# taz.de -- Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen: „Wir brauchen Obergrenzen f… | |
> Die negativen Auswirkungen von Kunststoffen auf Mensch und Umwelt seien | |
> schon jetzt kaum zu beherrschen, sagt Annika Jahnke. Sie setzt auf die | |
> UN. | |
Bild: Etwa 460 Millionen Tonnen Plastik werden jedes Jahr weltweit produziert | |
taz: Frau Jahnke, was wäre das Beste, was bei den Verhandlungen zum | |
UN-Plastikabkommen in Genf herauskommen könnte? | |
Annika Jahnke: Ein Abkommen, das den gesamten Lebenszyklus von Plastik | |
umfasst. Es würde Höchstmengen für die Neuproduktion festsetzen und | |
problematische Bestandteile, Produkte oder Zusatzstoffe umfassen. Zumindest | |
würde das Abkommen die Grundlagen dafür liefern, im Nachgang Details | |
auszuhandeln. | |
Es gibt mehr als 16.000 Chemikalien, die in Plastik enthalten sein können, | |
von Weichmachern über Flammschutzmittel bis zu Farbstoffen. Von über einem | |
Viertel davon wissen wir, dass sie gefährlich für Mensch oder Umwelt sein | |
können – sie sind zum Beispiel hormonell wirksam. Diese Chemikalien müssen | |
wir zügig durch unproblematische ersetzen, die die gleiche Funktion | |
erfüllen. Das wäre möglich, erfordert aber Entwicklung und entsprechende | |
Anreize. | |
taz: Das versuchen wir in Europa seit Jahrzehnten erfolglos, und jetzt soll | |
das ein UN-Abkommen leisten? | |
Jahnke: Ich gehe auch nicht davon aus, dass sich alle Forderungen | |
vollständig durchsetzen lassen, dafür sind die Ziele und Interessen der | |
Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich. Es wird sehr auf das | |
Verhandlungsgeschick der Verhandlungsführer vor Ort ankommen. | |
taz: Welche Zielen sollten die Delegierten denn unbedingt erreichen? | |
Jahnke: Eine Obergrenze der Neuproduktion. Wenn wir jetzt nicht eingreifen, | |
wird nach Vorhersagen 2060 dreimal so viel Plastik produziert wie heute. | |
Schon die heutigen Mengen haben negative Effekte auf Umwelt und Gesundheit. | |
[1][Das Plastik im Meer zersetzt sich zu problematischen, kleinsten | |
Teilchen], die von Lebewesen aufgenommen werden und Zusatzstoffe in die | |
Umwelt abgeben. Einmal im Meer können wir dieses Plastik nicht zurückholen. | |
taz: Warum nicht? Es gibt doch viele Projekte, Meeresmüll einzusammeln und | |
zu recyceln? | |
Jahnke: Diese Projekte sind gut, weil sie Aufmerksamkeit auf das Thema | |
richten. Einen deutlichen Einfluss auf die Plastikmengen haben sie aber | |
nicht. Sie können Müll nur von Teilen der Ozeanoberfläche fischen und | |
gefährden dabei Meereslebewesen. An Mikroplastik oder Müll in tieferen | |
Schichten kommen sie nicht heran. Insofern sind ein besseres | |
Abfallmanagement und mehr Recycling zwar wichtige Stellschrauben, aber sie | |
reichen nicht aus. Wir müssen die Gesamtmengen und insbesondere die | |
problematischen Polymere und Zusatzstoffen reduzieren. | |
taz: Dagegen wehren sich unter anderem Russland, Saudi-Arabien, Iran und | |
auch die USA. | |
Jahnke: Jeder Staat hat Vetorecht. [2][Auf diesen UN-Verhandlungen gilt ein | |
Konsens-Prinzip, das heißt, alle müssen sich einigen.] Hoffnungsvoll stimmt | |
mich aber, dass inzwischen über 100 Staaten der „High Ambition-Gruppe“ | |
beigetreten sind und ein starkes Abkommen wollen. Ich könnte mir ein | |
zweistufiges System vorstellen. In einem Vertragsteil gibt es bindende | |
Auflagen für alle, in einem anderen Teil optional stärkere Regulierungen | |
für ambitionierte Staaten. Die schlechteste Variante wäre ein schwacher | |
Vertrag, der nur den Status Quo absichert. | |
taz: Deutschland mit seiner starken Chemie- und Plastikindustrie lebt gut | |
mit dem Status quo. Wie glaubhaft sind die „ambitionierten Länder“? | |
Jahnke: Ihre Ziele sind glaubhaft. Wir werden weiter Kunststoffe benötigen, | |
etwa in der Medizin. Für neue Materialien, die keine Schäden an Umwelt und | |
Gesundheit verursachen, wird es auch künftig einen Markt geben. Im Übrigen: | |
Wenn wir über Marktregulierung sprechen, müssen wir die gesamte | |
Volkswirtschaft in den Blick nehmen. Und für die sind hohe | |
Gesundheitskosten durch Plastik schädlich. | |
3 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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