# taz.de -- Goldabbau in Venezuela: Das Gift, das wir atmen | |
> Im Süden Venezuelas sichert der Bergbau Tausende von Existenzen. Zugleich | |
> zerstört er sie langsam von innen und befeuert die Entwaldung. | |
Bild: Müdigkeit und Gedächtnislücken: Trotz ständigem Kontakt mit toxischem… | |
MÉRIDA taz | José Agosto wurde in [1][El Callao] geboren, einem Dorf im | |
Bundesstaat Bolívar im Süden Venezuelas, im Herzen des | |
Orinoco-Bergbaugebiets. Es ist eine goldreiche Region, die sich über etwa | |
112.000 Quadratkilometer erstreckt, was fast einem Drittel der Fläche | |
Deutschlands entspricht. Legaler und illegaler Bergbau gehen im [2][„Arco | |
Minero“] Venezuelas Hand in Hand, und der Staat tritt eher als Zuschauer | |
denn als Regulierer auf. Hier ist Gold überall: im roten Staub, der die | |
Straßen bedeckt, in der mit Quecksilberdampf belasteten Luft und in der | |
Hektik, mit der die Menschen ihren Alltag bewältigen. | |
„Ich bin José, 31 Jahre alt, habe eine schwangere Frau und zwei kleine | |
Kinder. Seit meiner Jugend arbeite ich im Kleinbergbau, wie fast alle hier. | |
Um mich herum gibt es mehr als 2.000 Mühlen, die fast das ganze Jahr über | |
in Betrieb sind, außer wenn Regen oder Stromausfälle die Arbeit zum | |
Erliegen bringen. Jede Mühle benötigt mit Quecksilber behandelte | |
Kupferplatten – dieses Quecksilber, das Haut und Lunge angreift. Gebraucht | |
werden auch Stangen zum Zerkleinern der Steine, Wasser zum Abtransport des | |
Materials und Strom, um alles anzutreiben.“ | |
Der Prozess ist so einfach wie tödlich: Das goldhaltige Material wird in | |
Säcke gefüllt und mit Wasser und Quecksilber in einem sich ununterbrochen | |
drehenden Metallzylinder gemahlen. Anschließend wird die Mischung über mit | |
Quecksilber imprägnierte Platten geleitet, die das Gold auffangen. Diese | |
Amalgammasse wird mit Spachteln abgekratzt und verbrannt, um das Edelmetall | |
abzutrennen. Die Hitze verdampft das Quecksilber, das in einer dichten, | |
schweren Wolke aufsteigt und in der Luft schwebt, die alle einatmen. | |
## Das Quecksilber kennt keine Gnade | |
Toxikologen wie Yolangel Hernández vom Krankenhaus in Ciudad Guayana | |
warnen, dass Quecksilber keine Gnade kenne: Es verursacht neurologische und | |
Nierenschäden, extreme Müdigkeit, Zittern und kognitive Probleme, wobei | |
Frauen und Kinder am anfälligsten sind. Doch in den Dörfern im Süden | |
Venezuelas, in denen Gold abgebaut wird, ist es üblich, Kinder in der Nähe | |
von Mühlen mit kontaminierten Eisenplatten oder Behältern mit flüssigem | |
Quecksilber spielen zu sehen oder jemanden sagen zu hören, er habe | |
„Parkinson“. | |
„Jahrelang habe ich mir bei der Arbeit den Mund nur mit einem alten Lappen | |
bedeckt. Bis zu 60 Platten pro Tag habe ich bearbeitet, viermal pro Woche. | |
Mit der Zeit habe ich mir eine industrielle Atemschutzmaske besorgt. Aber | |
trotzdem bekam ich Zittern, kalten Schweiß, seltsame Schlaflosigkeit und | |
Gedächtnislücken.“ | |
Zur Entfernung des im Körper angesammelten Quecksilbers dient die | |
medizinische Chelattherapie. Dabei werden Substanzen eingesetzt, die sich | |
mit den im Körper vorhandenen Schwermetallen verbinden und deren | |
Ausscheidung über den Urin erleichtern – ein komplexes und kostspieliges | |
Verfahren, zu dem nur wenige in diesen Gemeinden Zugang haben. Die lokalen | |
Gesundheitszentren verfügen seit Jahren nicht über die Mittel, um | |
Vergiftungen zu diagnostizieren – und um eine geeignete öffentliche | |
Einrichtung in Anspruch zu nehmen, muss man mehr als sieben Stunden mit dem | |
Auto fahren. | |
