| # taz.de -- Geophysikerin zum Erdbeben in Russland: „Das System ist noch nich… | |
| > Das Erdbeben vor Kamtschatka war das stärkste seit Fukushima. Warum | |
| > Schlimmeres trotzdem ausgeblieben ist, erklärt Geophysikerin Charlotte | |
| > Krawczyk. | |
| Bild: Die russische Küstenstadt Sewero-Kurilsk wurde nach einem Erdbeben von e… | |
| taz: Frau Krawczyk, Sie leiten die Geophysik-Abteilung des [1][GFZ | |
| Helmholtz-Zentrum für Geoforschung]. Was genau machen Sie als | |
| Geophysikerin? | |
| Charlotte Krawczyk: Ich schaue mit physikalischen Methoden in die Erde. | |
| Mein Spezialgebiet ist es, nicht nur natürliche Erdbebensignale zu nutzen, | |
| sondern ich entwickle seismische Sender und Empfänger, um das ganze | |
| kontrolliert angehen zu können. Mit seismischen Wellen können wir dann in | |
| den Erdkörper schauen, ähnlich wie ein Ultraschall beim Menschen. | |
| taz: Das [2][Erdbeben vor Kamtschatka] war mit einer Magnitude von 8,8 das | |
| stärkste weltweit seit dem Tohoku-Beben 2011, das die Katastrophe von | |
| Fukushima ausgelöst hat. Dafür sind die Schäden diesmal ziemlich gering, | |
| oder? | |
| Krawczyk: Ja, auch die Höhe der Tsunami-Welle ist wesentlich niedriger, als | |
| man bei so einem Beben erwarten würde. Warum das so ist, kann man noch | |
| nicht genau beschreiben. Wir werten gerade die Nachbeben aus, die noch | |
| immer passieren. Das ganze System ist noch nicht zur Ruhe gekommen. | |
| taz: Sind die geringen Schäden ungewöhnlich für ein Erdbeben dieser Stärke? | |
| Krawczyk: Das Epizentrum des Bebens war nicht direkt unter dem Land, | |
| sondern 30 Kilometer vor der Küste Kamtschatkas. In einer Tiefe von 21 | |
| Kilometern. Das ist für ein Beben dieser Magnitude zwar nicht besonders | |
| tief, aber die Region ist einfach wesentlich weniger dicht besiedelt als | |
| zum Beispiel [3][die Türkei und Syrien, wo 2023] die Magnitude kleiner war, | |
| aber viel mehr passiert ist. Deshalb sind dieses Mal viel weniger Menschen | |
| betroffen. | |
| taz: [4][Japans Küste wurde von Tsunami-Wellen] mit einer Höhe zwischen 30 | |
| Zentimetern und 1,3 Metern getroffen. Für Laien klingt das erst einmal | |
| wenig. Wie gefährlich ist ein Tsunami dieser Größe? | |
| Krawczyk: Das kommt auf den Küstenbereich an, auf den die Welle zuläuft. | |
| Ist es eine Steilküste, bei der es beispielsweise einen Abpralleffekt geben | |
| kann oder ist es eher flach und die Wellen können sehr weit ins | |
| Landesinnere auflaufen? Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Es kommt auch | |
| darauf an, wie eng die Küstenbereiche bebaut sind oder ob es Vorkehrungen | |
| gibt, damit die Wellen auslaufen können. | |
| taz: Reichen bei 30 Zentimetern nicht Gummistiefel aus? | |
| Krawczyk: Das kommt auf die Geschwindigkeit an. Läuft die Welle ganz | |
| langsam auf, vielleicht. Gezeiten haben ja auch diese Höhen. Wenn es aber | |
| plötzlich passiert, ist es etwas ganz anderes. | |
| taz: Besteht in der Region noch ein akutes Risiko? | |
| Krawczyk: Genau kann man das nicht sagen. Im Moment gehen wir davon aus, | |
| dass die Nachbeben kleiner sein werden. Aber garantieren kann man das | |
| nicht, wir arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten. Aber auch die Nachbeben, die | |
| jetzt kommen, haben große Magnituden zwischen fünf und sechs. [5][Das sind | |
| keine kleinen Erdbeben]. Insofern wird da gerade wirklich mächtig viel | |
| Spannung abgebaut, sodass man vermuten könnte, dass ein noch größeres Beben | |
| unwahrscheinlich ist. | |
| taz: Im Raum Istanbul wird derzeit auf ein Jahrhundertbeben gewartet. Wie | |
| ist das in der Region Kamtschatka? | |
| Krawczyk: Die [6][Wiederholungszeit von dieser Art von Megabeben] liegt bei | |
| 75 bis 100 Jahren. Das letzte historisch berichtete große Erdbeben in der | |
| Region fand 1952 statt, mit einer Magnitude wahrscheinlich neun. | |
| taz: War das jetzige Beben so ein Wiederholungsbeben? | |
| Krawczyk: Das kann man sich derzeit so vorstellen. Aber diese Prognosen | |
| haben natürlich eine Unschärfe. | |
| taz: Haben die vergleichsweise geringen Schäden damit zu tun, dass das | |
| Beben vorhergesehen wurde? | |
| Krawczyk: Dort, wo wir den Erdbebenherd lokalisiert haben, hat es vor zwei | |
| Wochen eine Schwarmbebenaktivität gegeben, also mehrere Erdbeben in sehr | |
| kurzer Zeit. Ob sie das große Beben angekündigt haben, wissen wir noch | |
| nicht, aber ohne sie hätten wir nicht so genau hingeschaut. [7][Das | |
| Frühwarnsystem im Pazifik] hat sehr gut funktioniert und die Länder konnten | |
| früh warnen und evakuieren. Deshalb sind die globalen Netzwerke so wichtig. | |
| 2 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marco Fründt | |
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