# taz.de -- Rassismusforscherin aus den USA: „Die Geschichte kehrt zu sich se… | |
> Im Wissenschaftsbetrieb ist Rassismus nicht nur für die Betroffenen ein | |
> Problem, sagt Forscherin Ebony McGee. Er verhindert auch Innovationen. | |
Bild: Studentin der Biologie in einem Labor an der University of California | |
taz: Frau McGee, in den USA macht die [1][Maga-Bewegung], allen voran | |
Donald Trump, Rassismus wieder salonfähig. Wie wirkt sich das auf die | |
US-amerikanische Hochschullandschaft aus? | |
Ebony McGee: Je nach institutionellem Kontext ganz unterschiedlich. | |
Besonders an historisch weißen Universitäten – ob privat oder öffentlich �… | |
nimmt offen ausgetragener Rassismus zu. Leute mit ultrakonservativen Werten | |
und Ideologen weißer Vorherrschaft waren dort in den letzten Jahren | |
stiller. Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht rassistisch verhalten | |
hätten. Doch gingen sie dabei viel subtiler vor, gaben Personen of Color | |
(PoC) durch abwertende Blicke oder andere Gesten das Gefühl, nicht | |
dazuzugehören. Jetzt fühlen sich diese Leute wieder stärker ermutigt, ganz | |
unverhohlen zu diskriminieren. | |
taz: Wie äußert sich das? | |
McGee: Manchen PoC wird Baumwolle an die Bürotür gehängt. Das ist mir auch | |
schon passiert. Anderen wird beispielsweise unterstellt, in einer Gang zu | |
sein, sobald sie im Labor mit ihren Kommiliton*innen Schwarze Musik | |
anstellen. Ihre weißen Kommiliton*innen formen dazu auch gern ihre | |
Hände zu Waffen und fuchteln damit herum. So diffamieren sie Schwarze | |
Kultur. Mit lateinamerikanischer Musik und Kultur verhält es sich ähnlich. | |
Neu ist all das natürlich nicht. | |
taz: Sie forschen zu Rassismus an US-Hochschulen, mit besonderem Fokus auf | |
MINT-Fächer, also Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und | |
Technologie. Warum gerade dieser Fokus? | |
McGee: Ich bin selbst studierte Elektroingenieurin. Als Schwarze Frau habe | |
ich erfahren müssen, wie schwer es ist, in diesem Feld Karriere zu machen. | |
Darin überhaupt nur die ersten Studienjahre zu überstehen, ist für PoC | |
schon enorm herausfordernd. Die MINT-Fächer sind historisch weiß geprägt. | |
Die ganze Forschung ist auf weiße Fragestellungen ausgerichtet. Möchten | |
Schwarze Studierende beispielsweise an Themen forschen, die ihre Communitys | |
betreffen, werden sie schnell belächelt. | |
taz: Was für Themen sind das? | |
McGee: Warum Frauen in manchen Communitys besonders häufig an | |
Eierstockkrebs erkranken, könnte eine Forschungsfrage sein. Oder warum die | |
Böden in Schwarzen Viertel besonders stark mit giftigem Blei belastet sind. | |
Solchen Fragen nachzugehen und sie zu lösen, kann viele Leben retten. Sie | |
sind aber nicht sonderlich angesehen im US-Wissenschaftsbetrieb. | |
taz: Was ist denn angesehen? | |
McGee: Wer sich für abstrakte Dinge interessiert, die nicht darauf | |
abzielen, rassistische Ungerechtigkeiten aufzulösen, beispielsweise KI, mit | |
denen Google oder Microsoft viel Geld verdienen können, erlangt sehr | |
schnell großes Ansehen. Zwar haben auch Fragen rund um Klima- und | |
Umweltschutz ein gewisses Prestige, aber auch eher im Sinne weißer | |
Umweltorganisationen: Wie können Wale und Polarbären gerettet werden? Die | |
konkreten Probleme von Communitys of Color – ob in den USA oder weltweit | |
– die bereits jetzt akut unter steigenden Temperaturen und häufigeren | |
Extremwetterereignissen leiden, sind von nachrangigem Interesse. Für | |
Studierende of Color entsteht so ein Dilemma. Entweder sie assimilieren | |
sich. Oder sie wechseln den Studiengang. | |
taz: Wofür entscheidet sich die Mehrheit? | |
McGee: Sie wechseln in andere Hauptfächer, in denen sie nicht das Gefühl | |
haben, sich so sehr beweisen zu müssen. Wo ein weniger feindseliges Klima | |
herrscht und mehr Leute so aussehen wie sie. Das belegen die Zahlen. Zwar | |
sind MINT-Fächer bei PoC ähnlich beliebt wie bei weißen Studierenden, | |
Letztere sind darin aber überrepräsentiert. | |
taz: Für Ihre Forschung haben Sie Daten zur Repräsentation und dem | |
Wohlbefinden von PoC an US-Hochschulen in Kooperation mit | |
Psycholog*innen ausgewertet. Wie wirkt sich Rassismus im | |
Wissenschaftsbetrieb auf die mentale Gesundheit Betroffener aus? | |
McGee: Die Auswirkungen können ganz unterschiedlich sein. Sich zu | |
assimilieren, beispielsweise um in der weiß-dominierten Techbranche zu | |
funktionieren, bedeutet eine ganze Reihe von Dingen zu tun, die man | |
normalerweise nicht machen würde: andere Schwarze Personen im Raum | |
ignorieren, sich rassistisch oder anderweitig weiß verhalten. Dass das | |
falsch ist, spüren PoC in ihren Körpern. Auch ihr Geist merkt es. Das kann | |
