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# taz.de -- Theaterautor Roland Schimmelpfennig: Die Schönheit des Traurigen
> Roland Schimmelpfennig gehört zu den meistgespielten Theaterautoren.
> Zuletzt eröffneten die Nibelungenfestspiele mit einem Text von ihm. Ein
> Porträt.
Bild: Wut auf das Patriarchat: Roland Schimmelpfennig
Theater sei ein „perkussiver Akt, es erinnert an Schlagzeugspielen“. Daher
kommt es beim Stückeschreiben vor allem auf den Rhythmus an, meint der
Dramatiker Roland Schimmelpfennig, der seit über 20 Jahren zu den
meistgespielten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart gehört, in einem
Gespräch mit der taz.
Wie man den Rhythmus findet, hat er mit seinem Text „See aus Asche“, der
aktuell bei den Nibelungenfestspielen in Worms uraufgeführt wird, unter
Beweis gestellt. Anders als in vielen Zugriffen auf den Sagenstoff spielen
die Figuren nicht vornehmlich die Handlung, sondern erzählen sie, mit
lyrischer Anmutung.
Verse wie „der Himmel / ist nur noch / ein Meer aus toten Steinen“
vermitteln mit einfachen Worten ein existenzielles Pathos, das unter die
Haut geht, aber das Geschehen nie im Abstrakten belässt.
Binnen weniger Zeilen kann der hohe Ton in die Derbheit der menschlichen
Verkommenheit abrutschen – wenn etwa die Vergewaltigung der isländischen
Königin durch den Burgunderkönig Gunter (mit der List Siegrieds)
geschildert wird. „Und dann drückt er seinen Mund auf meinen, / Wein, Bier
und Fett –“, berichtet die Geschändete, und „er stößt und stößt, / u…
flüstert, / wenn du dich jemals wieder wehrst, / dann bringe ich dich um.“
## Was ist das Erfolgsrezept?
Wenn man also nach dem Erfolgsrezept des Autors fragt, der allein in dieser
Spielzeit mit 12 verschiedenen Texten auf deutschsprachigen Bühnen präsent
ist, dann dürfte es einerseits mit diesem stets gelingenden Wechsel
zwischen den Stilregistern zusammenhängen. Andererseits greifen seine Werke
immer wieder neuralgische Punkte der Gegenwart auf, darunter vor allem die
misogyne Gewalt.
Auch in seinem neuen Roman „Sie wartet, aber sie weiß nicht, auf wen“
(2025), einer vielschichtigen Überschreibung von Arthur [1][Schnitzlers
„Reigen“,] wird diese Gewalt zum Thema. Eine Schauspielerin sowie ein
Zimmermädchen werden darin Opfer männlichen Machtmissbrauchs. Aber eben
nicht nur das.
Unter den miteinander verzahnten Storys finden sich ebenso Miniaturen über
die innige Suche nach dem Anderen, teilweise sogar von jenen
Protagonist:innen, die sich an anderer Stelle wiederum mit maskuliner
Brutalität konfrontiert sehen. So zu sehen bei der besagten
Hotelangestellten, die mit einem ehemaligen Soldaten auf dem Jahrmarkt den
Beginn einer intensiven Zweisamkeit erfahren wird.
Damit diese Gegensätze innerhalb eines Textes funktionieren, bedarf es
eines genauen psychologischen Sensoriums, über das Schimmelpfennig verfügt.
Stets mit Notizbuch unterwegs, sammelt er Sätze und Szenen auf.
Künstlerische Herausforderungen bleiben dabei natürlich nicht aus, zumal es
„überraschenderweise leichter [ist], über das Patriarchat zu schreiben als
über das Leuchten der Liebe. Die Wut auf den Gegner hilft.“
## Scheitern aus Egozentrik
Letztere treibt zahlreiche seiner Figuren an, die – genauso wie die
verkommene Sippe der Nibelungenlegende – unter ihrer Einsamkeit leiden. Sei
es in kleineren Werken wie der berührenden Andersen-Variation „Das Märchen
von der kleinen Meerjungfrau“ (2022) über Armut oder dem [2][Großprojekt
„Anthropolis“,] das 2023 geschrieben in fünf Teilen die tragische Chronik
der Stadt Theben und des Herrschergeschlechts der Labdakiden nachzeichnet –
das Scheitern seiner Figuren resultiert zumeist aus deren fehlender
Verbundenheit, aus ihrer Isolation oder Egozentrik.
Was damit einhergeht? Das bringen etwa die scharfen Dialoge aus dem Stück
„Der Kreis um die Sonne“ (2021) auf den Punkt. Auf einer großen Party
ereignet sich ein regelrechter Clash der Emotionen. Auf der Tanzfläche wird
gelacht, geheult, durchgehalten bis in die Morgenstunden, um ja nicht am
eigenen Verlorensein zugrunde zu gehen. „Angst hat kein Gesicht. Angst ist
alles und nichts gleichzeitig, ein Schatten ohne Körper, ein Nebel.“
Schimmelpfennig schafft es mit derlei pointierten Beschreibungen immer
wieder, den Menschen (und damit uns alle) in seinem kosmischen
Ausgesetztsein zu erfassen. Unabhängig von der Frage, ob seine
Protagonist:innen gewaltsam und ignorant handeln, oder ob sie leiden
und verdrängen, kommen sie nah an uns heran.
Eine Erklärung für diesen Effekt liefert der Autor selbst: „Das Schreiben
ist immer die Suche nach dem Schmerz oder der Verletzung.“ Diese
Verwundungen aufzugreifen und sie nicht nur naturalistisch zu schildern,
sondern ins Poetische, ja in eine Schönheit des Hässlichen und Traurigen zu
überführen, darin besteht die besondere ästhetische Signatur dieses
Schaffens. Wir haben es mit einem Dramatiker zu tun, der immer wieder neu
einen unverkennbaren Ausdruck für das Allzumenschliche im Zwange der Zeiten
findet.
## Alice in Wunderland bis Odyssee
Aber woraus schöpft er seine Geschichten? Zum Teil vielleicht aus seinen
Begegnungen auf Reisen. Als ehemaliger Journalist in Istanbul, ist der 1967
in Göttingen geborene Schriftsteller viel herumgekommen. Einen anderen
Inspirationsquell stellen neben seinen Alltagsbeobachtungen aber auch die
Erzählungen seiner Jugendjahre dar: „Kindheitsstoffe sind Teil des
Kraftstoffs, den man zur Verfügung hat.“
Von „Alice im Wunderland“ bis zur „Odyssee“ reichen frühe Lese- und
Hörerfahrungen. Dabei hat Schimmelpfennig nicht gerade wenige Held:innen
kennen gelernt. Und möglicherweise speist sich gerade aus deren Mut
ebenfalls die Fähigkeit insbesondere seiner weiblichen Figuren, über so
manche Widrigkeit des Daseins doch noch hinwegzukommen.
16 Jul 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
Theater
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