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# taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Akrobaten turnen im Kreml
> Lidokino 6: Regisseur Jim Jarmusch blickt etwas altersmüde auf Familien.
> Olivier Assayas macht dagegen zu gute Unterhaltung über Russland bei den
> Filmfestspielen.
Bild: Vicky Krieps, Cate Blanchett und Charlotte Rampling in „Father Mother S…
Um den neuen Spielfilm von Jim Jarmusch hatte es im Vorfeld Rätselraten
gegeben. [1][Im Frühling wollten Branchenblätter gewusst haben, dass er für
Cannes vorgesehen sei]. Da Jarmusch dort regelmäßig mit seinen Filmen in
den Wettbewerb eingeladen wurde, schien es sicher, dass auch „Father Mother
Sister Brother“ dort antreten würde. Am Ende lief er nicht in Cannes.
Stattdessen feierte er jetzt in Venedig Premiere, wo man ihn des
Wettbewerbs für würdig erachtete. Wo sonst?
Zwar hat Jarmusch mit der schwermütigen Familienkomödie keinen Höhepunkt
seines Spätwerks beigesteuert, doch gab es in diesem Rennen um den Goldenen
Löwen bisher schon weniger geglückte Kandidaten. „Father Mother Sister
Brother“ ist ein Episodenfilm, der verschiedene Konstellationen der im
Titel aufgelisteten Familienteile durchspielt.
## Schon wieder Tee
In der ersten Geschichte sind das Bruder und Schwester, die den Vater
besuchen. Adam Driver und Mayim Bialik spielen die erfolgreichen
Geschwister, während Tom Waits den Part des schrulligen ärmlichen Vaters im
Ruhestand übernimmt. Die Atmosphäre ist steif, das zwischen den
Versammelten Unausgesprochene hängt bleischwer über der Szenerie.
Daran kann auch das Zuhause des Vaters, ein freundliches helles Holzhaus in
New Jersey mit Blick auf einen See, nichts ändern. Jedes Gesprächsthema,
vom Wasser, das sie trinken, bis zum Tee, den die Schwester schließlich
zubereitet, besteht vor allem aus peinlichen Pausen. Die Komik kommt bei
Jarmusch insbesondere durch das trockene Bloßstellen der Absurdität der
Situation zustande, gelegentliche Albernheiten inklusive.
So auch in der zweiten Episode, in der eine Mutter in Dublin ihre Töchter
zum Tee erwartet. Charlotte Rampling gibt die höchst stil- und formbewusste
Mutter, als Töchter kommen Cate Blanchett und Vicky Krieps zu Besuch.
Wieder eine steife Atmosphäre, wieder eine Kommunikation, in der Offenheit
unbekannt zu sein scheint.
Bloß wirken diesmal beide Töchter übertrieben gekünstelt, sie scheinen in
ihren absichtlich gegen ihren Typ gestalteten Kostümen zu verschwinden.
Wieder Gespräche über Wasser und Tee, selbst einzelne Sätze aus der ersten
Episode werden wiederholt, wenngleich leicht abgewandelt.
Als Ausklang ein Zwillingspaar, verkörpert von Indya Moore und Luka Sabbat.
Die Eltern sind vor Kurzem gestorben, der Bruder hat die Wohnung
entrümpelt, die Schwester ist gekommen, um einen Blick in die leeren Räume
zu werfen.
## Abschiednehmen
Hier ist die Idee des Abschiednehmens von den Eltern dominierend, der Witz
am spärlichsten, obwohl auch hier erneut über Wasser gesprochen wird.
Jarmusch wiederholt damit nicht allein Elemente dieses Films, wie er stets
gern getan hat, er zitiert zudem ausgiebig sich selbst, von „Night on
Earth“ bis „Coffee & Cigarettes“. Ein bisschen altersmüde, das alles.
Sehr viel will dafür [2][Olivier Assayas] mit seinem Wettbewerbsfilm „Le
mage du Kremlin“ über den fiktiven Russen Wadim Baranow. Man folgt darin
Paul Dano in der Rolle dieses One-Man-Thinktanks, der eine Karriere vom
Moskauer Theaterregisseur zum Berater Wladimir Putins hinlegt, durch alle
Höhen und insbesondere Tiefen der Geschichte Russlands nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion.
Der Film, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Giuliano da Empoli,
ist prominent besetzt, mit Jude Law als Putin und Alicia Vikander als
Baranows Freundin Ksenia. Selbst der Musiker [3][Thurston Moore], der auch
Teile des Soundtracks geschrieben hat, ist in einem Cameo-Auftritt als
Synthesizerspieler im wilden Moskau der frühen Neunziger zu sehen.
In einem Interview, das Baranow einem amerikanischen Autor gibt (Jeffrey
Wright), lässt Assayas die Entwicklung des Systems Putin vorüberziehen, von
den Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser in Russland 1999 bis zu den
russischen Trollfabriken. Fast alles davon ist in diesem Fall von Baranow
erdacht oder zumindest maßgeblich mitentwickelt.
Paul Dano als charmanter Zyniker der Macht erscheint mit seinen leicht
runden Zügen durchaus plausibel besetzt, doch die Abgründe der Macht in
Russland geraten, bei aller Ausführlichkeit ihrer Schilderung, durch die
Ästhetisierung als packender Thriller in ihrer realen Grausamkeit eher in
den Hintergrund. Man fühlt sich unangemessen „gut unterhalten“.
1 Sep 2025
## LINKS
[1] /Eroeffnung-der-Filmfestspiele-von-Cannes-Mehr-weiblichen-Bodyhorror-wagen/…
[2] /Berlinale-Spielfilm-Hors-du-temps/!5992826
[3] /Thurston-Moore-uebers-Gitarrespielen/!5411393
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Kolumne Lidokino
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
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Thriller
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