# taz.de -- 100 Jahre nach dem Geist von Ardnacrusha: Verpasste Energiewende au… | |
> Irland will Energieriese werden. Doch fehlender Mut, schwache Netze und | |
> wenig Investitionen bremsen die Wende aus. Das ging schon mal besser. | |
Bild: Das Wasserkraftwerk Ardnacrusha am Fluss Shannon, in Betrieb seit 1929 | |
Dublin taz | Irland steht vor gravierenden Problemen bei der | |
[1][Dekarbonisierung und Energiesicherheit]. Das politische Ziel, bis 2050 | |
Offshore-Windkraft mit einer Kapazität von 37 Gigawatt zu erzeugen – das | |
Sechsfache des heutigen Spitzenbedarfs – wirkt angesichts der Realität wie | |
eine Illusion. Irland könnte theoretisch nicht nur energieautark sein, | |
sondern auch andere Teile der EU mit grüner Energie versorgen. Doch davon | |
ist das Land weit entfernt. | |
Schon das deutlich bescheidenere Zwischenziel, bis 2030 fünf Gigawatt | |
erneuerbarer Energie ans Netz zu bringen, wird Irland verfehlen. Das hat | |
ernsthafte Konsequenzen: Die EU wird hohe Strafzahlungen verhängen, die die | |
ohnehin angespannten öffentlichen Finanzen zusätzlich belasten werden. Der | |
Grund liegt weniger in fehlender Technologie als im politischen Unwillen. | |
Trotz ambitionierter Reden mangelt es an Umsetzung. | |
Dabei wird derzeit gerade überall an den Aufbruch vom Juli 1925 erinnert, | |
als im bitterarmen Irland mit dem Wasserkraftwerk Ardnacrusha eines der | |
damals größten Infrastrukturprojekte der Welt realisiert wurde. Der Name | |
leitet sich vom irischen „Ard na Croise“ ab, was „Höhe des Kreuzes“ | |
bedeutet, denn im 12. Jahrhundert stand an der Stelle des Kraftwerks ein | |
stattliches Holzkreuz. Auch vor 100 Jahren ging es um eine Energiewende. | |
Die Kraft des Shannons sollte schon lange genutzt werden, aber erst als der | |
irische Ingenieur Thomas McLaughlin in Berlin für Siemens-Schuckert | |
arbeitete. Für ihn war die Wasserkraft die Möglichkeit, von [2][Kohle und | |
dem hier gerne verwendeten Torf als Energieträger] wegzukommen. Das Projekt | |
verschlang 20 Prozent des Staatshaushalts, weil Kanäle, Brücken, Schleusen | |
und Fischtreppen gebaut werden mussten. Heute würde das rund 24 Milliarden | |
Euro entsprechen. Der daraus erfolgende Widerstand war erst gebrochen, als | |
die Regierung jedem Haushalt ein kostenloses heiliges Herz mit einem | |
elektrischen ewigen roten Licht versprach. | |
## Ungenutzte Chance | |
Ardnacrusha produzierte bis 1935 80 Prozent des irischen Bedarfs, der Strom | |
gelangte jedoch nur in die Städte, die Landbevölkerung blieb außen vor – | |
und weil Kohle rationiert war, konnte sie nur auf Torf zurückgreifen. | |
[3][Torffeuer ist jedoch nicht nur die klimaschädlichste Art zu heizen, | |
sondern auch die ineffizienteste]. Die große Chance blieb also ungenutzt, | |
heute produziert das Kraftwerk immer noch, trägt aber nur 2 Prozent zur | |
irischen Versorgung bei. | |
Den jüngsten Versuch, an die Aufbruchstimmung der Anfangszeit anzuknüpfen, | |
gab es vor zwei Jahren. 2023 wurde eine Initiative ins Leben gerufen, die | |
das [4][Shannon-Mündungsgebiet in ein Zentrum für Offshore-Windenergie | |
verwandeln] soll. Doch seit den vielversprechenden Ankündigungen hat sich | |
kaum etwas getan. Es fehlt an Infrastrukturinvestitionen. Irland gibt nur | |
