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# taz.de -- Weltraumpolitik: Wem gehört das All?
> Über die Zukunft der Erde wird mehr und mehr im Weltraum entschieden.
> Deshalb können wir ihn nicht den Großmächten überlassen. Eine Anleitung
> zum Mitreden.
Bild: Wer darf da hoch? Diese Langzeitbelichtung aus Kanada zeigt unter anderem…
Zehn Trillionen. 10.000.000.000.000.000.000 US-Dollar. Das ist 89.823-mal
so viel wie die gesamte Welt [1][im Jahr 2024 erwirtschaftet hat]. Gäbe es
irgendwo auf der Erde eine Grube mit Gold in diesem Wert, die Menschheit
hätte sich im Kampf darum längst die Köpfe eingeschlagen. Gut also, dass es
so etwas auf der Welt nicht gibt. Aber etwa 26 Lichtminuten von der Erde
entfernt, in dem riesigen galaktischen Raum zwischen Mars und Jupiter,
kreist der Asteroid Psyche.
Psyche ist ein sogenannter Protoplanet. Er besteht möglicherweise aus
reinem Metall. Und ist nach Schätzungen der Planetenwissenschaftlerin Lindy
Elkins-Tanton genau so wertvoll: [2][10.000.000.000.000.000.000 US-Dollar].
Das ist natürlich nur eine in den Raum geworfene Zahl. Sie lässt sich
unmöglich überprüfen. Trotzdem [3][plant die Nasa eine Mission zu Psyche]:
Am 13. Oktober 2023 ist eine Sonde von der Erde aus gestartet, sie soll den
Asteroiden im Sommer 2029 auskundschaften. Etwa zwei Jahre lang wird sie
den Asteroiden umkreisen, um Fotos zu machen und Strahlungen zu messen.
Denn der Traum vom Space Mining ist sehr real.
Schon heute verändern Staaten internationales Recht, um Weltraumbergbau zu
ermöglichen, während sich Unternehmen auf den Goldrausch im All
vorbereiten. Und das ist nur einer von mehreren Gründen, warum die
Menschheit sich erneut in einem Wettlauf ums All befindet.
Anders als bei Neil Armstrongs Mondspaziergang, der ein Projekt für
nationales Prestige war, geht es bei diesem Rennen um etwas Wichtigeres:
die Zukunft unseres Planeten. Denn die wird mehr und mehr im Weltraum
entschieden. Während bei Armstrong Millionen gebannt auf ihre
Schwarz-Weiß-Fernseher starrten, gibt es heute über 260 Raketenstarts pro
Jahr. Sie interessieren fast niemanden mehr. Und das ist gefährlich.
Wir können den Weltraum nicht militärischen Großmächten und durchgeknallten
Milliardären überlassen, dafür steht zu viel auf dem Spiel. Es geht
darum, wer noch an knappe Ressourcen wie Seltene Erden kommt, wenn die
Vorräte auf unserem Planeten zur Neige gehen. Es geht darum, wer durch die
größte Satellitenflotte Kriege entscheiden kann. Und es geht darum, ob wir
den Weltraum weiter in Rekordgeschwindigkeit vermüllen und unser Planet
sich bald in einer Hülle aus kollidierendem Schrott dreht.
Wer den Weltraum kontrolliert, sichert sich den Zugang zu seinen Schätzen
Smartphones, Computer und Batterien für Elektroautos funktionieren nicht
ohne Metalle. Um an sie zu kommen, greifen wir Menschen mit Maschinen und
Sprengstoff in geologische Strukturen ein und hinterlassen Wunden in der
Landschaft. Der irdische Rohstoffhunger geht so weit, dass [4][Unternehmen
den Tiefseebergbau vorantreiben], um an wertvolle Metalle wie Nickel,
Kupfer und Kobalt zu kommen.
Auch die Bergbauindustrie an Land zerstört ganze Gegenden durch den Einsatz
giftiger Chemikalien. Minenarbeiter im Globalen Süden, wo die meisten
Abbaustätten liegen, gehören zu den Berufsgruppen mit der kürzesten
Lebenserwartung. Und die Nachfrage nach Metallen und Seltenen Erden steigt
Jahr für Jahr weiter.
Wäre es da nicht eine smarte Lösung, den Bergbau ins All zu verlagern?
