# taz.de -- 100 Tage Schwarz-Rot: Noch schlechter als Olaf Scholz | |
> Nach hundert Tagen im Amt ist die Mehrheit mit der Arbeit von Friedrich | |
> Merz unzufrieden. Die Zahlen sind noch schlechter als bei Olaf Scholz. | |
Bild: Der starke Mann des Landes, zumindest wenn es um Worte geht, meistens | |
Mitte Mai steht Friedrich Merz im Bundestag am Redepult, es ist seine erste | |
Regierungserklärung als Bundeskanzler. Der Christdemokrat ist schon fast am | |
Schluss seiner Rede angekommen, als er sagt: „Ich möchte, dass Sie, die | |
Bürgerinnen und Bürger, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas | |
zum Guten, hier geht es jetzt voran.“ | |
Dieses Gefühl aber will sich bei den Menschen nicht einstellen. Am 13. | |
August ist Merz hundert Tage im Amt. Und schon jetzt ist eine große | |
Mehrheit in der Bevölkerung mit seiner Arbeit unzufrieden. Laut einer neuen | |
Umfrage sind es 59 Prozent, das ist ein deutlich schlechteres Ergebnis als | |
damals bei Olaf Scholz, seinem Vorgänger. Merz hatte Scholz als „Klempner | |
der Macht“ verspottet und damit gemeint, dass der Sozialdemokrat das | |
Regieren nicht könne. Davon, dass er es besser kann, hat er die Bevölkerung | |
offenbar bislang nicht überzeugt. | |
Merz, der erst im dritten Anlauf CDU-Vorsitzender und im zweiten Wahlgang | |
Kanzler wurde, ist mit vielen Versprechen ins neue Amt gestartet. Ganz so, | |
als würde sich die Lage schon dadurch verbessern, dass die Union wieder an | |
der Regierung ist. Inzwischen hat sich gezeigt, dass auch mit ihm an der | |
Spitze die Wirtschaft nicht sofort wieder brummt und in einer angespannten | |
Welt der Einfluss Europas auch nicht dadurch steigt, dass Merz die | |
außenpolitische Bühne betritt. | |
## Entschlossener als seine Vorgänger | |
Es stimmt aber auch, dass der CDU-Mann in der Europäischen Union | |
entschlossener als sein Vorgänger auftritt und das Gemeinsame vor allem mit | |
dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sucht, außerhalb der EU auch | |
mit dem britischen Premier Keir Starmer. Dass Merz gemeinsam mit Macron und | |
Starmer sowie dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk gleich zu | |
Beginn seiner Amtszeit nach Kyjiw reiste, war ein starkes Zeichen. Dass | |
Merz dann in Richtung Russland ein Ultimatum stellte, das er mangels | |
Einfluss nicht durchsetzen konnte, weist allerdings auf ein Muster hin: | |
Immer wieder spricht Merz starke Worte, deren Folgen deutlich weniger | |
durchschlagend sind. | |
Das gilt auch für die interne Regierungspolitik. Hier hat Merz zugesagt, | |
seine Koalition professionell zu managen und öffentlichen Streit im | |
Regierungsbündnis zu unterbinden, so soll das Vertrauen in die Politik | |
wieder wachsen. Sein Verhältnis zu Lars Klingbeil, dem SPD-Finanzminister | |
und seinem Vize, soll auch gut und inzwischen belastbar sein. | |
Das Misstrauen zwischen den Fraktionen aber ist groß – nicht erst, seit die | |
Union entgegen vorherigen Zusagen [1][Frauke Brosius-Gersdorf], der | |
SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, die Unterstützung versagte | |
und Fraktionschef Jens Spahn nicht vermochte, das zu verhindern. In der SPD | |
hat man nicht vergessen, dass Merz Ende Januar die Mehrheit mit der AfD | |
suchte und im Wahlkampf SPD und Grüne [2][als „linke Spinner“ diffamierte]. | |
Seit dem Scheitern von Brosius-Gersdorf nun tobt zwischen Union und SPD ein | |
offener Streit, der manche bereits an den der Ampel erinnert. | |
