# taz.de -- Abgeordnetenhauswahl 2026: Opfer der eigenen Prinzipien | |
> Die Grünen hätten mit Daniel Wesener einen chancenreichen | |
> Spitzenkandidaten für die Wahl 2026 gehabt. Aber vorne soll halt eine | |
> Frau stehen. | |
Bild: Noch ist bei den Grünen die Spitzenkandidatur offiziell unbesetzt, aber … | |
Offiziell ist noch nichts. Der Landesvorstand sei in guten Gesprächen und | |
werde der Partei im Herbst einen Vorschlag machen, ist die Standardantwort | |
auf Journalistenfragen nach der grünen Spitzenkandidatur für 2026. In etwas | |
mehr als 14 Monaten wählt Berlin das Abgeordnetenhaus neu, und bislang ist | |
[1][nur bei der CDU klar, wer dabei das Gesicht der Partei sein wird], | |
nämlich Kai Wegner. | |
Inoffiziell hingegen gibt es nicht gerade beinharte Dementis, dass nicht | |
erneut Bettina Jarasch die Spitzenkandidatur übernimmt, flankiert von | |
Werner Graf, ihrem Co-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Mit [2][Jarasch an | |
der Spitze traten die Grünen schon 2021] und bei der Wiederholungswahl 2023 | |
an. Wie erfolgreich das war oder eben nicht, ist Auslegungssache. | |
Einerseits und auf den Wahltag konzentriert schnitten die Grünen mit | |
jeweils über 18 Prozent so gut ab wie nie zuvor. 2023 fehlten zudem nur | |
etwas mehr als 50 Stimmen – von rund 1,5 Millionen abgegebenen –, um | |
erstmals bei einer Abgeordnetenhauswahl vor der SPD zu liegen. | |
Andererseits lagen die Grünen gerade 2021 [3][in vorangehenden Umfragen | |
deutlich über ihrem letztlichen Wahlergebnis]: Fünf Monate hatten die | |
Demoskopen sie noch bei 27 Prozent gesehen – neun bis zehn Punkte mehr als | |
CDU und SPD. Wer will, kann in Jarasch vor diesem Hintergrund eine | |
zweimalige Wahlverliererin sehen. | |
## Zweimal nicht ins Rote Rathaus | |
Jarasch hat als Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus gute Auftritte, | |
[4][zerlegte etwa Ende 2023 eindrücklich die Haushaltspolitik der | |
schwarz-roten Koalition]. Die Frage ist dennoch, ob es schlau ist, eine | |
Frau zur Spitzenkandidatin zu machen, der im Wahlkampf das Image der | |
Verliererin anheften könnte. Etwa mit dem schlichten Gedanken beim Blick | |
auf ihre Wahlplakate: Die war doch schon letztes Mal auf dem Plakat und ist | |
nicht ins Rote Rathaus gekommen, denn da ist doch jetzt der von der CDU. | |
Nun ließe sich entgegnen, dass andere auch drei Anläufe brauchten, um | |
Ministerpräsident zu werden. Der spätere Bundespräsident Christian Wulf von | |
der CDU etwa in Niedersachsen. Der hatte bei zwei Landtagswahlen | |
nacheinander keine Chance gegen den SPDler Gerhard Schröder, gewann dann | |
aber schließlich 2003 klar gegen dessen Nach-Nachfolger, den späteren | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel. Viele Beispiele dieser Art gibt es allerdings | |
nicht – ein mögliches Verlierer-Image bleibt ein Risiko. | |
Das Ganze gilt umso mehr, weil die Grünen jemanden gehabt hätten, der | |
innerhalb und außerhalb des grünen Parteikosmos hohes Ansehen genießt, der | |
hohe Sympathiewerte und Erfahrung in führenden Ämtern in Partei, Fraktion | |
und Regierung hat. Die Rede ist von Daniel Wesener, von Ende 2021 bis | |
Frühjahr 2023 Berliner Finanzsenator. | |
Aber ausgerechnet er sagte der Partei vor einer Woche für eine | |
Spitzenkandidatur ab. Offiziell begründet er das so: „Andere Menschen in | |