Gold, Platin, Kobalt, Palladium und Eisen und Nickel – all das gibt es auch
auf Asteroiden. Bessere Luft, gesündere Böden und weniger Ausbeutung auf
der Erde, während hochbezahlte Expert:innen mit Präzisionsmaschinen
alles, was wir brauchen, aus dem All holen. So oder ähnlich präsentiert die
Industrie den Weltraumbergbau. [5][Etwa die Firma Evona], die sich selbst
als „Nummer 1 unter den Personalvermittlern für die Weltraumindustrie“
bezeichnet.
Heute übersteigen die Kosten von Raumfahrt den Gewinn durch die neuen
Rohstoffe noch bei Weitem. So hat etwa die Rückführung von 121,6 Gramm
Material des erdnahen Asteroiden Bennu im Jahr 2023 die Nasa mehr als 1
Milliarde US-Dollar gekostet. Aber die Industrie arbeitet daran, die Kosten
zu senken.
Ein wichtiger Schritt war etwa die Einführung von wiederverwendbaren
Raketen wie der „Falcon 9“ von Elon Musks Firma SpaceX. Private Akteure wie
SpaceX haben große Budgets, um Trial-and-Error-Ansätze auszuprobieren. So
treiben sie Innovationen viel schneller voran als die behäbigen
Weltraumbehörden.
Einen [6][theoretischen Fahrplan für den Weltraumbergbau gibt es schon].
Erdnahe Asteroiden sollen in ihrer Drehung gestoppt werden, um sie dann im
richtigen Moment mit einem Impuls auf eine Umlaufbahn des Mondes zu
bringen. Dort besucht eine Sonde den Asteroiden. Sie ist mit einem großen
Spiegel ausgestattet, der das Sonnenlicht bündelt und den Asteroiden
aufheizt.
Dadurch werden die Gase im Gestein aufgekocht. Anschließend zerkleinert
eine Schleifmaschine den Fels zu Kies und Staub. Mit Zentrifugen werden
leichte und schwere Elemente getrennt. Die Rohstoffe werden in
wiederverwendbare Raketen geladen oder in hitzegeschützte Kapseln verstaut,
die in den Ozean fallen und eingesammelt werden.
Aber den Techträumereien entgegen wird der Weltraumbergbau nicht zu einer
grüneren und gerechteren Welt führen. Die Länder, die kein bedeutendes
Weltraumprogramm haben, werden wirtschaftlich weiter abgehängt, während
einige reiche Staaten oder reiche Privatpersonen so an Ressourcen kommen.
[7][So verstärkt sich der sogenannte Space Gap]. Der Begriff beschreibt das
sozioökonomische Ungleichgewicht zwischen Ländern, die ein Weltraumprogramm
haben und allen anderen. Zwar unterhalten [8][mehr als 80 Länder ein
Raumfahrtprogramm], doch nur etwas mehr als eine Handvoll haben
ernstzunehmende Ambitionen: USA, China, Russland, Japan, Indien, die
europäische Weltraumorganisation ESA und ein paar ihrer Mitgliedsländer. Es
sind vor allem die USA, die derzeit die besten Chancen haben, sich die
Schürf- und Eigentumsrechte zu sichern.
Denn sie arbeiten bereits seit einem Jahrzehnt aktiv daran, internationales
Weltraumrecht umzudeuten, um ihren Zugang zu Ressourcen rechtlich
abzusichern. Das ist gar nicht so einfach, denn eigentlich besagt der
Weltraumvertrag von 1967, dass keine Nation sich Himmelskörper aneignen
darf. Sprich: Die amerikanische Flagge auf dem Mond war nette Propaganda,
ist aber rechtlich bedeutungslos.
Doch die USA nutzen eine der rechtlichen Grauzonen, um ihre
weltraumpolitische Agenda voranzutreiben: Die Frage, ob Asteroiden als
Himmelskörper gelten, ist nicht abschließend geklärt. Planeten und Monde,
klar, aber wie sieht es mit den Brocken dazwischen aus?
Seit 2015 erlauben die USA in ihrer nationalen Gesetzgebung vorsorglich den
Privatbesitz im All. Einer der wenigen Versuche der letzten Jahre, den
Bereich in internationalen Verträgen zu regeln, ist das Artemis-Abkommen.
Das besteht aus einer Reihe von rechtlich nicht bindenden Vereinbarungen
zwischen Staaten für den Umgang mit Ressourcen im All. Unter Führung der
USA ließen die Unterzeichner darin festschreiben, dass die Förderung von
Weltraumressourcen keine nationale Aneignung gemäß des Weltraumvertrages
darstellt.
