| # taz.de -- Bildungspolitik am Imbiss: Würstchen, Worte, Wirklichkeit: Wer ist… | |
| > Während Politiker über Migrantenquoten fantasieren, steht unser Autor im | |
| > Kiez-Imbiss, umgeben von der Realität, die solchen Ideen längst | |
| > entgleitet. | |
| Bild: Ich esse, also sprech ich, also bin ich | |
| Am Stehtisch bei meinem Lieblingsimbiss in meinem Kiez, in dem fast zwei | |
| Drittel der Menschen [1][einen Migrationshintergrund] hat, an einem | |
| Brennpunktimbiss also, staune ich über das, was ich da aus den Knöpfen im | |
| Ohr höre: Eine Migrationsquote sei ein mögliches Modell für Schulen, das | |
| habe Bundesbildungsministerin [2][Karin Prien] beim Grillen mit dem | |
| Chefredakteur der Zeitung Welt gesagt. | |
| Mit dem Holzpieker steche in [3][eine Scheibe Currywurst], schiebe ein paar | |
| Fritten mit der unverwechselbaren Mayonnaise nach und frage mich: Seit wann | |
| gehen Bundesministerinnen mit Journalisten grillen? | |
| Worüber ich mich nicht wundere, ist, dass ich das Wort Migrantenobergrenze | |
| höre, und dieses Wort auch tagelang nach der Currywurst mit Pommes Rot-Weiß | |
| für mediale Furore sorgt. Obwohl die Bildungsministerin beim Grillen nicht | |
| einen eigenständigen Satz mit diesem Wort formuliert, sondern nur auf einen | |
| Grillmeister reagiert hat, der weiß, welche Würstchen sein Publikum am | |
| liebsten speist. | |
| Am Stehtisch nebenan gönnt sich ein Mann ohne Migrationshintergrund eine | |
| Boulette, oder Köfte, wie man in meinem Kiez auch zu sagen pflegt. Ich | |
| bewundere die Verkäuferin, die seine Bestellung auf genuscheltem | |
| Berlinerisch auf Anhieb versteht. Dahinter läuft eine türkischstämmige | |
| Mutter mit Kindern zielsicher auf das Einkaufszentrum zu, die Kinder | |
| quengeln in vorbildhaftem Hochdeutsch. | |
| Von irgendwoher erreicht arabische Musik die Currywurstbude. Kurz frage ich | |
| mich, wie mein Brennpunktkiez wohl aussähe, wenn die Migrantenobergrenze | |
| tatsächlich käme, vielleicht nicht nur an Schulen, sondern für das ganze | |
| Stadtviertel, wie es in Dänemark vorgesehen ist, worauf der kundige | |
| Grillmeister im Gespräch mit der Bildungsministerin verwiesen hat. | |
| Dieser Gedanke kommt mir aber schnell vor wie aus einem | |
| Science-Fiction-Film, aus einer Fantasiewelt, nicht realisierbar und weit | |
| weg in einem Deutschland, in dem mehr als 40 Prozent der Kinder einen | |
| Migrationshintergrund hat. Ich denke an die Redewendung „Der Zug ist | |
| abgefahren“ und bin stolz auf mich. Weil ich als Migrantenkind zwar | |
| mittlerweile durchaus akzeptable Sprachkenntnisse vorweisen kann, das mit | |
| den deutschen Redewendungen aber immer noch eine Herausforderung bleibt. | |
| ## Jan, Pia und Philipp oder Can, Cemile und Aylin | |
| Dann frage ich mich, wen der Grillmeister und all die anderen Experten | |
| eigentlich meinen, wenn sie von Migrantenquote sprechen. Kinder, die | |
| kürzlich nach Deutschland gekommen sind? Kinder, deren Eltern eingewandert | |
| und die selbst in Deutschland geboren worden sind? | |
| Oder doch Kinder, deren Großeltern vor noch viel längerer Zeit nach | |
| Deutschland gekommen sind, und die sich von Jan, Pia und Philipp heute nur | |
| noch dadurch unterscheiden, dass sie Can, Cemile und Aylin heißen? | |
| Das scheint in dieser Debatte keiner so genau zu wissen. Das scheint in | |
| dieser Debatte auch keinen wirklich zu interessieren. Ist ja auch nicht so | |
| wichtig. Genauso unwichtig wie Fakten über Kinder ohne | |
| Migrationshintergrund, die ebenfalls Probleme mit der deutschen Sprache | |
| haben. | |
| Oder der Umstand, dass nicht der Migrationshintergrund den Bildungserfolg | |
| eines Kindes bestimmt, sondern die sozialen Verhältnisse, in denen es | |
| aufwächst. | |
| 16 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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