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# taz.de -- Feministisches Brettspiel: Wenn Frauen Polizisten verprügeln
> „Suffragetto“ war mehr als ein Brettspiel. Für die britische
> Suffragettenbewegung war es ein feministisches Werkzeug im Kampf für das
> Frauenwahlrecht.
Bild: Pionier*innen des radikalen Feminismus in London 1911 umringen Emmeline P…
Zack – einfach mal drei Bobbys geschlagen und schon hat es die [1][erste
Suffragette] ins Unterhaus geschafft. Die Bobbys dagegen landen im
Krankenhaus. Da sind sie nicht die ersten. Aber auch das Gefängnis füllt
sich langsam mit grünen Spielsteinen.
Beim Brettspiel „Suffragetto“ stehen zwei Parteien auf dem Spielfeld:
Suffragetten und Polizisten. Letztere in Blau, die ersteren in Grün – Farbe
der Hoffnung und Farbe der Suffragettenbewegung, neben Weiß und Lila.
Suffragetten waren englische Frauenrechtlerinnen, die Anfang des 20.
Jahrhunderts für das Wahlrecht von Frauen kämpften.
Das taktische Brettspiel für zwei Personen lässt sich auch heute nach mehr
als 110 Jahren noch spielen und erinnert an Dame, nur ist das Spielfeld
etwas komplexer. So sind auf den Seiten links und rechts Felder mit
hospital und prison beschriftet, Krankenhaus und Gefängnis. Die Mitte ist
die arena und in zwei Bereiche unterteilt: Die Polizei will in die Albert
Hall eindringen und dort eine Versammlung der Suffragetten sprengen.
Die wiederum wollen das House of Commons erstürmen, das britische
Unterhaus. Gegnerische Figuren können übersprungen werden und landen dann
entweder im Gefängnis – wenn es Suffragetten sind – oder im Krankenhaus –
wenn es Polizisten sind. Harmlos ist anders. Durchaus angebracht, der Kampf
um Grundrechte war brutal. 1908 hat die britische Women’s Social and
Political Union (WSPU) „Suffragetto“ veröffentlicht.
Das Motto der Organisation war „Taten, nicht Worte“. Nur Frauen durften
Mitglieder werden, als Mittel nutzten sie zivilen Ungehorsam und – meistens
illegale – Aktionen wie das Zerschlagen von Schaufenstern oder
Säureattentate auf Golfplätze. Das ging nicht immer ohne Gegengewalt:
Suffragetten lernten die Kampftechnik Suffrajitsu, um sich gegen
übergriffige Männer und eben auch gegen Polizeigewalt zu schützen.
## Es ging nicht nur um die Botschaft
Kein Wunder, dass „Suffragetto“ den aktiven Kampf gegen Polizei
thematisierte. Frauen sind in diesem Spiel keine fragilen Geschöpfe, für
die allein schon der Aufenthalt im öffentliche Raum gefährlich war – wie es
der Norm des Empire der Zeit entsprach. Sie waren Kombattantinnen,
gleichwertig gegenüber ausgebildeten Polizeikräften. Die implizite
Botschaft von „Suffragetto“: „Wir können euch schlagen!“ – auf dem
Spielbrett, und auf der Straße. Es ging der WSPU nicht nur um die
Botschaft.
Der Verkauf des Spiels sollte auch finanzielle Unterstützung für den
politischen Kampf gewinnen. Zu diesem Zweck hatte die WSPU Läden in London
und auf dem Land eingerichtet, oft mit Hinterräumen, in denen die Frauen
Versammlungen organisierten.
Im Verkaufsraum lag „Suffragetto“ zwischen Taschentüchern, Abzeichen und
Schals in den Farben der WSPU, zwischen Selbstgemachtem wie Marmelade und
Kuchen.
„Suffragetto“ war nicht das einzige [2][Gesellschaftsspiel] des
Warensortiments. Schon ein Jahr zuvor, 1907, war das Kartenspiel
„Suffragette“ erschienen. Im gleichen Jahr wie „Suffragetto“ hatte die …
„Suffragettes In and Out of Prison“ und „How to Get Out of Gaol“
produzieren lassen. Spielfiguren aus Pappe konnten aus dem Frauengefängnis
Holloway entkommen.
Der Ort hatte große symbolische Bedeutung für die Bewegung. Hier waren
viele Suffragetten inhaftiert und traten in den Hungerstreik, weil sie
wegen Vandalismus einsaßen und nicht als politische Gefangene behandelt
wurden.
