Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rock gegen rechts: Jamel rockt die Behörden
> Seit April gibt es einen Streit zwischen dem Festival „Jamel rockt den
> Förster“ und der Gemeinde Gägelow. Nun könnte die Veranstaltung doch
> stattfinden.
Bild: Auftakt gegen rechts: Besucher:innen tanzen am ersten Tag des Festivals �…
Am Freitag werden sie trotz alledem anreisen, die rund 3.500 Menschen, die
bei der Verlosung der Tickets für „Jamel rockt den Förster“ das Glück
hatten, aus mehr als 24.700 Interessenten ausgelost zu werden. Dabei haben
sich die Gemeinde Gägelow, zu der Jamel gehört, und der Landkreis
Nordwestmecklenburg wirklich viel Mühe gegeben, der zweitägigen
Veranstaltung möglichst viele Steine in den Weg zu legen.
Seit 2007 gibt es das [1][Festival gegen rechts], veranstaltet von dem
ursprünglich aus Hamburg stammenden Künstlerpaar Horst und Birgit Lohmeyer.
Die hatten sich den alten, denkmalgeschützten Forsthof als Altersruhesitz
gekauft – obwohl das 40-Seelen-Dorf Jamel damals schon von bekennenden
Neonazis und alten NPD-Kadern dominiert wurde. Seither haben sich weitere
rechte Familien angesiedelt. Deren Angriffen auf alles, was anders tickt,
sollte das Festival etwas entgegensetzen.
Doch dieses Mal gibt es nicht nur mit den Dorfbewohnern Konflikte, sondern
auch mit den Behörden, mit denen man sich einen langen und zähen Kleinkrieg
vor Gericht liefert. Seit April ergehen in zunehmend engerer Taktung
einstweilige Anordnungen und Beschlüsse vom Verwaltungsgericht Schwerin,
die dann in schöner Regelmäßigkeit mit Beschwerden vor dem
Oberverwaltungsgericht Greifswald angegriffen werden.
Die gerichtliche Auseinandersetzung begann, als die Gemeinde Gägelow Anfang
des Jahres wahr machte, was sie schon länger angedroht hatte. Die erst 2024
gewählte Bürgermeisterin Christina Wandel von der Wählergemeinschaft „Wir
für die Gemeinde Gägelow“ übersandte dem Künstlerpaar Horst und Birgit
Lohmeyer Pachtverträge für die gemeindeeigenen Wiesen rund um den alten
Forsthof der Lohmeyers. Rund 8.000 Euro wollte die Gemeinde dafür haben,
dass diese Wiesen einen Monat lang als Rangierfläche beim Auf- und Abbau
und als Park- und Campingplatz während des Festivals genutzt werden können.
## Die Lohmeyers ziehen also vor Gericht
Die Lohmeyers wollten das nicht so recht einsehen. Schließlich hatte die
Gemeinde die Flächen seit mehr als einem Jahrzehnt kostenlos zur Verfügung
gestellt. Und auch der Preis schien unverhältnismäßig, immerhin hat man für
die Teilfläche, die schon seit 2018 an einen der rechten Szene zugehörigen
Dorfbewohner verpachtet wird, nur 65 Euro im Jahr verlangt. Auf welcher
Grundlage die Pachtberechnung überhaupt erfolgt, wollte die Gemeinde
Gägelow auf taz-Anfrage nicht erklären.
Die Lohmeyers zogen also vor Gericht, und zwar mit einer zweigleisigen
Strategie: Sie bezweifelten einerseits die Rechtmäßigkeit der plötzlichen
Pachtforderung und erklärten andererseits ihr Festival zur politischen
Versammlung. Immerhin, so argumentieren sie, geht es ja zuallererst um die
politische Botschaft; welche Künstler auftreten, bleibt bis zum Schluss
geheim. Hier standen schon viele auf der Bühne, die in Deutschland Rang und
Namen haben.
Das fing an mit den Toten Hosen, die hier ein
Überraschungs-Solidaritätskonzert spielten, nachdem Unbekannte 2015 die
alte Scheune abgefackelt hatten. [2][Seither gibt sich die Musikprominenz
quer durch das gesamte musikalische Spektrum] die Klinke in die Hand:
Herbert Grönemeyer, die Ärzte, Madsen, Fettes Brot, Kraftklub, Danger Dan,
Igor Levit, Deichkind – um nur ein paar zu nennen.
