# taz.de -- Bergbau kontra Stadt und Land: 12.000 Menschen sollen umziehen | |
> Die Eisenerzgrube der nordschwedischen Stadt Kiruna frisst noch mehr | |
> Häuser als gedacht. Die Bevölkerung steht nach der Nachricht unter | |
> Schock. | |
Bild: Das Eisenerzbergwerk Kiruna liegt südwestlich der gleichnamigen Stadt Ki… | |
Härnösand taz | Die Kirche von Kiruna stand kaum an ihrem neuen Platz, | |
[1][die internationale Presse war gerade wieder abgereist], da schockierte | |
der staatliche Konzern LKAB die nordschwedische Grubenstadt mit neuen | |
Informationen. Überspitzt gesagt: Es kommt alles noch viel schlimmer als | |
gedacht. | |
Nicht 6.000 Menschen, sondern mit 12.000 doppelt so viele müssen demnach | |
bis 2035 ihre Häuser verlassen haben. Damit würden zwei Drittel der | |
Stadtbevölkerung dem Ausbau der Eisenerzgrube weichen. „Das ist notwendig, | |
um den Betrieb in Kiruna fortsetzen zu können“, sagte LKAB-Vorstandschef | |
Jan Moström bei der Vorstellung der Pläne am Donnerstag. „Wir haben keine | |
Wahl“, erklärte Stefan Hämäläinen, im Konzern verantwortlich für den | |
Bereich Gesellschaftsentwicklung. | |
Das Gefühl, keine Wahl zu haben, kennen die Menschen in Kiruna. Es prägte | |
auch die Stimmung beim als Volksfest gestalteten Umzug der Kirche, 113 | |
Jahre nach ihrer Einweihung. Was soll man machen, sagten viele, immerhin | |
wurde die Kirche gerettet. Die jüngste Nachricht traf die Stadt trotzdem | |
wie ein Schock. „Ich bin erschüttert sowohl als Bürgermeister als auch als | |
Einwohner“, sagte Kirunas Bürgermeister Mats Taaveniku. „Wir leben in einer | |
Grubenstadt und sind von der Grube abhängig“, sagt er. Man sei bereit, | |
immer neue Opfer dafür zu bringen, „aber nicht um jeden Preis.“ | |
Der Staat müsse mehr Verantwortung für den Stadtumbau übernehmen, fordert | |
er. Unter anderem verlangt die Kommune Zuschüsse für Investitionen sowie | |
Anreize für Menschen, die nach Kiruna kommen – Arbeitskräftemangel ist nur | |
eine von mehreren Sorgen der Stadt. | |
## 850 Einfamilienhäuser werden abgerissen | |
Der Kirchenumzug, bei dem das Gebäude im Ganzen fünf Kilometer auf einer | |
eigens vorbereiteten Strecke durch die Stadt gerollt wurde, war Teil des | |
großen Stadtumbaus, dessen Planung 2004 begann und der bis 2035 | |
abgeschlossen werden soll. Nun soll sogar der zusätzlich betroffene Bereich | |
bis dahin verschwunden sein. Gut 2 Milliarden Euro plant der Konzern allein | |
für dessen Abriss und Neubau ein. | |
Es gebe mehrere Faktoren, die dazu führten, dass die Gesellschaft stärker | |
betroffen sei als früher gedacht, erklärte LKAB-Mann Hämäläinen. In der | |
nach Konzernangaben weltweit größten unterirdischen Eisenerzgrube wird | |
immer tiefer gebohrt, gefördert wird das Erz jetzt schon in 1,3 Kilometer | |
Tiefe. Der Untergrund ist in Bewegung, Risse gehen bereits bis unter das | |
alte Zentrum. Verstärkt worden sei dies 2020 durch „seismische | |
Vorkommnisse“, also Schwedens bis dahin größtes Grubenbeben. | |
Bis jetzt war neben großen Mietshäusern vor allem das alte Zentrum der | |
Stadt betroffen, mit Einrichtungen wie Stadtverwaltung, Kulturzentrum und | |
Bibliothek. Nun sollen neben 20 größeren Immobilien auch 850 | |