51 Prozent des EU-Durchschnitts für öffentliche Investitionen aus. Die | |
überlasteten Stromnetze und unzureichenden Verkehrssysteme sind für eine | |
Bevölkerung von 5,5 Millionen schlicht ungenügend. | |
Ein modernes Energiesystem müsste nicht nur erneuerbare Energie erzeugen, | |
sondern auch transportieren und verteilen können. Dafür braucht es – wie | |
damals die Kanäle und Schleusen – ein vollständig modernisiertes Stromnetz, | |
das mit dem europäischen Verbundnetz kompatibel ist. Die Kosten für eine | |
solche Erneuerung liegen heutigen Schätzungen zufolge bei 12 bis 15 | |
Milliarden Euro, eine Investition, die sich jedoch auszahlen würde. | |
## Ardnacrusha als Blaupause | |
Mit einem Finanzierungsvolumen wie damals bei Ardnacrusha ließe sich eine | |
grundlegende Energiewende finanzieren: Onshore-Windkraft mit 18 Gigawatt | |
Leistung, die jährlich 49 Terawattstunden Strom erzeugt – weit mehr als die | |
aktuell benötigten 31 Terawattstunden. Der überschüssige Strom könnte für | |
den Export genutzt oder zur Dekarbonisierung von Verkehr und Heizung | |
eingesetzt werden. | |
Auch der Verkehr könnte elektrifiziert werden. Mit den nötigen Mitteln | |
ließen sich 800.000 Fahrzeuge auf elektrischen Antrieb umstellen. Ähnliche | |
Effekte wären im Gebäudesektor möglich: Für etwa 12.000 Euro pro Einheit | |
könnten zwei Millionen Haushalte mit Wärmepumpen ausgestattet werden – | |
genug, um fast alle noch mit Öl oder Gas beheizten Gebäude in Irland | |
klimafreundlich umzurüsten. Alternativ könnten 1,3 bis 1,5 Millionen | |
Haushalte über Fernwärme versorgt werden, etwa durch Energie aus Abfall, | |
Geothermie oder zentrale Wärmepumpen. | |
Doch all das bleibt Theorie. Die Realität ist ernüchternd. Irlands | |
Energieversorgung hängt heute zu 86 Prozent von fossilen Brennstoffen ab. | |
Beim Öl ist das Land vollständig importabhängig, beim Gas zu rund 80 | |
Prozent. Als Insel ist Irland geopolitischen Risiken besonders ausgesetzt, | |
auch das unbeständige Wetter stellt ein Problem dar. Vor allem die | |
Unzuverlässigkeit von Wind und Sonne und das Fehlen großer Energiespeicher | |
machen die Energiewende schwierig – ebenso wie das marode Stromnetz, das | |
regelmäßig zu Ausfällen führt, besonders in ländlichen Gebieten. | |
Der politische Mut, in großem Stil umzusteuern, fehlt. Aus Angst vor | |
wirtschaftlichen Risiken – etwa [5][wegen möglicher US-Zölle unter | |
Präsident Trump] – werden keine ehrgeizigen Projekte mehr gewagt. Dabei | |
wäre gerade jetzt ein entschlossenes Vorpreschen notwendig, um Irland | |
zukunftsfähig zu machen. Doch anstatt den Geist von Ardnacrusha neu zu | |
beleben, wartet die irische Regierung ab. So bleibt die Landbevölkerung | |
auch künftig auf ein überfordertes, altersschwaches Stromnetz angewiesen. | |
29 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Irland-als-Zentrum-fuer-gruenen-Wasserstoff/!5924847 | |
[2] /Klimaschaedlicher-Torfabbau/!5905987 | |
[3] /Die-Wahrheit/!5937351 | |
[4] https://www.gov.ie/ga/an-roinn-fiontar-turas%C3%B3ireachta-agus-fosta%C3%AD… | |
[5] /Trump-Zoelle/!6099886 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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