In dem Abkommen ist auch von sogenannten Sicherheitszonen die Rede, die das
Einmischen anderer Staaten in die eigenen Angelegenheiten verhindern
sollen. Mutmaßlich geschieht dies vor dem Hintergrund der Mondbesiedlung.
Die USA und einige europäische Länder möchten mit dem Artemis-Programm eine
Mondbasis errichten und haben festgelegt, dass man innerhalb des Programms
nicht mit China kooperieren dürfe. China und Russland wollen eine eigene
Mondbasis errichten.
Mehrere Staaten kritisieren in einem Bericht an die UN-Generalversammlung
das weltraumpolitische Konkurrenzdenken. [9][In dem Bericht] heißt es: „Der
Weltraum wird als neue Grenze des Wettbewerbs zwischen den großen
Militärmächten angesehen.“ Konflikte auf der Erde setzen sich also
potenziell im Weltraum fort. Und auch wer auf der Erde siegt oder verliert,
wird zum Teil im Weltraum mitbestimmt.
Wer den Weltraum kontrolliert, verfügt über Wissen, das Kriege entscheiden
kann
Es ist der 26. Februar 2022, zwei Tage nachdem russische Truppen die Grenze
zur Ukraine überquert haben und in der Hauptstadt Kyjiw wüten. [10][Der
ukrainische Digitalminister twittert eine Bitte an Elon Musk]: „Während Sie
versuchen, den Mars zu kolonisieren, versucht Russland, die Ukraine zu
besetzen! […] Wir bitten Sie, der Ukraine Starlink-Stationen zur Verfügung
zu stellen.“
Starlink-Stationen, das sind Satellitenschüsseln, Kabel und Router, die man
braucht, um sich über Musks Starlink-Programm mit satellitenbasiertem
Internet zu verbinden. Die Ukraine hatte bereits in den Wochen zuvor über
den Zugang zu Starlink verhandelt. Kurz nach dem Tweet des ukrainischen
Ministers antwortete Musk: „Starlink-Service ist jetzt in der Ukraine
aktiv. Mehr Terminals unterwegs.“
Zwischen Februar und Dezember 2022 sendet Starlink Hardware für mehr als
22.000 Stationen in die Ukraine. Satellitenbasiertes Internet wird sehr
schnell sehr entscheidend für das ukrainische Militär und die Bevölkerung.
Das Militär nutzt es, um Waffensysteme zu analysieren, Truppenbewegungen zu
verfolgen und Drohnenangriffe zu planen. Die Bevölkerung hat dank der
Terminals weiterhin Internetzugang und in den besetzten Gebieten die
Möglichkeit, sich auch außerhalb von russischer Kriegspropaganda zu
informieren.
Für SpaceX ist der Krieg die perfekte Gelegenheit, um die Fähigkeiten
seines Satellitennetzwerks auf internationaler Ebene unter Beweis zu
stellen. Die ganze Welt – also potenzielle private und öffentliche Kunden –
sieht, wie zuverlässig und sicher Starlink arbeitet.
Viele Satelliten heißt viel Macht. Im Falle von satellitenbasiertem
Internet kann das beste Angebot liefern, wer die größte und verlässlichste
Flotte hat. Momentan ist Starlink der Konkurrenz meilenweit voraus. Je mehr
Staaten, Unternehmen und Privatpersonen die Dienste von Starlink nutzen,
desto mehr Einfluss kann Musk auf die politischen Entscheidungen an den
jeweiligen Orten ausüben.
Dass er das tut, zeigt eine zweite Episode aus dem Ukrainekrieg. Das
ukrainische Militär steckt im Herbst 2022 mitten in einer Gegenoffensive,
als Starlink in den russisch besetzten Gebieten immer öfter ausfällt.
Selenskyj beschwert sich bei Musk und wirft ihm vor, er habe einen
digitalen Zaun entlang der russisch-ukrainischen Front gebaut. Bis zur
Front funktionierten die Terminals einwandfrei, dann plötzlich nicht mehr.
Zur gleichen Zeit ändert Elon Musk seine politische Strategie. Er entwirft
einen Friedensplan, der Russland die Krim zuspricht und ein
UN-kontrolliertes Referendum über die eigene Zukunft in den von Russland
besetzten Gebieten vorsieht. Sein Plan entspricht in weiten Teilen
russischen Forderungen. Und das, während Hunderttausende Menschen in der
Ukraine von ihm und seinen Starlink-Satelliten abhängig sind. Elon Musk
erscheint als Herr über Krieg und Frieden.
