# taz.de -- Astronomin über Weltraumpolitik: „Wie im Wilden Westen“ | |
> Tech-CEOs und Großmächte treiben die Raumfahrt voran – und machen | |
> dieselben Fehler wie auf der Erde. Ein Gespräch über Alternativen zur | |
> Vermüllung. | |
Bild: Wer Macht hat, macht mit: Der Erdorbit ist schon jetzt voller Satelliten … | |
taz: Etwa 13.000 Satelliten umkreisen die Erde, sie tragen zur Aufhellung | |
des Nachthimmels bei. [1][Eine ungetrübte Sicht ins All gibt es nicht | |
mehr]. Wie wirkt sich das auf die Forschung aus? | |
Aparna Venkatesan: Mit der zunehmenden Anzahl an Satelliten in der | |
niedrigen Erdumlaufbahn erscheinen immer mehr reflektierende Geräte am | |
Himmel. Diese kurzen Lichtblitze und Streifen beeinflussen die Messung | |
kosmischer Phänomene. Außerdem kommt es insgesamt zu einer Aufhellung des | |
Himmels durch die schiere Menge leuchtender Punkte. Es gibt aber auch eine | |
ökologische Komponente. Umweltzerstörung findet an den Startplätzen statt, | |
in der Umlaufbahn und [2][wenn Satelliten in der Atmosphäre verglühen]. | |
Vielleicht fühlen wir Stolz, wenn wir eine Satellitenkette aufsteigen sehen | |
und mit ihr all das Potenzial: schnelles Internet, globale Kommunikation, | |
Daten für die Klimaforschung. Aber ganze Ökosysteme haben sich über | |
Jahrtausende an den Rhythmus von Licht und Dunkelheit gewöhnt. So schnell | |
können sie das nicht umstellen. | |
taz: Zahlreiche Lebewesen verlassen sich auf die Sterne. Auch polynesischen | |
Seefahrer*innen dienten sie schon vor Tausenden von Jahren als | |
Leuchttürme, als sie ihre Boote über den nächtlichen Pazifik steuerten. | |
Doch schon jetzt haben die meisten Menschen keinen Zugang mehr zum dunklen | |
Nachthimmel. Was bedeutet dieser Verlust? | |
Venkatesan: Für mich trägt der Himmel alle menschlichen Identitäten in | |
sich, egal, ob wir Wissenschaftler*innen, Künstler*innen oder | |
Umweltschützer*innen sind. Der Himmel ist wie ein übergeordnetes | |
Sammelbecken, in dem all das Platz findet. Dass heute fast niemand mehr | |
dunkle Sternenhimmel oder die Milchstraße sehen kann, bereitet mir Sorgen. | |
Denn wir schützen und schätzen nur das, was wir kennen. Wenn wir den | |
Himmel, den die Menschheit über Jahrtausende gekannt hat, nicht mehr | |
erleben – wie sollen wir dann den Geschichtenerzähler*innen und | |
Wissenschaftler*innen von morgen zeigen, was wir einst hatten? Das ist | |
keine bloße Nostalgie nach einer vergangenen Zeit. Der Himmel war einst | |
unser natürlicher Referenzrahmen, etwas, an das wir uns biologisch, | |
kulturell und spirituell angepasst haben. Das will ich verteidigen. Ich | |
halte es für ein zentrales menschliches und ökologisches Recht. | |
taz: Die Erforschung des Weltraums ist mit hohen Emissionen verbunden, von | |
deren Folgen indigene Gemeinschaften deutlich stärker betroffen sind als | |
der Rest der globalen Bevölkerung. Auch für den Bau von Raketenstartplätzen | |
müssen teils indigene Gemeinschaften weichen. Welche Rolle spielt die | |
Raumfahrt in der Fortsetzung globaler Ungerechtigkeiten? | |
Venkatesan: Wir exportieren nicht nur Raketen ins All, sondern auch unsere | |
Weltanschauungen, Rechtssysteme und politische Strukturen. Vieles davon hat | |
bereits auf der Erde versagt, insbesondere gegenüber indigenen Völkern. | |
Hier eröffnet sich ein weitgehend unbearbeitetes Feld: die Rolle indigener | |
Rechte im Weltraum. Viele Raumfahrtnationen, die heute Raketen starten, | |
haben Verträge mit indigenen Bevölkerungen und schulden ihnen Anteile an | |
den Gewinnen aus dem Rohstoffabbau auf der Erde. Was bedeutet das für den | |
Abbau von Ressourcen im All? Viele indigene Perspektiven betrachten Erde | |
und Himmel nicht als getrennte Bereiche, sondern als Kontinuum – im | |
Gegensatz zum westlichen Denken, das komplexe Dinge in isolierte | |
Einzelteile zerlegt. Diese Art der Umweltverantwortung ist Teil eines | |
größeren Verständnisses: Wir gehören zur Umwelt, sie gehört uns nicht. | |
