# taz.de -- Bundesministerin Radovan in Nahost: Warten auf den Wiederaufbau | |
> Israel verweigert Einfuhrgenehmigungen für Hilfen für Gaza. Im | |
> Westjordanland versuchte Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali | |
> Radovan Druck zu machen. | |
Bild: Hier in Gaza-Stadt werden provisorische Häuser benötigt, allein: Die h�… | |
Ramallah taz | Wände aus bräunlichem Plastik, eine Dachkonstruktion aus | |
Metallrohren und Platten, etwa 17 Quadratmeter Fläche, kein Boden, winzige | |
Fenster – so sehen die temporären Behausungen aus, die bald überall im | |
Gazastreifen den Menschen Zuflucht bieten sollen. Doch bislang stehen sie | |
in Paletten auf einem Parkplatz in Ramallah, der de-facto-Kapitale der | |
palästinensischen, von Israel besetzten Gebiete. | |
Die Sonne brennt auf die Materialstapel herunter, ein Banner zeigt, wie sie | |
einmal im Gazastreifen aufgestellt werden sollen: „Inclusive Transitional | |
Community Neighborhoods in the Gaza Strip“ nennt sich das Projekt – | |
inklusive Gemeinschaftsunterkünfte für den Übergang. Finanziert hat die | |
provisorischen Häuschen, auch das steht auf dem Banner, unter anderem die | |
deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Doch wann die Paletten in | |
Gaza eintreffen werden, weiß hier niemand. Auch nicht die | |
Projektverantwortlichen. | |
Im Rahmen ihrer Reise in den Nahen Osten hat die deutsche Bundesministerin | |
für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit Reem Alabali Radovan | |
(SPD) diese Woche den Parkplatz besucht. Eine der temporären Behausungen | |
wurde dafür aufgebaut, zur Ansicht. Warm ist es darin, die Luft zwischen | |
den dünnen Wänden heizt sich unter der nahöstlichen Sonne schnell auf. | |
Pia Hansen, Mitarbeiterin im Gaza-Team des Entwicklungsprogramms der | |
Vereinten Nationen UNDP, erklärt der Ministerin: „Wir haben dieses Modell | |
nicht gewählt, weil es das Beste ist. Sondern weil wir zum jetzigen | |
Zeitpunkt keine Möglichkeit sehen, andere Materialien nach Gaza | |
hineinzuschaffen.“ Eigentlich, sagt Hansen, sollen die Übergangsbehausungen | |
nur der erste Schritt sein. Dann sollen Container folgen, dann permanentere | |
Unterkünfte, etwa aus Beton oder Fiberglas. | |
## Die Zerstörung hält an | |
Doch die Abstimmung mit der zuständigen israelischen Behörde ist | |
kompliziert. Bisher seien nur die „Technicalities“ an sich bewilligt | |
worden, nicht aber die konkrete Konstruktion der Behausungen, sagt Hansen. | |
Während die Zerstörung noch anhält, ist der Wiederaufbau des Gazastreifens | |
schon ein zentrales Thema der Reise von Ministerin Alabali Radovan. Und wie | |
kompliziert diese Mammutaufgabe ist, zeigt die Causa der provisorischen | |
Unterkünfte. | |
An ihnen besteht dringender Bedarf. Zahlen der Vereinten Nationen zufolge | |
ist der Großteil der Gebäude im Gazastreifen beschädigt oder zerstört. Die | |
Fläche, auf der sich die Palästinenserinnen und Palästinenser noch | |
aufhalten dürfen, schrumpft zudem beständig. Immer wieder gibt der | |
arabischsprachige Sprecher des israelischen Militärs neue | |
Evakuierungsanordnungen aus: Der Norden des Küstenstreifens, der Süden um | |
die Stadt Rafah und eine breite Zone entlang der Grenze zu Israel sind | |
schon seit Längerem No-Go-Zonen. Nach Angaben der [1][israelischen | |
Organisation Gisha sind allein seit Ende der temporären Waffenruhe im März | |
beinahe 800.000 Menschen innerhalb des Gazastreifens vertrieben worden]. | |
Nun kommt Gaza-Stadt hinzu. Vor etwa zwei Wochen hatte die israelische | |
Regierung verkündet, [2][die Stadt einnehmen zu wollen]. Laut Gisha seien | |
allein in der Woche nach der Ankündigung 12.000 Menschen vertrieben worden, | |
davon 95 Prozent aus Gaza-Stadt. Der Prozess der Eroberung hat begonnen, | |
das Militär rückt vor. Am Donnerstag vermeldete der katarische Sender Al | |
Jazeera, dass im Stadtviertel Zeitoun bislang 1.500 Gebäude demoliert | |
worden seien, 80 Prozent der Menschen aus dem Viertel seien geflohen. | |
Die Menschen sollen in den Süden flüchten, sagt die israelische Armee. Doch | |
auch dort ist die Situation äußerst prekär – vor allem, was die | |
Unterbringung und die Versorgung mit Sanitäranlagen betrifft. | |
Nahrungsmittel kommen mittlerweile wieder mehr hinein nach Gaza, Angaben | |
der zuständigen israelischen Behörde COGAT zufolge alleine im August 90.000 | |
Tonnen. Und seitdem Israel Anfang des Monats begann, wieder kommerzielle | |
Lebensmitteltransporte zuzulassen, sinken auch die horrenden Preise auf den | |
Märkten im Küstenstreifen. | |
Bei den Gütern zum Bau von Unterkünften sieht die Lage ganz anders aus. | |