Auch unter dem Eindruck von Musks Wankelmut startete die EU ein eigenes
Programm für satellitenbasiertes Internet: IRIS². Anvisierter Start: 2027.
Langfristige Finanzierung: unsicher. Geplante Flottengröße: unter 300.
Zum Vergleich: [11][Fast 8.000 aktive Starlink-Satelliten] befinden sich im
Juni 2025 auf den niedrigen Erdumlaufbahnen. Eine Flotte von mehr als
40.000 Satelliten ist in Planung.
China, als Weltraummacht relativ neu dabei, schoss die ersten Satelliten
für satellitenbasiertes Internet 2024 ins All. Amazon brachte seine ersten
54 Satelliten an den Start. Das Angebot OneWeb der Firma Eutelsat hat 648
Satelliten.
Es wird voll im All, besonders auf den niedrigen Erdumlaufbahnen. Und auf
den besten dieser Umlaufbahnen hat Musk sich bereits viel Platz gesichert.
Denn nicht alle Punkte im Weltall sind gleich wertvoll: Je näher der
Satellit an der Erde ist, desto schneller kommt das Signal an und desto
besser funktioniert das Internet.
US-Air-Force-Stratege Everett Dolman schrieb in einem Klassiker über
Geopolitik im Weltraum: „Wer die niedrigen Umlaufbahnen beherrscht,
kontrolliert den erdnahen Raum; wer den erdnahen Raum beherrscht,
kontrolliert die Erde. Wer die Erde beherrscht, bestimmt das Schicksal der
Menschheit.“
Wer den Weltraum kontrolliert, ist verantwortlich dafür, wie sehr er zur
Müllhalde wird
Das Weltall – unendliche Weiten? Nicht wirklich, wenn man genauer
hinschaut. Denn der für uns Menschen nutzbare Raum des Weltalls ist
überschaubar und wir sind auf einem guten Weg dahin, ihn vollzumüllen, so
wie wir es bereits mit Meeren und Flüssen auf der Erde getan haben. Was als
leerer, gleichförmiger Raum zwischen den Himmelskörpern erscheint, müssen
wir uns eher als abwechslungsreiche Landschaft vorstellen, durch die wir
Menschen ein dichtes Verkehrsnetz gezogen haben.
Je nach Strahlung und Anziehung entstehen Bahnen, in denen Raketen mehr
oder weniger Energie brauchen oder die Gravitation nutzen können, um an
weiter entfernte Orte zu kommen. An fünf Punkten im All hebt sich die
Anziehungskraft von Erde und Mond exakt auf, sodass Objekte dort bleiben,
ohne dass sie Treibstoff brauchen. Um solche Punkte könnte es Streit geben.
Genauso wie um die Autobahn, den sogenannten geosynchronen Orbit, kurz GEO,
in einer Höhe von etwa 36.000 Kilometern. Die Objekte dort drehen sich in
derselben Zeit einmal um die Erde, wie die Erde um sich selbst. Deshalb
erscheinen Objekte dort vom Erdboden als würden sie sich nicht bewegen, was
beispielsweise praktisch für die Ausrichtung von Satellitenantennen ist und
die Umlaufbahn sehr beliebt macht.
Wer von der Autobahn abfährt, kommt auf einen Parkplatz: Etwa 300 Kilometer
von GEO entfernt verbringen ausrangierte Satelliten ihren Lebensabend. Mit
letzter Kraft steuerten die Betreiber sie auf den kosmischen Parkplatz, wo
sie dann umherfliegen.
Etwa 800 Kilometer über der Erde schwebt ein [12][25 Meter großer und acht
Tonnen schwerer Koloss umher]. Der Umweltsatellit Envisat der europäischen
Weltraumbehörde ESA taumelt wie ein Betrunkener durchs All. Er funktioniert
nicht und er ist seit 2012 nicht mehr erreichbar. Auf seiner Höhe kann es
150 oder mehr Jahre dauern, bis ein Objekt in der Erdatmosphäre verglüht.
Satelliten wie Envisat gibt es viele. Die Zahl der inaktiven Satelliten
übersteigt die Zahl der aktiven dabei bei Weitem. Sie nutzen sich ab und
gehen irgendwann kaputt, genau wie Waschmaschinen oder Staubsauger.
