in Solidarität mit
den Autobahn-Blockierer*innen vor dem Gericht zu verhindern. „Wenn Sie hier
nicht runtergehen“, hatte er die Demonstrierenden angepflaumt, „hole ich
die Polizei.“ Die kam dann auch, sodass die Kundgebung angemeldet werden
konnte.
Dieses kompetente Gericht hatte am Ende eine Geldstrafe verhängt, die nun
natürlich hinfällig ist. „Es war uns klar, dass diese Anklage sehr viel
heiße Luft enthält“, so Ruben. Gegen die Vorwürfe haben sich die
Aktivist*innen mit ihren Laienkenntnissen und Erfahrungen verteidigt:
„Ich stehe häufiger vor Gericht“, sagt er. „Das ist so ein bisschen
Learning by doing.“
3 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__240.html
[2] https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-2023-01-19-strafrecht-kl…
[3] https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/a6e3fb79-5b4e-4b99-88…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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