# taz.de -- Stück „Tapajós“ auf Kampnagel in Hamburg: Der Fluss fließt i… | |
> Das internationale Sommerfest auf Kampnagel in Hamburg zeigt | |
> internationale Inszenierungen. „Tapajós“ von Gabriela Carneiro da Cunha | |
> erzählt von Gold. | |
Bild: Das Stück „Tapajós“ von Gabriela Carneiro da Cunha arbeitet viel mi… | |
Ein dunkler Raum. Eine rote Glühbirne. Zwei Schalen mit Flüssigkeit: | |
Entwickler, Fixierer. Nur Licht und Chemie. Mit dem Sichtbarmachen eines | |
Bildes beginnt „Tapajós“. Zwei Frauen in weißen Overalls und rot | |
leuchtenden Stirnlampen tauchen es in die erste Flüssigkeit, schwenken es | |
hin und her. Langsam erscheinen Umrisse: Ein Bild eines kleinen Jungen im | |
Wasser. | |
Tapajós ist ein Fluss in Brasilien und die dritte Performance aus einer | |
Reihe der Regisseurin Gabriela Carneiro da Cunha. Seit 2013 beschäftigt sie | |
sich mit den Zerstörungen, die Mensch und Natur im Amazonas erleiden müssen | |
und das mit einer Dringlichkeit, die wehtut und die es doch dringend auf | |
Bühnen braucht, wie jetzt beim [1][internationalen Sommerfest auf Kampnagel | |
in Hamburg]. | |
In der Dunkelkammer entwickelt Cunha gemeinsam mit Mafalda Pequenino live | |
reihenweise Bilder, die am Tapajós entstanden sind: Kinder im Wasser, | |
beeindruckende Landschaften. Es ist ruhig, aber nicht ermüdend. Der rote | |
Raum wird lebendig durch die Geräusche des Flusses. Mal plätschert er | |
leise, mal klingt es, als würde man auf einem Boot durchs Wasser gleiten, | |
sacht schlagen die Wellen an den Bug. Und mal mischt er sich mit fröhlichen | |
Kinderstimmen. | |
## Quecksilber im Wasser | |
Schlagartig ist es vorbei mit der Ruhe. Lärm, Maschinen. Körper in | |
aufmerksamer Gefahrenbereitschaft. [2][Im Fluss Tapajós wird illegal Gold | |
geschürft] unter der Verwendung von hochgiftigem Quecksilber. Davon landet | |
das meiste im Flussbett und so in den Fischen, die für die indigenen Völker | |
am Ufer des Tapajós wie den Munduruku eine Lebensgrundlage sind. Die | |
Menschen erleiden Vergiftungen, die nicht heilbar sind. Forschende, so hört | |
man es im Originalton, haben in jeder untersuchten Person des Volkes | |
erhöhte Konzentrationen festgestellt. Es führt zu Lähmungen und kognitiven | |
Schäden. | |
Dass Cunha live Fotos entwickelt, ist kein Zufall. Auch für die Fotografie | |
wurde im 19. Jahrhundert Quecksilber verwendet. Auf den Bildern zeigt sie | |
jedoch die Schönheit des Flusses, nicht das Gold. Sie zeigt die Gesichter, | |
nicht das Leid. Zeitgleich halten indigene Frauen herzzerreißende Reden: | |
„Wir sind krank.“ Aus ihnen spricht Verzweiflung, aber auch Kampfgeist. Sie | |
kämpfen um ihre Heimat, ihre kulturelle Existenz: „Niemand wird uns den | |
Mund verbieten“, sagen sie. „O Futuro é Agora“ (Die Zukunft ist jetzt) | |
steht auf Portugiesisch an der Wand. | |
Es sprechen Frauen, denn vor allem werdende Mütter und ihre ungeborenen | |
Kinder scheinen am stärksten betroffen. Mütter sind in der | |
südamerikanischen Spiritualität zentral. So wie jeder Mensch, hat auch | |
jeder Ort, jeder Fluss eine Mutter, die ihn beschützt. Vor Beginn hatte | |
Cunha neun „Mütter“ aus dem Publikum gebeten, Teil der Inszenierung zu | |
sein. „Der Körper ist egal. Jeder kann eine Mutter sein“, sagte sie. | |
Diese Freiwilligen wurden später dann Teil eines Rituals, das all die | |
Mütter des Amazonas, die um ihre Heimat und die Gesundheit ihrer Kinder | |
kämpfen, mit den „Müttern der Natur“ verband. Mitten zwischen weißen | |
Fotoschalen und Kanistern mit Entwicklerflüssigkeit wird die Dunkelkammer | |
zu einem spirituellen Ort. Der Duft von wildem Basilikum erfüllt den Raum, | |
zahlreiche Glühwürmchen-Lampen tauchen ihn in ein warmes Licht. An Rituale | |
mögen manche glauben und manche nicht, aber nach dem gesehenen Leid hat es | |
etwas Heilendes. | |
## Mitgefühl mit Aktivismus verknüpft | |
„Tapajós“ arbeitet auf beeindruckende Weise mit verschiedenen Ebenen: | |
visuell, auditiv und spirituell, während es geschickt Mitgefühl mit | |
Aktivismus verknüpft. Und hat dabei einen klaren Appell: Auch wenn sich die | |
Zerstörung am anderen Ende der Welt abspielt, handelt es sich um Auswüchse | |
des Kolonialismus. Das Gold landet später in unseren Banken, an unseren | |
Armen – in Europa und Nordamerika. | |
Zum Ende öffnet sich die Bühne zu einer Galerie. Die Zuschauer:innen | |
betrachten die Bilder von Nahem und irgendwann sind die Performerinnen | |
verschwunden, das Licht ist angegangen und die Tür führt hinaus aus diesem | |
Raum, der das Publikum in andere Leben blicken ließ. | |
25 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Merle Zils | |
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