Laut den Empfehlungen des Inter-Agency Space Debris Coordination Committee
sollen sie zwar nach spätestens 25 Jahren entsorgt sein, also in die
Atmosphäre eintreten und verglühen oder auf die Friedhofslaufbahn gebracht
werden. Doch: [13][Laut dem Weltraumumweltbericht 2025 der ESA] steigen auf
die niedrigen Erdumlaufbahnen mehr Satelliten auf, als entsorgt werden.
[14][Hinzu kommt der ganze andere Schrott]. Ausgebrannte Raketenstufen,
verlorene Werkzeuge, Farbpartikel oder kleine Metallteile. Laut der letzten
Schätzung der ESA werden im Jahr 2025 mehr als 1,2 Millionen Trümmerteile,
die kleiner als ein Zentimeter sind, um unsere Erde kreisen. Aufgrund ihrer
geringen Größe können sie von Radaranlagen und Teleskopen nicht erfasst
werden. Doch nicht genug. Die ESA beziffert die Anzahl der großen
Schrottteile, also jener Teile, die größer als 10 Zentimeter sind, auf über
40.000.
Die Teile fliegen schneller als Pistolenkugeln. Wenn zwei Schrottteile
kollidieren, entstehen Tausende neuer kleiner Schrottteilchen. Tatsächlich
sind zwei große Kollisionen in den Jahren 2007 und 2009 für einen großen
Teil des katalogisierten Weltraumschrotts verantwortlich.
Bei der ersten brachte China eine Rakete auf dieselbe Umlaufbahn wie ihren
Wettersatelliten und ließ die beiden absichtlich kollidieren, um den
Fortschritt der eigenen Raketentechnologie zu testen. Dabei entstand ein
riesiges Trümmerfeld. Am Ende des gleichen Jahres schwebten 2.000 größere
Objekte mehr im All.
Was daraus folgt, hat der amerikanische Astronom Donald Kessler zum ersten
Mal beschrieben: Je mehr Schrottteile es gibt, desto häufiger kommt es zu
zufälligen Kollisionen, aus denen wiederum neue Schrottteile entstehen, die
wiederum mit erhöhter Wahrscheinlichkeit miteinander kollidieren. Eine
kosmische Kettenreaktion.
Wenn das so weitergeht wie bisher, bedeutet es nicht nur die gestörte
Kommunikation wichtiger Satellitentechnik, sondern auch, dass es irgendwann
eine undurchdringbare Müllhalde auf einigen Erdumlaufbahnen geben könnte.
Wie ein gigantischer Teppich aus Schrott, in den wir uns einwickeln. Dabei
ist es eigentlich auch im Interesse der Betreiber, dass ihre Satelliten
nicht ausfallen.
Das gibt Hoffnung, dass es in diesem Fall doch langfristig anders läuft als
bei den ersten Astronauten. Denn dass wir gern Müll im All lassen, hat sich
schon mit der Mondlandung angekündigt. Die Apollo-Astronauten haben damals
nicht nur Fußspuren auf dem Mond hinterlassen, sondern auch 96 Säcke
Abfall. Bisher hat sie niemand wieder eingesammelt.
Wer kontrolliert die, die den Weltraum kontrollieren?
Lange Zeit galt der Weltraum als Musterbeispiel internationaler
Kooperation. Auf der ISS leben Astronaut:innen rivalisierender Länder
in einer WG zusammen, der amerikanische Politiker und ehemalige Astronaut
Bill Nelson glaubte sogar, dass der Weltraum es uns ermöglicht, ein
„planetarisches Bewusstsein“ zu entwickeln – immerhin sieht man von der
Internationalen Raumstation oder vom [15][Mond] die Erde als Ganzes. Er
schlug vor, große internationale Konferenzen von dort oben abzuhalten. Das
würde sich positiv auf die Verhandlungen auswirken.
[16][Tatsächlich gibt es viele Ideen für bessere Weltraumpolitik] und
Ansätze, wie zum Beispiel das Müllproblem gelöst werden könnte. So
behaupten die Wirtschaftswissenschaften, dass es mehr Anreize für
Unternehmen bräuchte, in die Trümmerbeseitigung zu investieren.
