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# taz.de -- Neues Album der Melvins: Klärendes Kotzen
> Sludge mal schön: Die US-Krachband Melvins zündet mit dem Album
> „Thunderball“ einen Urknall in Superzeitlupe.
Bild: Momentaufnahme in Sludge: die Melvins in der Besetzung von 2023
Es ist immer wieder faszinierend zu hören, wie die musikalische Avantgarde
von einst sich über die Jahre in Orte des Bekannten und Vertrauten
verwandelt. Und ambivalent, weil man als Hörer:In mit der Musik altert,
und die Wahrnehmung von ihr nimmt denselben Verlauf wie das eigene
Verhältnis zur Welt: Aus „Krass, so etwas hab ich ja noch nie gehört“ wird
„Ah, wie schön!“.
Die US-Sludgerockband Melvins ist inzwischen bei Album Nummer 28
angekommen. „Thunderball“ schließt an die Vorgänger „Tarantula“ (2024…
„Bad Moon Rising“ (2022) an, klingt aber weniger borstig und bollerig,
stattdessen ziemlich melodiös. Der Auftaktsong „King of Rome“ wechselt
zwischen Kratzgitarre und einem geradezu expressiven Refrain hin und her.
Was schon auffällt, weil die Musik der Melvins [1][auch live bei allem
Krach betont distanziert und ironisch bleibt.]
Mit „Vomit of Clarity“ schiebt die Band ein Seltsam-Ambient-Intermezzo ein,
auf dem der Beitrag der Experimental/Noise-Künstler Void Manes und Ni
Maîtres, die das Duo für dieses Album zum Quartett haben werden lassen, am
deutlichsten zu hören ist. Es folgen zehn Minuten Zeitlupen-Hardrock, der
so auf eigentlich jedem Album hätte kommen können, 2025 oder 1998.
Und vielleicht auch schon 1983, dem Jahr, als die Band als dekonstruktives
Abrissunternehmen im pazifischen Nordwesten der USA loslegte. Popkritiker
Martin Büsser erinnerte sich in seinem 1998 erschienenen Buch „Antipop“ an
eine Epiphanie beim Besuch eines Melvins-Konzerts in der Provinz, sieben
Jahre zuvor.
Langsamer als Saint Vitus und lauter als die Swans haben sie geklungen. Und
diese Verlangsamung sei als „Gefühlsdemontage“ zu verstehen, die nicht
weniger als ein Zeitalter beendet hätte, nämlich das der herkömmlichen
Rockmusik: „Das Gedonner in dieser Nacht war bereits ein Fanal auf ihren
Untergang.“
## Pop ist beharrlich
Büsser beschreibt in der Folge das, was er als Scheitern der Band sieht.
Die pure Reduktion ihrer Musik sei in einen indifferent-postmodernen Ansatz
und damit in Beliebigkeit überführt worden. Und natürlich, alles geht
weiter, Rock in seinen verschiedenen Subgenres dann doch. „Pop ist
beharrlich.“ Damals, 1998, konnte ein „Zeitalter“ im Pop trotzdem noch
halbwegs plausibel für passé erklärt werden. Heute herrscht der Eindruck
vor, dass eigentlich gar nichts verschwindet, sondern jedes Subgenre
bleibt, jede Spielart in ihrer Mininische immer weiterläuft.
Platz hat vieles im großen Schweineherz der Melvins. 2021 spielte man die
bandeigenen Noise-Klassiker mit Akustikgitarre nochmals neu ein, 2018
erblickte eine betont sinnlose Coverversion von „I Want to Hold Your Hand“
das Licht der Welt. Gerade ist offensichtlich das Beharren auf den eigenen
Routinen wichtig. Und der Rückgriff auf die Anfänge: Zurzeit bestehen
die Melvins aus den beiden Gründungsmitgliedern Buzz „King Buzzo“ Osborne
und Matt Dillard, dem Ur-Schlagzeuger im Gründungsjahr 1983.
Zurück zum Album. Die zweite Hälfte von „Thunderball“ ist gleichsam
formvollendet, aber weniger traditionell. Der mehrteilige Song „Victory of
the Pyramids“ beginnt geradezu beschwingt und stürzt dann in etwas
Zähflüssiges, mit Ozzy-Osbourne-Gejohle, um sich am Ende aufzulösen. „Venus
Blood“ schließlich ist ein entrückter Doom-Metal-Jam, der daran erinnert,
dass man die 28 Melvins-Alben auch nach verschiedenen Graden von
Verpilztheit sortieren könnte, ohne dass die Band was betont
Psychedelisches hätte. Dazu ist das alles zu streng.
Dekonstruieren wollen die Melvins auch in der Besetzung von 1983 auf
„Thunderball“ nichts mehr, beenden schon gar nicht. Im Gegenteil, die fünf
langen Songs zeugen von dem Willen, mit dem, [2][was man in 40 Jahren
Bandgeschichte alles so entwickelt hat,] weiterzumachen bis zum
Sankt-Nimmerleins-Tag. Und also für immer und ewig idiosynkratischen Sludge
in die Welt zu stemmen. Der inzwischen nicht mehr so viel Krach auffährt
wie einst und mehr von Black Sabbath als von der Avantgarde hat.
Aber immer hörbar ausschließlich davon bestimmt ist, was der Band gerade so
in den Sinn kommt.
17 Jul 2025
## LINKS
[1] /Konzert-The-Melvins/!5109682
[2] /Neues-Album-von-Melvins-Gitarrist-Buzzo/!5709589
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Punk
Rock
Heavy Metal
Gaza-Krieg
Nachruf
Neues Album
Punk
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