Damit ist das Festival auch international bekannt geworden, wird mit
Preisen überhäuft, Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) ist
Schirmherrin. Vor Ort haben sie sich damit aber natürlich nicht beliebt
gemacht. Das gilt nicht nur für die Neonazis und völkischen Siedler, die
anfangs versuchten, Festivalbesucher zu attackieren und einzuschüchtern,
sondern auch für jene Bürger, die das vor allem als Nestbeschmutzung
empfinden und als Veranstaltung für zugereiste Großstadtbewohner, die nach
zwei, drei Tagen wieder verschwinden.
Das Ganze nun auch offiziell als [3][politische Veranstaltung] zu
deklarieren, hatte allerdings einen Haken: Plötzlich war der Landkreis als
zuständige Versammlungsbehörde im Spiel. Und der erließ gleich einmal
drakonische Auflagen: Alkoholverbot, keine Glasflaschen, mehr Ordner waren
die wichtigsten. Außerdem wollte man die teilnehmenden Künstler vorab
gemeldet bekommen, wegen des „unterschiedlich hohen
Mobilisierungspotenzials“.
Mit dem Vorgehen gegen die Pachtvereinbarung hatten die Lohmeyers zunächst
keinen Erfolg. Zwar ließ das Verwaltungsgericht die Klage zu, fand aber den
beantragten einstweiligen Rechtsschutz nicht so dringend. Die
Festivalveranstalter hätten ja nicht nachweisen können, dass diese
Forderung existenzbedrohend sei, befand es. Angesichts des Gesamtbudgets
für die Veranstaltung fielen die Gebühren der Gemeinde nicht so sehr ins
Gewicht, man könne ja auch die Eintrittspreise erhöhen.
Wenn sich dann im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass die Forderung der
Gemeinde unberechtigt war, könne man das Geld immer noch zurückfordern,
argumentierte das Gericht. Das sah auch das Oberverwaltungsgericht
weitgehend so, bei dem man Beschwerde eingelegt hatte. Die Lohmeyers
entschieden sich also, zähneknirschend erst einmal zu zahlen.
Doch – und spätestens hier wird es kurios – das stellte sich dann als gar
nicht so einfach heraus. Schon der Abschluss und die Prüfung der Verträge
zog sich ungewöhnlich lange hin. Dann überwies der Veranstalter den
geforderten Betrag – und die Gemeinde buchte ihn am nächsten Tag zurück.
Erst auf mehrfache Nachfrage der Anwaltskanzlei erklärte die Gemeinde,
wieso: Sie war mit der Zahlung unter Vorbehalt nicht einverstanden. Die
Lohmeyers sollten zahlen und auf eine mögliche Rückzahlung verzichten.
Das, befand das Verwaltungsgericht Schwerin am 7. August, sei „treuwidrig
und unzulässig“, es widerspreche dem Verbot des widersprüchlichen
Verhaltens, an das Behördenhandeln nun einmal gebunden sei. Zumal der
Verdacht, die Gemeinde nutze hier die zeitliche Bedrängnis aus, nicht vor
der Hand zu weisen sei. Im Übrigen musste der Gemeinde ja bewusst sein,
dass auch der Landkreis das Vorliegen eines gültigen Nutzungsvertrages zur
Auflage für die Versammlung gemacht hatte.
## Eine deutliche Ansage
Eine ziemlich deutliche Ansage – sollte man meinen. Die Bürgermeisterin
unterzeichnete den Vertrag aber offensichtlich nur mit einigem Widerwillen.
Neben ihrer Unterschrift fand sich der handschriftliche Vermerk „erpresst“
– so hat es das Verwaltungsgericht festgehalten. Und weil die Unterschrift
ihrer Stellvertreterin gleich ganz fehlte, war immer noch kein gültiger
Vertrag zustande gekommen. Also musste das Verwaltungsgericht Schwerin am
11. August erneut eine einstweilige Anordnung erlassen – damit endlich mit
dem Mähen der Wiesen und dem Abtransport des Mähgutes begonnen werden
konnte.