Einfamilienhäuser weichen. Alle Betroffenen erhalten demnächst Post und | |
Einladungen zu Gesprächen. | |
[2][Es ist nicht nur das Eisenerz – mit dem LKAB sich auch als entscheidend | |
für die Entwicklung einer grünen Stahlproduktion in Schweden präsentiert.] | |
Es geht inzwischen auch um Seltene Erden[3][. Der Abbau der sogenannten | |
Per-Geijer-Funde ist das Ziel] – sie liegen unter dem Gebiet, das samische | |
Rentierhalter der Region als letzte erhaltene Passage zwischen Berg und | |
Sommerweide für ihre Tiere benötigen. | |
## Es geht um staatlichen Grund und Boden | |
Aber auch der nun proklamierte Neubau von Häusern und Wohnungen für weitere | |
6.000 Menschen wird bislang unbebautes Land in Anspruch nehmen. Karin K | |
Niia vertritt die betroffenen Rentierhalter vom Gabna Sameby: „Es gibt | |
nichts, was Koexistenz heißt. Alles in und um Kiruna geschieht zu den | |
Bedingungen der Grubenindustrie und LKAB“, kritisierte sie im schwedischen | |
Fernsehen SVT. Der Konzern räumt ein, dass es Interessenkonflikte gibt, sie | |
müssten im Dialog besprochen werden. Karin K Niia will zuerst genauer die | |
Konsequenzen der neuen Pläne abwarten, „aber unsere grundsätzliche Haltung | |
ist, dass der Staat nicht das Recht hat, dieses Gebiet zu nehmen.“ | |
Es ist staatlicher Grund und Boden, um den es jetzt geht: Die Kommune | |
Kiruna hat bereits alles, was ihr gehört, für die Stadtumwandlung zur | |
Verfügung gestellt. „Das bedeutet, der schwedische Staat muss mit uns | |
arbeiten, damit der Zugang dazu gesichert wird“, so Hämäläinen. | |
Am wichtigsten sei die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Prozess, „das | |
hat bisher gut geklappt“. Ob das Timing der Bekanntgabe so kurz nach dem | |
Kirchenumzugs-Festival geschickt war? Laut LKAB hatte das eine mit dem | |
anderen nichts zu tun. Beides habe langfristige Vorbereitungen | |
vorausgesetzt, und der erweiterte Stadtumbau sei schnellstmöglich bekannt | |
gegeben worden. | |
1 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Historische-Kirche-in-Schweden/!6105199 | |
[2] /Klimafreundlicher-Umbau-der-Industrie/!6094439 | |
[3] /Europas-groesstes-Vorkommen-entdeckt/!5908613 | |
## AUTOREN | |
Anne Diekhoff | |
## TAGS | |
Schweden | |
Bergbau | |
Umwelt | |
GNS | |
Schweden | |
Kolonialismus | |
Schweden | |
Schweden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Bergbau rückte zu nah: 600 Tonnen auf Rädern | |
Die schwedische Stadt Kiruna muss umziehen. Die Kirche wird zwar gerettet, | |
viel Vertrautes verschwindet dennoch. Und das glänzend Neue gefällt nicht | |
allen. | |
Hamburger Ausstellung über Sami-Kultur: Verzweifelte Selbstermächtigung | |
Die Ausstellung „Sami Horizonte“ in Hamburgs ethnografischem Museum erzählt | |
von nordischem Kolonialismus. Was fehlt, sind dessen aktuelle Ausprägungen. | |
Ende der EU-Ratspräsidentschaft: Wo war denn Schweden? | |
Die Sorgen, dass Stockholm beim Klima und Naturschutz bremsen würde, | |
bewahrheiteten sich. Die schwedische Ratspräsidentschaft endet am Freitag. | |
Schwedische Stadt weicht dem Bergbau: In vier Jahren ist alles weg | |
Kiruna lebt vom Erz. Weil die Eisenvorkommen bis unter die schwedische | |
Stadt reichen, wird sie nun abgerissen. Ein Umzug der besonderen Art. |