Nach Angaben von Gisha sind in etwa 86.000 Zelte und über eine Million | |
Planen auf dem Weg nach Gaza – aber werden von Israel nicht hineingelassen. | |
Seit Ende Mai dürfen zwar wieder Hilfsgüter passieren, doch davon sind | |
lediglich 5.600 Tonnen sogenanntes „Shelter Equipment“. Das umfasst alle | |
Güter, die zur temporären Unterbringung benötigt werden, etwa Zeltplanen. | |
Oder eben die Behausungen, die auf dem Parkplatz in Ramallah – und nach | |
Angabe von UNDP auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in | |
Jordanien – auf ihren Einsatz warten. Doch warum ist das so? | |
Die israelischen Genehmigungsverfahren für diese Art von Gütern sind sehr | |
kompliziert. Das berichten immer wieder Stellen der Vereinten Nationen, und | |
auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Gisha. Jedes Detail muss in | |
den Anträgen dokumentiert werden – so wie es Hansen für die temporären | |
Behausungen beschreibt. Das frisst Zeit. Und auch die Bewilligungen dauern | |
– wenn sie denn erfolgen. | |
Zudem ist die Liste der Güter, denen die Einfahrt verweigert wird, lang. | |
Nach Angaben des US-Mediums CNN wurden etwa Medikamente zur Behandlung von | |
Krebs und Krücken, aber auch Schlafsäcke abgelehnt. Die Gründe sind auch | |
den Organisationen nicht immer nachvollziehbar. | |
Und noch eine weitere Art gibt es, wie Israel die Versorgung der Menschen | |
in Gaza erschwert: Viele Nichtregierungsorganisationen, auch wenn sie schon | |
länger im Gazastreifen Hilfe leisten, müssen sich derzeit neu als solche | |
registrieren. Das dauert – und die Zulassung ist nicht garantiert. | |
Die UNDP versuche sich vorzubereiten, sagt Hansen, für den Moment, wenn | |
Israel die Einfuhr der temporären Behausungen erlaubt. Dann wolle man | |
schnell skalieren können, sagt sie. Dafür haben die UNDP-Mitarbeitenden | |
eine Karte des Gazastreifens angefertigt, die aufzeigt, wo ganze | |
Nachbarschaften mit den Behausungen entstehen könnten. | |
Die Bewertung erfolgt unter anderem aufgrund der Tauglichkeit: Wie schwer | |
beschädigt sind die Strukturen auf den Flächen? Wie ist die Anbindung an | |
Versorgungsnetze? In dieser Analyse habe man außerdem Grundstücke | |
identifiziert, die nicht in Privathand sind und auf denen die Viertel | |
aufgebaut werden könnten, 294 solcher Grundstücke gebe es, die meisten | |
davon in Südgaza. | |
Nach den Berechnungen von UNDP könnten auf diesen 294 Parzellen 700.000 | |
Menschen untergebracht werden: Jeweils zwei Behausungen – also um die 35 | |
Quadratmeter Wohnfläche – sollen zusammen einer Familie von 8 bis 10 | |
Menschen zur Verfügung stehen. Jeweils zwei Familien sollen sich | |
Sanitäreinrichtungen teilen. Und die Nachbarschaften sollen so angelegt | |
werden, dass Versorgungsstationen in der Nähe liegen. Mit dem Projekt wolle | |
man den Menschen nicht nur eine Unterkunft bieten, sondern auch wieder | |
Gemeinschaft unter den Binnenvertriebenen herstellen, sagt Hansen. | |
Das Projekt habe man mit deutscher Beteiligung entwickelt, sagt Hansen beim | |
Besuch der Bundesministerin. Insgesamt, schätzt ein UNDP-Mitarbeiter, | |
könnte das Projekt um die 10 Milliarden US-Dollar kosten. Wer dafür | |
aufkommen soll – also wer für Schäden im Gazastreifen verantwortlich ist �… | |
ist eine komplizierte juristische Frage. Der UNDP zufolge soll das Geld | |
zunächst von internationalen Spendern kommen, aber auch aus dem privaten | |
Sektor. | |
Ministerin Alabali Radovan sagt in Ramallah: „Familien brauchen ein Dach | |
über dem Kopf, Kinder ein Bett und eine Waschgelegenheit.“ Deutschland | |
wolle helfen, aus Trümmern wieder ein Zuhause zu machen. „Dafür braucht es | |
einen dauerhaften Waffenstillstand – die israelische Regierung muss die | |
Kämpfe einstellen, die Hamas ihre Waffen niederlegen und die Geiseln | |
bedingungslos freilassen.“ Es sieht derzeit nicht so aus, als ob diese | |
Forderungen gehört würden. | |
Von vielen Seiten wird viel Aufwand betrieben, um die provisorischen Häuser | |
nach Gaza zu schaffen: Nicht nur von der deutschen | |
Entwicklungszusammenarbeit und der UNDP, sondern auch von der | |
palästinensischen Autonomiebehörde. Dass die Behausungen ankommen müssen, | |
wird mit der Offensive auf Gaza-Stadt noch dringender. Doch am Ende liegt | |
die Macht bei Israel: Ohne Genehmigung keine Einfuhr. Viel Arbeit, bislang | |
keine Lieferung. | |
29 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://features.gisha.org/displacement/ | |
[2] /Israelische-Offensive/!6109551 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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