Auch der Landkreis als Versammlungsbehörde hatte sich im ersten Durchgang
eine Niederlage eingefangen. Das Verwaltungsgericht befand einen Großteil
der angestrebten Auflagen für übertrieben. Es verwies auf die Erfahrungen
der vergangenen Jahre und die Gefährdungsabschätzung der Polizei. Das
wiederum brachte Landrat Tino Schomann (CDU) auf die Palme. Er behauptete,
das Gericht habe die Erwiderungsschrift des Landkreises gar nicht zur
Kenntnis genommen – eine Behauptung, die er später korrigieren musste,
lediglich eine nachgereichte Akte war nicht rechtzeitig auf dem
Schreibtisch des Richters gelandet.
Sein Kreisvorsitzender Thomas Grote (CDU) suggerierte gar gleich, hier sei
wohl eine politisch gelenkte Justiz am Werk und Ministerpräsidentin Manuela
Schwesig (SPD) habe Einfluss genommen – eigentlich eine klassische
AfD-Rhetorik, die in der Landespolitik auf entsprechenden Unmut und
Widerspruch stieß.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Landrat Schomann deutlich
rechts blinkt: Auch dem Flüchtlingsrat drohte er schon eine Klage an, weil
ihm dessen Bewertung von Vorgängen in einer Flüchtlingsunterkunft des
Kreises missfiel. Mit seiner Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht
gegen die gekippten Auflagen hatte er aber zumindest teilweise Erfolg. Die
höhere Anzahl an Ordnern und das Verbot von Glasflaschen wurde wieder
eingesetzt. Neben Sicherheitsbedenken hatte der Landkreis in einer zweiten
Ordnungsverfügung auch noch weitere „naturschutzrechtliche Bedenken“ ins
Feld geführt – schon in der Begründung der ersten Fassung hatte man
ausgiebig auf die Gefahren durch Wildpinkler und Waldbrände verwiesen.
Mit dem ersehnten Alkoholverbot konnte er sich allerdings auch dieses Mal
nicht durchsetzen, obwohl man sehr viel Mühe darauf verwandt hatte, aus dem
vermuteten Alkohol- und Cannabiskonsum ein Sicherheitsrisiko zu
konstruieren. Tatsächlich wird das Festival jedes Jahr von einem
erheblichen Polizeiaufgebot begleitet – das dient aber weniger dazu, außer
Rand und Band geratene Festivalteilnehmer im Zaum zu halten, als vielmehr
dazu, Zusammenstöße mit den rechten Dorfbewohnern zu verhindern.
Über die eigentlichen Fragen, also ob die Pachtforderung in dieser Höhe
gerechtfertigt ist und ob es sich hier nun um eine politische Versammlung
oder doch eher ein kommerzielles Festival handelt, ist immer noch nicht
entschieden. Das Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht steht noch
aus. Aber so lange wollten die zuständigen Behörden eben nicht warten.
Und zumindest der Landkreis lässt sich die Angelegenheit richtig etwas
kosten: Mit der Vertretung vor dem OVG hat man eigens eine externe
Anwaltskanzlei beauftragt, die – sagen Branchenkenner – eher im oberen
Preissegment angesiedelt ist. Den hauseigenen Juristen traute man dies wohl
nicht zu.
19 Aug 2025
## LINKS
[1] /Malle-Antifa-von-Kommando-Internet/!6090820
[2] /Neues-Album-der-Band-Kafvka/!6033643
[3] /Brassband-Banda-Communale-im-Osten/!6006427
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Schwerpunkt Demos gegen rechts
Jamel
Linke Proteste
Festival
Reden wir darüber
Social-Auswahl
Schwerpunkt Antifa
Musik
Wahlen in Ostdeutschland 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Malle Antifa“ von Kommando Internet: Smashhits gegen rechts
Das Kommando Internet bringt zehn Ballermannsongs für einen Partysommer mit
Links. Sie sind unerträglich. Und unerträglich gut. Die rechte Ecke
meckert.
Neues Album der Band Kafvka: Rau, verbissen und gegen rechts
Die Berliner HipHop-Crossoverband Kafvka macht Front auf dem neuen Album
„Kaputt“. Mit ihren Songs sagen sie jeder rechten Politik den Kampf an.
Brassband Banda Communale im Osten: „Sachsen positiv besetzen“
Die Brassband Banda Comunale tourt durch die sächsische Provinz. Dort
spielt sie gegen Rechtsextremismus und sagt: Es gibt noch viel zu tun.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.