Die Spieleproduktion zahlte sich wohl aus für die WSPU. 1909 brachte die
Organisation zwei weitere Spiele heraus: Das Rommé-artige „Panko“, voller
Titel „Panko, or, Votes for Women: The Great Card Game“ und
„Pank-A-Squith“. Beide Titel spielen auf den Namen von WSPU-Gründerin
Emmeline Pankhurst an, die sich ihr ganzes Leben lang für die Bewegung
einsetzte.
Der zweite kombiniert ihn mit dem des damaligen Premierministers Herbert
Asquith. Der hatte sich gegen das Wahlrecht für Frauen gestemmt – erst nach
seiner Abdankung 1916 änderte er seine Einstellung.
Über die Spiele kamen die Ideen der Suffragetten in die Wohnzimmer. Sie
zeigten einen Kampf, der mit ein bisschen Glück und taktischem Geschick zu
gewinnen war. Im Spiel eröffnete sich die Möglichkeit einer besseren
Gesellschaft.
Dabei waren sie nicht so offensichtlich Propaganda wie Pamphlete, sondern
eben: Alltagsgegenstände, Zeitvertreib, mit dem man weniger feministisch
orientierte Familienmitglieder und Freund*innen mit den Themen
Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht in Berührung bringen konnte.
## Sprengstoffanschläge und Brandstiftung
Anfang des 20. Jahrhunderts waren die WSPU-Brettspiele nicht die einzigen
mit politischen Ideen. Das wohl bekannteste ist „Monopoly“. Dessen
Erfinderin, die US-Feministin Lizzie Magie wollte 1904 die Ungerechtigkeit
von Landbesitzmonopolen demonstrieren. Deswegen konnte man das ursprünglich
als „Landlord’s Game“ benannte Spiel in zwei Varianten spielen:
antimonopolistisch und monopolistisch.
In der ersten gab es eine Einheitssteuer, in der zweiten dagegen den
Anreiz, alle Mitspielenden in den Ruin zu treiben. Erfolgreich wurde das
Spiel in der ungerechten Version – und erst, als Charles Darrow das Spiel
abkupferte und unter dem weltbekannten Namen vermarktete.
In den Jahren nach „Suffragetto“ eskalierte in Großbritannien der Konflikt
um das Frauenwahlrecht mit Sprengstoffanschlägen auf Briefkästen,
Brandstiftung in Wohnhäusern von Ministern und Angriffen auf Kunstwerke wie
Velázquez’ „Venus vor dem Spiegel“. Im Ersten Weltkrieg geriet die WSPU …
dem Fokus der Öffentlichkeit und löste sich 1917 auf.
Ihr Ziel erreichte sie dennoch: 1918 führte das Parlament das
Frauenwahlrecht in Großbritannien ein. „Suffragetto“ und die anderen Spiele
gerieten in Vergessenheit. Mit der Wahlrechtsreform war ihr revolutionäres
Potenzial vergangen. Der Kampf auf dem politischen Spielfeld wirkte vorerst
ausgefochten. Bis sich die Geschichtsschreibung für Brettspiele zu
interessieren begann.
2016 berichtet die BBC über die Ausstellung „Playing With History“ in
Oxford. Dort befindet sich auch das letzte Originalexemplar von
„Suffragetto“, das 2018 erneut aus dem Archiv geholt wurde: als eines der
Highlights der Ausstellung „Sappho to Suffrage: Women Who Dared“. Seitdem
kämpft sich das Strategiespiel mit den blauen und den grünen Pöppeln
langsam in das öffentliche Bewusstsein zurück.
Auf der Seite [3][mindsports.nl] kann man gegen eine KI oder andere
Spieler*innen antreten, eine digitale Version gibt es auf Steam. Die
Seite playsuffragetto.org stellt die Regeln und das Spielbrett auf Englisch
zum Runterladen und Selberdrucken bereit. Passende Pöppel für den
feministischen Kampf finden sich sicherlich in jedem Spieler*innenhaushalt.
16 Jul 2025
## LINKS
[1] /Zirkus-als-Quelle-des-Feminismus/!6068671
[2] /Brettspiel/!t5626028
[3] https://mindsports.nl/
## AUTOREN
Fabian Mauruschat
## TAGS
Feministinnen
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Spiele
Frauenwahlrecht
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Games
Social-Auswahl
Feminismus
Kolumne Erste Frauen
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