Die Kandidatinnenfrage hat auch ein anderes Problem des Kanzlers | |
offengelegt: Die Unionsfraktion, in der viele neue, direkt gewählte | |
Abgeordnete sitzen, ist nicht bereit, Merz oder auch Spahn widerspruchslos | |
zu folgen. „Allein auf Autorität zu setzen, das funktioniert nicht mehr“, | |
sagte ein CDU-Abgeordneter während des Streits über Brosius-Gersdorf der | |
taz. „Wir wollen überzeugt werden.“ | |
Mit dem Überzeugen aber hat Merz es nicht so. Das hat gerade erst wieder | |
seine Ankündigung deutlich gemacht, [3][die Lieferung von Rüstungsgütern | |
nach Israel zu stoppen], die in Gaza eingesetzt werden könnten. Es scheint | |
– nach Beratungen im kleinen Kreis – eine einsame Entscheidung gewesen zu | |
sein, von der auch die Spitzenleute in CDU und CSU erst aus einer kurzen | |
Presserklärung erfuhren. | |
Die Kritik auch aus den eigenen Reihen war scharf, Spitzenpolitiker der | |
CDU, wie Fraktionschef Spahn und Generalsekretär Carsten Linnemann, ließen | |
Merz tagelang allein im Sturm stehen. Dann meldete sich Spahn via Instagram | |
zu Wort – und sprach von einer „vertretbaren“ Entscheidung. Viel schwäch… | |
kann Unterstützung nicht sein. Einige der Fehler dürften auch daran liegen, | |
dass nicht nur Merz, sondern auch seinem Kanzleramtschef Thorsten Frei die | |
Regierungserfahrung fehlt. Dessen Aufgabe ist es eigentlich, solche | |
Prozesse zu managen. | |
Der Rüstungsgüter-Stopp brachte Merz auch aus der Union den Vorwurf des | |
Umkippens ein, ausgerechnet bei der Solidarität mit Israel, einer Art | |
Glaubensgrundsatz der CDU. Dieser Vorwurf verfängt umso mehr, als Merz auch | |
bei anderen Themen zuletzt einen abrupten und für die Union schmerzhaften | |
Kurswechsel hingelegt hat. Noch im Wahlkampf hatte die Union etwa | |
versprochen, an der Schuldenbremse festzuhalten und die Stromsteuer auch | |
für Privathaushalte zu senken. Beides hat Merz einkassiert. Von der festen | |
Zusage, niemals gemeinsame Sache mit der AfD zu machen, ganz zu schweigen. | |
Das Ergebnis: Der Kanzler wirkt unstet, ohne klaren Kurs. | |
Vor allem rechts der Mitte ist man vom Kanzler enttäuscht. Jahrelang hatte | |
er sich als harter Hund inszeniert, als Gegner der Merkel-CDU und all ihren | |
Kompromissen. Merz versprach, den konservativen Kern der CDU zu stärken und | |
die Partei weiter nach rechts zu verschieben, monatelang war von „CDU pur“ | |
die Rede, obwohl klar war, dass es für eine Alleinregierung nicht reichen | |
werde. „Diejenigen, die Friedrich Merz über Jahre hinweg geradezu | |
messianische Fähigkeiten zugesprochen haben, sind nun enttäuscht, dass er | |
gar nicht übers Wasser gehen kann“, [4][spottete vor einer Weile Dennis | |
Radtke, der Chef des CDU-Sozialflügels, in der taz.] | |
In der Regierungspressekonferenz am Montag hat der stellvertretende | |
Regierungssprecher Steffen Mayer mit Blick auf die hundert Tage aufgezählt, | |
dass die Bundesregierung bislang „insgesamt 118 Vorhaben“ beschlossen habe, | |
„darunter 57 Gesetzgebungsvorhaben“. Das sollte wohl klarmachen, dass der | |
Kanzler und seine Koalition unentwegt für die Zukunft des Landes arbeiten – | |
und der anwesenden Presse für ihre Hundert-Tage-Bilanz positives Material | |
an die Hand geben. Dass sich Medien oder Öffentlichkeit von solchen Zahlen | |
überzeugen lassen, darf man aber bezweifeln. | |
12 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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