| # taz.de -- Tanzlehrerin über das Forró-Tanzen: „Der erotische und sinnlich… | |
| > Sandra Winterbach hat nach einem Burn-out in einem Wirtschaftskonzern zum | |
| > brasilianischen Tanz gefunden. Nun lädt sie zu einer Party in Hamburg. | |
| Bild: So kann's aussehen: Forró-Tanzende beim Virada Cultural-Festival 2008 in… | |
| taz: Sandra Winterbach, viele Menschen in Deutschland kennen Forró gar | |
| nicht – wie würden Sie diesen Tanz beschreiben? | |
| Sandra Winterbach: Als die brasilianische Variante von Salsa. Es ist ein | |
| sehr enger und vielseitiger Paartanz, mal mit schnellen Drehungen, mal sehr | |
| reduziert und nah. | |
| taz: Was macht ihn so besonders? | |
| Winterbach: Forró ist ein anfängerfreundlicher Tanz. Man kann innerhalb von | |
| wenigen Wochen schon so gut tanzen, dass man Spaß dabei hat. Außerdem hat | |
| Forró eine tolle Community, die einen integrativen und herzlichen Rahmen | |
| schafft, der von der brasilianischen Wärme und Lebensfreude geprägt ist. | |
| Ich habe angefangen zu unterrichten, weil ich den Prozess von Anfängerinnen | |
| liebe, die sich anfangs nicht sicher sind, ob sie hier richtig sind. Sie | |
| kommen dann innerhalb weniger Wochen aus sich raus und schöpfen | |
| Selbstbewusstsein. Aus dem Kopf raus und in den Körper rein, was in meiner | |
| Biografie ein wichtiges Thema ist. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Winterbach: Ich war früher bei Unilever. Ich bin eigentlich | |
| Wirtschaftsingenieurin und habe fünf Jahre Konzernkarriere gemacht. Dann | |
| hatte ich mehrere Fehlgeburten und ein Burn-out. Ich war nur im Kopf. | |
| Irgendwann hat das nicht mehr funktioniert, weil ich meinen Körper und | |
| meine Gesundheit ausgeblendet habe. Ich habe durch das Tanzen eine | |
| Verbindung mit mir gefunden. | |
| taz: Sie holen mit den Grammy-Preisträger*innen Mariana Aydar und Mestrinho | |
| zwei internationale Stars der Forró-Szene nach Hamburg. Was war die | |
| Motivation, dieses Event auf die Beine zu stellen? | |
| Winterbach: Ich liebe es, Partys zu schmeißen und Leute einzuladen. | |
| Außerdem liebe ich die Künstlerin [1][Mariana Aydar], über die das | |
| entstanden ist. Mein erster Lieblingssong im Forró ist von ihr. Die zweite | |
| Motivation ist angelegt in der [2][Safe-Community-Thematik]. Mariana Aydar | |
| und [3][Mestrinho] platzieren in ihrem Album ein Statement. Da sind Songs | |
| drauf, die solche Themen ansprechen. Ich weiß, dass wir durch so ein Event | |
| Aufmerksamkeit generieren können. So funktioniert die Welt. Dadurch werden | |
| wir gehört. | |
| taz: In der Forró-Szene sind jüngst [4][Missbrauchsvorwürfe] ans Licht | |
| gekommen. Welche Strukturen oder Verhaltensmuster machen solche Vorfälle im | |
| Forró möglich? | |
| Winterbach: Dieselben, die sie auch im Rest unserer Gesellschaft möglich | |
| machen. Im Tanz wird das schnell offensichtlich, denn dieser erotische und | |
| sinnliche Kontext ist Teil des Tanzes. Zum anderen gibt es Machtstrukturen | |
| in Forró-Communitys. Diese sind häufig sehr klein. Meistens existiert in | |
| einem Ort nur eine Forró-Gruppe, sodass es Machtstrukturen innerhalb dieser | |
| Gruppe gibt. Als Leiter dieser Gruppe und Organisator dieser | |
| Veranstaltungen ist man innerhalb der [5][Community] schnell mächtig. Und | |
| Machtstrukturen und -gefälle ermöglichen Machtmissbrauch. | |
| taz: Sie sind nicht nur Veranstalterin, sondern auch Forró-Lehrerin. Wie | |
| gehen Sie im Unterricht mit den Themen Nähe, Grenzen, Intimität und Macht | |
| im Tanz um? | |
| Winterbach: Ich thematisiere das schon im Schnupperkurs. Wir haben in | |
| Deutschland einen anderen Standard von körperlicher Nähe als in | |
| Lateinamerika. Beim ersten Treffen erkläre ich, wie die Tanzhaltung ist, | |
| und warum sie so gedacht ist. Und gleichzeitig sage ich meinen | |
| SchülerInnen, sie sollen mehr Abstand halten, wenn sie sich damit nicht | |
| wohlfühlen. Wir widmen diesem Thema eine ganze Tanzstunde und üben, Nein zu | |
| sagen. Dazu fordert jeder jeden zum Tanzen auf und jeder sagt mal Nein. | |
| Ohne Erklärung, ohne Entschuldigung. | |
| taz: Nein zu sagen, müsste demnach wirklich eigens geübt werden? | |
| Winterbach: Es ist immer wieder erstaunlich, wie schwer es uns fällt, uns | |
| das zu erlauben. Wir machen auch Übungen, in denen die SchülerInnen den Arm | |
| des Tanzpartners wegschieben, weil er zu weit am Po oder an der Hüfte | |
| liegt. Im Zweifel immer die Tanzhaltung auflösen. Diese Übungen sind | |
| wichtig, damit sich beide Seiten sicher fühlen. | |
| 12 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karoline Gebhardt | |
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