## Die Produktion ist unbeständig | |
Viele Bergleute leben darum ohne angemessene Versorgung mit den Folgen der | |
Vergiftung. In den ärmsten Gegenden greifen einige zu Aufputschmitteln und | |
Drogen, um während der langen Arbeitstage aktiv und wach zu bleiben. Das | |
ist keine einfache Entscheidung, sondern eine alltägliche Realität, die mit | |
der harten Arbeit und der sozialen Notlage zusammenhängt. | |
„Jeder behandelt sich selbst oder arbeitet einfach weiter, bis er nicht | |
mehr kann. Letztendlich ist das Quecksilber überall: im Wasser, das wir | |
trinken, in den Fischen, die wir essen, in den Böden, die wir bepflanzen … | |
Ein ganz normaler Tag in El Callao kann 90 Dollar einbringen, wenn man Gold | |
mahlt. Das habe ich gestern verdient, als ich von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr | |
abends gearbeitet habe. Manchmal können wir mit der ganzen Ausrüstung bis | |
zu 5.000 Dollar verdienen, wenn das Gold gut ist, aber meistens ist es wie | |
russisches Roulette: Die Produktion ist unbeständig und die Not drängt. Die | |
galoppierende Inflation, die Krise der Versorgungsbetriebe und die | |
wirtschaftliche Unsicherheit machen es aber unmöglich, an eine Alternative | |
zu denken.“ | |
Jüngste Berichte von [3][SOS Orinoco] bestätigen, dass Venezuela zwischen | |
2000 und 2020 mehr als 790.000 Hektar Wald verloren hat und dass davon | |
allein im „Arco Minero“ rund 520.900 Hektar abgeholzt wurden, der größte | |
Teil davon für den Goldabbau. Die Auswirkungen sind zudem keinesfalls nur | |
lokal: Sie entsprechen Millionen Tonnen freigesetztem CO₂, was den | |
Klimawandel weltweit beschleunigt. Um den Bergbausektor zu organisieren, | |
hat der Staat die Corporación Venezolana de Minería, die Venezolanische | |
Bergbaugesellschaft, gegründet – und bereits vor zehn Jahren auch | |
Umweltmanagementpläne versprochen. | |
## Der Traum vom Weggehen | |
„In der Praxis haben aber die Besitzer der Mühlen weiter das Sagen. Sie | |
legen Preise und Bedingungen fest, verteilen die Gewinne oder lassen einen | |
mit leeren Händen zurück, wenn es keine Produktion gibt. Angesichts einer | |
nach Jahren der Hyperinflation, ständiger Abwertung, zusammengebrochener | |
öffentlicher Dienste und Mindestlöhnen von knapp zwei Dollar ist der | |
Bergbau der einzige Ausweg, auch wenn man weiß, dass er einen umbringt.“ | |
José hat einmal versucht wegzugehen und sich dafür weit weg ein Haus | |
gekauft. Er träumte von einem festen Job und von ruhigen Wochenenden, die | |
er mit seinen Kindern verbringen wollte. Doch es kam anders. | |
„Ich habe das nur drei Jahre ausgehalten, die Liebe zur Heimat und die Not | |
haben mich zurückgebracht. Dieses Dorf hier, das weder Parks noch Plätze | |
hat, dafür Häuser am Rande staubiger Straßen und Windräder, die die Luft | |
verschmutzen, das ist meine Heimat. Hier bin ich geboren, hier bin ich | |
aufgewachsen, und hier werde ich bleiben, solange ich kann.“ | |
Liliana Rivas ist eine Journalistin und Dokumentarfilmproduzentin aus | |
Venezuela. Sie schreibt u.a. für das Onlinemagazin [4][Mongabay]. Der | |
vorliegende Text wurde mit Hilfe des Kleinbergbauarbeiters José Agosto aus | |
El Callao verfasst. | |
Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz | |
28 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://alianza.shorthandstories.com/the-arco-minero-the-milling-corporatio… | |
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Orinoco_Mining_Arc | |
[3] https://sosorinoco.org/en/ | |
[4] https://news.mongabay.com/ | |
## AUTOREN | |
Liliana Rivas | |
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