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# taz.de -- Zirkus als Quelle des Feminismus: Sandwina, die stärkste Frau der …
> Auch für die Figur der Pippi Langstrumpf war sie Vorbild: Katharina
> Brumbach, die sich als Zirkusartistin Sandwina nannte und Suffragette
> wurde.
Bild: Die stärkste Frau der Welt
Am 31. März 1912 trifft sich am Madison Square Garden in New York eine
ungewöhnliche Gruppe. Sie nennen sich die „[1][Suffragetten-Ladys des
Barnum & Bailey Circus]“. Die Artistinnen des berühmtesten Zirkus der Welt
demonstrieren fürs Frauenwahlrecht. Es ist eine unerhörte Kombination:
Zirkusfrauen gelten als soziale Außenseiterinnen, antibürgerlich, glamourös
und verrucht, ein bisschen wie Prostituierte. Meinen sie das ernst?
Namhafte Suffragetten bleiben lieber fern, während die Athletinnen ein
Giraffenbaby zur „[2][Miss Suffrage]“ taufen.
Doch ein paar Tage später lädt die Women’s Political Union die
„Suffragetten-Ladys“ zum Tee. Die bürgerlichen Genossinnen sind tief
beeindruckt: Die Zirkusathletinnen verdienen eigenes Geld, widerlegen das
Bild vom „schwachen“ Geschlecht und kommen mit der halben Welt ins
Gespräch. „Es gibt keine Klasse von Frauen, die besser zeigen, dass sie ein
Wahlrecht haben, als Zirkusfrauen“, resümiert die Feministin Elizabeth
Cook. Vizepräsidentin der bald 800 politisierten Artistinnen ist eine der
schillerndsten Athletinnen ihrer Zeit: Katie Sandwina, bürgerlich Katharina
Brumbach. Die „stärkste Frau der Welt“.
Katie Sandwina stammt aus einer niederbayerischen Zirkusfamilie und wird in
Wien geboren. Von Kind an tritt sie im Wanderzirkus auf; ihren späteren
Ehemann, den Athleten Max Heymann, lernt sie angeblich mit 16 Jahren beim
Preiskampf kennen. Sie besiegt ihn, seine spontane Reaktion: „Katie, ich
liebe dich, willst du mich heiraten?“ Ab 1901 versucht Sandwina ihr Glück
in den USA und wird dort bei Barnum & Bailey zum Weltstar. Es ist eine
Zeit, in der der Zirkus größer ist als der organisierte Sport, die größte
Show der Welt. „Kraftweiber“ wie Sandwina erzählen ein neues Frauenbild.
Ihren Künstlernamen nimmt sie an, nachdem sie den weltberühmten
Kraftsportler Eugen Sandow besiegt. Sie stemmt in Shows drei Männer in die
Höhe, trägt ein Karussell samt sechs Menschen auf ihrem Bauch, zerreißt
Ketten, verbiegt angebliche Eisenstangen und jongliert Kanonenkugeln. Es
ist auch eine Welt, wo Show wichtiger ist als Wahrheit oder Messbarkeit.
Verbürgt ist aber ihr Weltrekord im Gewichtheben der Frauen von 136 Kilo,
der bis 1987 hält.
Katie Sandwina ist eine Kunstfigur umgeben von Legenden, sie erzählt in
Interviews mal jenes und mal das Gegenteil. Aber ihre Wirkung ist
hochpolitisch. Die Frau, die am Höhepunkt ihres Ruhms 1.500 Dollar pro
Woche verdient, schleudert bei den Shows Ehemann Max „für 15 bis 20 Minuten
herum wie eine Lumpenpuppe“, trägt ihn auf einem Arm über dem Kopf. Ihr
Gegenentwurf zur Normbeziehung muss beide Mut gekostet haben. Die
Zeichnerin Kate Carew seufzt: „Oh, ich gäbe alles dafür, einen Mann so
herumhauen zu können.“
## Back to Suffragette City
Eine Zeitung kommentiert: „Übernehmen alle Frauen in ihren Heimen mit
solchen […] primitiven Methoden die Herrschaft wie Sandwina, die
Suffragette, werden sie das Wahlrecht erhalten – oder es sich nehmen.“ Die
Gebrüder Ringling unterstützen die Suffragetten, auch, um mehr Frauen als
Publikum anzusprechen, schreibt Historikerin Casey Gymrek. Und so dürfen
Suffragetten vor den Shows Pamphlete verteilen, tragen Artist:innen
Schärpen, die zum Frauenwahlrecht aufrufen oder halten nach der Aufführung
im Ort Reden. Überliefert sind von Sandwina wenige politische Zitate, aber
wenn, dann unterhaltsame. 1910 sagt sie zum Korsett: „Gesundheitlich ist es
das Allerdümmste. Und außerdem will ein Mann einen geschmeidigen und warmen
Körper halten, keinen Hummer.“
Die „Lady Hercules“ erlebt die Glanzzeiten und den Niedergang des Zirkus.
Noch bis 1942, mit 58 Jahren, tingeln sie und Max herum. Da ist der Zirkus
längst von Radio und Kino verdrängt und Katie Sandwina nur noch in
Freakshows gefragt. Nach der Karriere eröffnet das Paar ein Restaurant in
New York. Glaubt man Max, schmeißt sie Unruhestifter immer noch eigenhändig
raus. Und die herbeigeeilten Polizisten bitten: „Schlag ihn nicht zu fest!“
Mit 67 Jahren stirbt [3][Katie Sandwina] an Krebs. Die kulturelle Wirkung
der „stärksten Frau der Welt“ und anderer Kraftweiber blieb. Nicht
unwahrscheinlich, dass sie ein gewisses 1945 erschienenes Kinderbuch über
das „stärkste Mädchen der Welt“ beeinflussten. In einer Episode besiegt
diese Pippi Langstrumpf, die ebenfalls gern Männer stemmt, einen
weltberühmten Kraftathleten – wie es Katie Sandwina tat.
26 Feb 2025
## LINKS
[1] https://www.narratively.com/p/barnum-bailey-forgotten-high-flying-suffragis…
[2] https://www.etsy.com/de/listing/211466866/feministisches-tshirt-little-miss
[3] https://www.welt-der-frauen.at/katie-sandwina/
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
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Schwerpunkt LGBTQIA
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