# taz.de -- Soundtrack von Horrorklassiker: Auf der Affektebene ist die Hölle … | |
> Wayne Bell und Regisseur Tobe Hooper komponierten den noisig-kratzigen | |
> Soundtrack von „Texas Chainsaw Massacre“. Waxwork hat diesen neu | |
> veröffentlicht. | |
Bild: Gunnar Hansen in „The Texas Chainsaw Massacre“, 1974 | |
In den Sechzigerjahren nahm der US-Horrorfilm Anlauf und machte einen | |
großen Sprung: Von den fantastischen Monstern der klassischen Phase im | |
Jahrzehnt zuvor, die durch gleichfalls fantastische Welten marodierten, hin | |
zu einem grimmig-realistischen Gestus, der in den Siebzigerjahren dann mit | |
einer massiven Gewaltinfusion einherging. | |
Der bis dahin [1][im Genre] ungekannte Fatalismus, die Exzesse, das | |
Misstrauen gegenüber allem, was einst als gut und schön oder wenigstens als | |
notwendig galt (die Jugend, Autoritäten, Happy Ends), wurden musikalisch | |
oftmals von einem Höllenlärm begleitet: Atonalität, Avantgarde und Krach | |
anstatt der bisherigen, nicht weiter auffälligen Streicherpartituren. | |
Der Filmkomponist Bernard Herrmann hatte mit den fiesen Violinen in Alfred | |
Hitchcocks „Psycho“ bereits vorgearbeitet, Der deutsche Elektronik-Pionier | |
Oskar Sala vertonte 1963 dann Hitchcocks „Die Vögel“ mit seinem | |
elektroakustischen Trautonium. „Der Exorzist“ integrierte als vielleicht | |
erster Horrorfilm Kompositionen von Komponisten aus dem Gefilde der | |
zeitgenössischen E-Musik. | |
## Zermürbender Exzess | |
Den nervenzehrendsten Soundtrack des Genres, und das zeitenübergreifend, | |
kann man in „The Texas Chainsaw Massacre“ hören, Tobe Hoopers zermürbenden | |
Exzess von 1974. Die Bilder korrespondieren mit den Klangbildern. Auf der | |
Leinwand zerlegt eine Hinterwäldlerfamilie, die bis vor Kurzem im örtlichen | |
Schlachthof angestellt war, junge Hippies mit Kettensäge und | |
Fleischerhammer. | |
Wesentlich mehr passiert, auf der Plotebene zumindest, nicht. Auf der | |
Affektebene aber ist die Hölle los. In den letzten zehn Minuten von „The | |
Texas Chainsaw Massacre“ wird mehr geschrien als in allen anderen | |
Produktionen des Jahres 1974 zusammengenommen. | |
Vollends ins Delirium getrieben wird dieser komplett freidrehende Film von | |
einer wüsten Kaskade aus Kratzen und Schlägen, atonalen Noiseflächen und | |
allerlei Stressgeräuschen. Soundtrack-Komponist Wayne Bell und Regisseur | |
Tobe Hooper dengelten vermutlich ähnlich stoned wie beim übrigen Dreh auf | |
allerlei Becken, Aluminiumkochtöpfen und Kinderschlagwerkzeuge, sampelten | |
Tierlaute und malträtierten Pfeifen und Rasseln. | |
Verschollen geglaubtes Mastertape | |
Das US-Indielabel Waxwork hat den Soundtrack zu „The Texas Chainsaw | |
Massacre“ nun wiederveröffentlicht, ausgehend von dem verschollen | |
geglaubten Mastertape, das erst 2023 wiederentdeckt wurde. Zu hören ist | |
etwas, das zuerst einmal die Frage aufwirft, was und vor allem warum man | |
sich das gerade anhört, die sich nach und nach erschließt. | |
Es ist wie gesagt eine eher intuitiv komponierte und gespielte Filmmusik, | |
die verschiedene Klang- und Geräuscharten eher montiert und | |
zusammenschneidet, die mit den Bildern in ihrer Suggestion von Überhitzung | |
und Wahnhaftigkeit korrespondiert, aber auch ohne sie prächtig | |
funktioniert, als eine Art Knochenmusik. | |
Also als in Teilen wohl tatsächlich mit Knochen gespielte Musik. Was man | |
über sie auch noch sagen kann: Sie klingt radikal unvertraut. Und auch das | |
korrespondiert mit dem Filmgeschehen und intensiviert es. Welt und Klang | |
sind aus den Fugen. | |
Blutrotes Vinyl | |
Die Wirkung ist groß, auch auf natürlich blutrotem Vinyl. Der | |
Horrorfilmhistoriker Frank Hentschel diagnostizierte in seinem Standardwerk | |
„Töne der Angst“ für die Musik in „The Texas Chainsaw Massacre“ eine | |
„Grundstimmung von Kälte, Gefahr und Fremdheit“ und beschrieb den Eindruck, | |
der sich mit ihr verbindet, schön plastisch: „Bedrohung überall“. | |
Was natürlich die Frage wieder aufwirft, warum man sich das überhaupt | |
anhören sollte. Letzten Endes fügt sich dieser Frontalangriff auf den | |
Hörapparat schlicht in das große Versprechen des Horrorgenres ein: [2][Man | |
erlebt eigentlich Unaushaltbares] in einem geschützten Raum, ohne anders | |
als imaginär involviert zu sein, man macht eine ästhetische Erfahrung, die | |
einen als reale Erfahrung überfordern oder schlicht kaputtmachen würde. | |
Im Falle der Kettensägen-Massaker-Musik ist es die ästhetische Erfahrung | |
einer tiefgreifenden Destruktivität. | |
8 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
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