Jurist:innen meinen, es bräuchte eine Neuinterpretation der großen
Weltraumverträge, oder gar neue Verträge, um rechtlich bindende und
durchsetzbare Trümmerbeseitigungsziele zu schaffen. Fans technischer
Lösungsansätze wollen Technologien zur aktiven Trümmerbeseitigung und
Weltraumüberwachungssysteme verbessern. Und die
Politikwissenschaftler:innen schlagen vor, neue Institutionen zu
schaffen.
Antje Nötzold ist Mitherausgeberin des [17][ersten deutschsprachigen
Sammelbands zur Weltraumpolitik] seit mehr als 40 Jahren. Die
Internationale Fernmeldeunion, kurz ITU, wäre ihrer Meinung nach ein guter
Startpunkt, um zukünftigen Zugang zum Weltraum zu regeln. Bei der ITU
beantragen Mitgliedstaaten die Funkfrequenzbänder, die für die
Satellitenkommunikation zugewiesen sind. Das heißt: Ohne Zulassung keine
neuen Satelliten im All. Die ITU arbeitet dabei nach dem Prinzip: Wer
zuerst kommt, mahlt zuerst.
Der Zugang zum Weltraum steht prinzipiell jedoch allen offen. „Sollte also
nicht darüber nachgedacht werden, die Frequenzen zahlenmäßig
einzuschränken?“, fragt Nötzold. „Oder die Anteile unter allen Staaten
aufzuteilen?“ Ähnlich wie früher etwa bei Radio oder Fernsehfrequenzen
könnte man die Vergabe als Steuerungsinstrument nutzen. Damit weniger
Satelliten aufsteigen oder Monopole geschwächt werden.
Es klingt nach nicht viel, nach einem kleinen Schritt für die Menschheit.
Aber auch wenn die Zukunft der Erde mehr und mehr im Weltraum entschieden
wird, entscheidet sich die Zukunft des Weltraums immer noch auf der Erde.
Wem gehört das All? Im Moment noch niemandem und damit allen.
Darin steckt auch ein Ansatz, das Weltall zu betrachten. Den Begriff Global
Commons benutzen Politikwissenschaftler*innen für Ressourcen, zu
denen alle Staaten gleichermaßen Zugang haben. Globale Allgemeingüter – so
wie die Hohe See oder die Atmosphäre. Dinge, um die sich alle gemeinsam
kümmern müssen. Bisher sind diese Allgemeingüter alle auf der Erde. Aber
eigentlich müsste auch der erdnahe Weltraum dazu zählen.
Eine der wenigen Erfolgsgeschichten für den Umgang mit Global Commons ist
der Kampf gegen das Ozonloch. Ozon bildet für die Lebewesen auf der Erde
einen wichtigen Schutz, doch besonders Kühlmittel, FCKW, schädigten die
Schicht mehr und mehr. Mit dem Montreal-Protokoll von 1987 einigten sich
189 Staaten auf Regeln, um die Ozonschicht zu retten, etwa einen
schrittweisen Verzicht auf schädliche Chemikalien.
Wie man überhaupt das Ozonloch beweisen und handeln konnte? Die
entscheidenden Informationen kamen natürlich per Satellit. Aus dem Weltall.
12 Jul 2025
## LINKS
[1] https://data.worldbank.org/indicator/ny.gdp.mktp.cd
[2] https://www.springerprofessional.de/space-mining-goldrausch-im-all-eine-met…
[3] https://science.nasa.gov/mission/psyche/
[4] /Umweltfolgenforscher-ueber-Tiefseebergbau/!5929507
[5] https://www.evona.com/blog/what-is-asteroid-mining/
[6] https://www.kiss.caltech.edu/final_reports/Asteroid_final_report.pdf
[7] https://www.springerprofessional.de/space-mining-goldrausch-im-all-eine-met…
[8] https://ts2.tech/de/globaler-bericht-zur-satelliten-und-raumfahrtindustrie-…
[9] https://digitallibrary.un.org/record/3934709?v=pdf
[10] https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/13540661241260653
[11] https://planet4589.org/space/con/star/stats.html
[12] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-42602-6_22
[13] https://www.esa.int/Space_Safety/Space_Debris/ESA_Space_Environment_Report…
[14] /Gefahr-durch-Muell-im-Weltall-Antworten-zu-den-wichtigsten-Fragen/!6075080
[15] /Buero-fuer-planetare-Verteidigung/!6077260
[16] https://www.researchgate.net/publication/379886230_Weltraumschrott_als_Umw…
[17] https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-42602-6
## AUTOREN
Enno Schöningh
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