dazu führen, dass sie sich selbst fremd werden, Selbsthass entwickeln. Das | |
häufigste und größte Problem ist jedoch der John-Henryismus. | |
taz: Das bedeutet? | |
McGee: Sherman James von der Duke University hat den Begriff geprägt. Er | |
beschreibt damit eine Bewältigungsstrategie und die daraus entstehenden | |
Gesundheitsfolgen. Schwarze US-Amerikaner*innen arbeiten besonders | |
hart, um innerhalb des rassistischen Systems der USA erfolgreich zu sein, | |
darin aufzusteigen und ökonomische Ungleichheit zu überwinden. Auch im | |
MINT-Bereich ist das der Fall. PoC arbeiten auch hier überdurchschnittlich | |
viel. 80-Stunden-Wochen sind für sie keine Seltenheit. Das führt | |
tatsächlich zu viel Erfolg, macht jedoch auf Dauer krank. | |
taz: Inwiefern? | |
McGee: Die körperlichen Auswirkungen dauerhafter Überbelastungen sind | |
gravierend. Die Physiologie der Menschen ändert sich: Ihr Gehirn und ihr | |
Stressempfinden passen sich an die Prämisse an, besonders hart zu arbeiten. | |
Das kann sich über Generationen epigenetisch fortschreiben. Manche | |
Betroffene erleiden stressbedingte Teillähmungen ihres Gesichts, die | |
sogenannte Bell-Lähmung. Im MINT-Bereich tätige Schwarze Frauen leiden | |
besonders oft unter Myomen, müssen überdurchschnittlich häufig Fehlgeburten | |
ertragen. Und im Vergleich zu weißen Fachkräften haben PoC im MINT-Bereich | |
eine 6 bis 7 Jahre kürzere Lebenserwartung. Das zeigt sich zum Beispiel bei | |
Personen mit Doktortitel. Weiße Frauen mit Doktortitel werden | |
beispielsweise im Schnitt 83 Jahre alt. Frauen of Color mit gleichem | |
Abschluss werden durchschnittlich nur Mitte 70. | |
taz: Sie haben die akademische Leiter im MINT-Bereich bis zur Professur | |
erklommen. Nimmt der Rassismus mit steigender Karrierestufe ab? | |
McGee: Leider nicht, das belegt unsere Forschung. Nehmen wir an, eine | |
Fakultät hat ein Labor, darin arbeiten fünf Studierende, eine davon ist | |
Schwarz. Diese Studentin wird im Schnitt seltener zu Konferenzen | |
eingeladen, in der Regel schlechter bezahlt und auch in Publikationen, an | |
denen sie mitgewirkt hat, seltener als Autorin, und stattdessen lieber nur | |
in den Danksagungen erwähnt. | |
taz: Weshalb wird sie nicht als Autorin erwähnt? | |
McGee: Besonders Schwarze Wissenschaftlerinnen werden nicht so häufig | |
zitiert. Im Schnitt werden ihre Arbeiten ein Drittel bis zu einer Hälfte | |
seltener zitiert als vergleichbare Arbeiten weißer, männlicher Autoren. | |
Selbst wenn sie in den [2][Topwissenschaftsjournalen] publizieren, ist | |
ihre Zitationsrate immer noch unverhältnismäßig niedrig. Deshalb haben | |
Schwarze Forscherinnen vor einigen Jahren die Kampagne „Cite Black Women“ | |
ins Leben gerufen. | |
taz: In Ihrem Buch „Black, Brown, Bruised: How Racialized STEM Education | |
Stifles Innovation“ schreiben Sie, dass Rassismus im Wissenschaftsbetrieb | |
Innovationen verhindert. Woran machen Sie das fest? | |
McGee: Die MINT-Fächer, insbesondere die Statistik, wurden von | |
[3][Eugenikern] begründet. Sie fußen auf rassistischen Überzeugungen. Viele | |
Innovationen unserer Zeit haben sich daraus entwickelt und sind | |
entsprechend geprägt. Zum Beispiel die Überwachungstechnologie: Im 18. | |
Jahrhundert mussten befreite Schwarze im Bundesstaat New York nach Einbruch | |
der Dunkelheit mit Laternen herumlaufen, um sich gegenüber Polizisten oder | |
anderen weißen Person zu identifizieren, wenn diese dies einforderten. Eine | |
Laterne war eine Form der Technologie, eine Innovation. Die heutige | |
Hyperüberwachungstechnologie, die unseren Alltag prägt, verfolgt | |
Schwarze Körper noch immer in besonderem Maße. Die Geschichte kehrt | |
gewissermaßen zu sich selbst zurück. Und das ist nur ein Beispiel. Der | |
Wissenschaftler und Aktivist Pierce Otlhogile-Gordon hat vor einigen Jahren | |
[4][eine Liste mit 100 rassistischen Erfindungen] veröffentlicht. | |
taz: Inwiefern bleibt hier neue Innovation aus? | |
McGee: Der Mangel an Inklusion in der Wissenschaft hat zunächst | |
rassistische Innovationen hervorgebracht. Diese erschweren nun wiederum die | |
Entwicklung neuer Technologien, die allen – also besonders auch PoC – | |
zugutekämen und historisches Unrecht wiedergutmachten. Anstatt ein neues, | |
antirassistisches [5][Google] zu gründen, beginnen PoC nach dem Abschluss | |
beim weißen Google zu arbeiten. In der Forschung arbeiten viel weniger | |
Menschen mit Rassismuserfahrungen, mit substanziell kleineren Budgets und | |
weniger Ansehen an Innovationen, die besonders ihnen und ihren Communitys | |
helfen würden. Das ist auch mit Blick auf die Lösung der Klimakrise ein | |
Problem. | |
12 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Bachmann | |
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