unserem Landesverband“ könnten „diese besonders herausgehobene Position | |
besser ausfüllen“ als er. Doch die Vermutung liegt zumindest nahe, dass | |
Wesener auch keine Lust hatte, in einem Streit über ein offenbar ehernes | |
Gesetz der Grünen aufgerieben zu werden: dass nämlich stets eine Frau die | |
Spitzenkandidatur übernimmt. | |
## Exministerin Paus sagte ab | |
Eine, die sich manche im linken Lager in dieser Position gewünscht hätten, | |
war Lisa Paus, bis Anfang Mai noch Bundesfamilienministerin. Sie aber | |
[5][sagte am Mittwoch definitiv ab]: „Mein Platz ist im Bundestag, auch und | |
gerade jetzt in der Opposition“, informierte Paus den Landesvorstand per | |
Brief. | |
Logisch wäre gewesen, wenn die Grünen sich grundsätzlich gefragt hätten, | |
mit wem die Chancen auf einen Wahlsieg am größten sind. Die Antwort wäre | |
unausweichlich gewesen: mit Wesener. Stattdessen aber stand der Parteiblick | |
im Vordergrund, geprägt von grundsätzlichen Prinzipien und Lagerdenken. | |
Wenn schon erneut mit Jarasch, dann wäre eine alleinige Spitzenkandidatur | |
sinnig gewesen, statt mit einem Duo der Reala Jarasch und dem Parteilinken | |
Graf zu arbeiten, das sich die Wählerstimmen bringende Medienaufmerksamkeit | |
– so es tatsächlich dazu kommt – wird teilen müssen. | |
Sie könnten es anders haben können, die Berliner Grünen. Aber sie haben es | |
eben – bislang – anders gewichtet. Und könnten es damit dem CDUler Kai | |
Wegner ein Stück leichter gemacht haben, nach dem Wahlabend des 20. | |
September 2026 und den danach folgenden Koalitionsverhandlungen Berlins | |
Regierungschef zu bleiben. | |
11 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Abgeordnetenhauswahl-2026/!6097821 | |
[2] /Abgeordnetenhauswahl-in-Berlin/!5793185 | |
[3] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm | |
[4] /Berliner-Abgeordnetenhaus/!5976332 | |
[5] /Realos-setzen-sich-durch/!6096082&s=Lisa+Paus/ | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Grüne Berlin | |
Bettina Jarasch | |
Daniel Wesener | |
Grüne Berlin | |
Grüne Berlin | |
Lisa Paus | |
Daniel Wesener | |
Grüne Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüner Spitzenkandidat für Berlin-Wahl: Werner Graf nur zweite Wahl | |
Weil Bettina Jarasch Reala ist, nominieren die Berliner Grünen einen linken | |
Mann zum Spitzenkandidaten. Der chancenreichere Kandidat hatte abgesagt. | |
Grüner Spitzenkandidat für Berlin: Werner Graf soll ins Rote Rathaus | |
Am Ende ging es ganz schnell. Werner Graf und Bettina Jarasch gehen für die | |
Grünen in den Wahlkampf. An Nummer eins steht der Mann der Parteilinken. | |
Grüne Spitzenkandidatur für Berlin-Wahl: Ex-Familienministerin Lisa Paus sagt… | |
Die frühere Bundesfamilienministerin Lisa Paus sieht ihren Platz weiter im | |
Bundestag – und sich selbst damit nicht zurück auf Berliner Landesebene. | |
Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2026: Grünen-Politiker Wesener zieht sich z… | |
Der von vielen Berliner Grünen als Hoffnungsträger gefeierte Ex-Senator | |
Daniel Wesener will 2026 nicht wieder fürs Abgeordnetenhaus antreten. | |
Klausur der Berliner Grünen-Fraktion: Grüne würden nicht springen | |
Falls Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh wirklich mit der CDU bricht, | |
kann er nicht darauf zählen, dass die Grünen ihn zum Regierungschef machen. |