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# taz.de -- Menschenrechtler zu Aufnahmeverfahren: „Dieser Notausgang ist jet…
> Keine humanitären Visa mehr für russische Oppositionelle? Peter Franck
> von der Sacharow Gesellschaft kritisiert die Entscheidung der
> Bundesregierung.
Bild: Oppositionsprotest im April 2021 in Moskau
taz: Herr Franck, die deutsche Bundesregierung hat alle humanitäre
Aufnahmeverfahren ausgesetzt. Das trifft auch russische Oppositionelle, die
über diesen Weg bisher hier Schutz finden konnten. War der Schritt
absehbar?
Peter Franck: Wir haben das befürchtet. Von der Regelung haben seit Beginn
des umfassenden Angriffs Russlands auf die Ukraine viele profitiert. Die
Stimmung im Land war und ist ja aber generell so, dass Aufnahmen aus dem
Ausland eher schwieriger werden. Andererseits haben wir aber auch immer auf
das vertraut, was innerhalb der letzten Bundesregierung vereinbart worden
war. Denn die Situation hat sich ja nicht verändert. Noch stärkere
Befürchtungen gab es aber bei den Betroffenen, die der Fortsetzung der
Praxis nicht so richtig getraut haben.
taz: [1][Die Regelung war seit Mai 2022 in Kraft]. Von wie vielen Personen
sprechen wir?
Franck: Im Zeitraum von Mai 2022 bis Mai 2025 reden wir von 2600 Personen
aus Russland, die von der Möglichkeit, ein humanitäres Visum erhalten zu
können, profitiert haben. Ich höre aus anderen Ländern, dass diese bei der
Vergabe humanitärer Visa an Russ*innen wesentlich restriktiver sind. Auch
die mit dem humanitären Aufenthaltsstatus in Deutschland verbundenen
Sozialleistungen sind so, dass die Betroffenen in der Lage sind, ihr
menschenrechtliches Engagement von hier aus fortzusetzen.
taz: Vielleicht können Sie noch ein wenig mehr darüber sagen, was genau
dieses Visum bedeutet.
Franck: Dieses Visum ist wie eine Art Eintrittskarte. Mit ihr kann dann
nach der Einreise ein Aufenthalt aus humanitären Gründen beantragt werden,
der in der Regel gewährt wird. Das Visum ist in der Regel auf drei Monate
befristet, der humanitäre Aufenthalt wird dann häufig für drei Jahre
gewährt.
taz: [2][Von der Opposition in Russland ist leider nicht mehr viel übrig.]
Viele sitzen in Haft oder wurden ins Exil gezwungen. Dennoch gibt es noch
Menschen, die sich in Russland engagieren – allen Gefahren und Risiken zum
Trotz. Was bedeutet die Entscheidung der Bundesregierung für sie?
Franck: Das kommt ganz klar als Zeichen der Entsolidarisierung an in einer
Zeit wachsender Repressionen, in der diese Menschen unsere Solidarität so
dringend bräuchten. Bislang war das humanitäre Visum immer noch ein
Notausgang. Ohnehin nahm die Einzelfallprüfung immer auch eine gewisse Zeit
in Anspruch. Aber Betroffene hatten zum Beispiel die Möglichkeit, nach
Georgien zu reisen und von dort dann das humanitäre Verfahren zu
durchlaufen. Dieser Notausgang ist jetzt erst einmal grundsätzlich
versperrt. Sollte es dabei bleiben, werden Menschen, die sich in Russland
weiter engagieren, dies bei einer Entscheidung über die Fortsetzung ihres
Engagements berücksichtigen.
taz: Wie wirkt sich die Entscheidung der Bundesregierung auf Russ*innen
aus, die bereits mit einem Aufenthaltsstatus in Deutschland sind?
Franck: Das führt verständlicherweise zu einer großen Verunsicherung
hinsichtlich der Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel, die zu anderen
Verunsicherungen tritt: Viele dieser Menschen haben noch Verwandte in
Russland, die sich in einer potenziellen Verfolgungssituation befinden. Ich
nenne in diesem Zusammenhang nur Wohnungsdurchsuchungen bei Eltern als
Beispiel. Hinzu kommen natürlich die Probleme, die ein Leben im Exil
generell mit sich bringt – allem voran das Erlernen einer neuen Sprache.
taz: In Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetz, um den es hier geht, heißt es
auch, dass eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sei, wenn damit die
politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland gewahrt werden …..
Franck: Das ist aus meiner Sicht unbedingt gegeben. Wir müssen ein
Interesse daran haben, dass es überhaupt noch Menschen in Russland gibt,
die demokratisch, menschenrechtlich und rechtsstaatlich orientiert weiter
arbeiten, so trübe die Aussichten derzeit auch sein mögen. Eben genau dafür
braucht es die Möglichkeit des Paragrafen 22. Übrigens: Wer stattdessen
einen Asylantrag stellt, hat zumindest zunächst nur begrenzte
Reisemöglichkeiten.
taz: Welchen Nachteil hat das politisch?
Franck: Menschenrechtler*innen und Oppositionelle arbeiten derzeit im
Exil von vielen Ländern aus und halten Kontakt zu nationalen und
internationalen Regierungsstellen. Sie sind deshalb auf die
Reisemöglichkeiten angewiesen, die ihnen ein Aufenthaltstitel nach Paragraf
22 ermöglicht.
taz: Welches Argument würden Sie der Bundesregierung vor allem auf den Weg
geben, damit Sie Ihre Entscheidung noch mal überdenkt?
Franck: Das Fenster, das wir jetzt haben, müssen wir nutzen, um so viel
aufzubauen, wie möglich. Ich denke dabei vor allem an die Zeit nach einem
Ende des Krieges. Da wird es darauf ankommen, dass es in Russland Menschen
gibt, die sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
einsetzen. Humanitäre Aufnahmen leisten einen Beitrag zu einem nachhaltigen
Frieden. Auf diesen Zusammenhang von Frieden, gesellschaftlichem
Fortschritt und Menschenrechten hat, ganz zu Recht, auch schon der
Dissident Andrei Sacharow hingewiesen.
11 Aug 2025
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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