Tech-Konzerne [3][warnen ständig vor der Auslöschung der Menschheit], um | |
sich selbst als Retter zu inszenieren. Elon Musk träumt von der Besiedlung | |
des Mars. Popsängerin Katy Perry ließ sich kürzlich in einer Rakete des | |
Tech-Milliardärs Jeff Bezos [4][ins All befördern]. Manche bezeichnen den | |
Weltraum bereits als „Spielplatz für Milliardäre“. | |
Venkatesan: Es ist wie im Wilden Westen. Und noch dazu eine gefährliche | |
Ausweitung kolonialer Praktiken auf ein kosmisches Level: Die Annahme, dass | |
da draußen niemand ist, dass der Raum da ist, um erobert zu werden, das | |
kennen wir schon von der Unterwerfung anderer Kontinente durch europäische | |
Staaten. Das All wird im Kontext von Nutzen betrachtet – für all jene, die | |
Anspruch erheben. Dabei sehen viele Wissenschaftler*innen das Weltall | |
als globales Gemeingut. Es gehört niemandem. | |
In seiner „Mondrede“ 1962 erklärte John F. Kennedy: „Keine Nation, die | |
erwartet, die Führung anderer Nationen zu übernehmen, kann erwarten, im | |
Wettlauf um den Weltraum zurückzubleiben.“ Donald Trump verkündete 2024: | |
„Wir werden die Welt im Weltraum anführen und den Mars noch vor dem Ende | |
meiner Amtszeit erreichen.“ Woher kommt dieser zeitliche Druck? | |
Venkatesan: (lacht) Ja, wozu die Eile? Der Mond war immer unser Begleiter | |
und in vielen kulturellen Vorstellungen auch unser Ahne. Die | |
Māori-Wissenschaftlerin Linda Tuhiwai Smith bezeichnet das als | |
„konstruierte Dringlichkeit“ kolonialer Systeme. Wir müssen jetzt dorthin. | |
Als Erste. Ich sehe darin einen Ausdruck des westlichen linearen | |
Zeitverständnisses: Anfang, Mitte, Ende, alles in klarer Reihenfolge. Unser | |
Handeln wird nicht durch ein Modell verantwortungsvoller Fürsorge | |
angetrieben, sondern durch die Angst, nicht die Ersten zu sein. Das nimmt | |
uns die Möglichkeit, Zeit zyklisch zu betrachten, wie es viele indigene | |
Perspektiven tun. Es wird immer Anfänge und Enden geben. Zeit ist in diesem | |
Verständnis etwas, das durch uns hindurchfließt und an das wir uns nicht | |
krampfhaft klammern müssen. Dieses Ringen darum, als Erste irgendwo zu | |
sein, um es im Namen von irgendwem zu beanspruchen, ist koloniales Denken. | |
Dabei ist das „Ich bin ein Entdecker“-Narrativ nicht nur etwas für | |
Tech-CEOs. Es ist etwas zutiefst Menschliches. Wir sind immer neugierig | |
gewesen. | |
Viele Historiker*innen betrachten die Astronomie als die älteste | |
Wissenschaft der Welt. | |
Venkatesan: Die Tiefe an Wissen, die sich in den Himmelsbeobachtungen über | |
verschiedene Breitengrade hinweg zeigt, ist atemberaubend. Auf der | |
Südhalbkugel ist der Nachthimmel detailreich, so sehr, dass viele Kulturen | |
dort nicht Sternbilder benennen, sondern die dunklen Muster zwischen den | |
Sternen, die wiederum nach der lokalen Flora und Fauna benannt sind. | |
Kosmische Muster und Rhythmen prägen Weltbilder und das Zeitgefühl ganzer | |
Kulturen. Ich glaube aber, in einer Zeit, in der Wissenschaft zunehmend | |
ignoriert und sogar lächerlich gemacht wird, wird es eine Weile dauern, bis | |
wir uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen: Wie schaffen wir es, ein | |
verantwortungsvolles Modell der Weltraumforschung zu entwickeln? | |
Wie könnte ein solches Modell aussehen? | |
Venkatesan: Die Antarktis ist ein hervorragendes Beispiel eines globalen | |
Gemeinguts: ein geschützter Raum, der keiner Nation gehört, aber von vielen | |
gemeinsam betreut wird. Enge wissenschaftliche Zusammenarbeit, keine | |
territoriale Beanspruchung, keine Ausbeutung. Dem gegenüber steht ihr | |
Gegenpol: die Arktis. Dort dominieren ausbeuterische Interessen. Ob es um | |
Grönland geht, oder um neue Passagen und Landflächen – der | |
profitorientierte Zugang ist da und wird sich durch den Klimawandel weiter | |
beschleunigen. Dieses Muster sehen wir auch im Weltraum, den gleichen | |
Drang, zu beanspruchen, zu profitieren, zu kontrollieren. Deshalb finde | |
ich, wir sollten diese beiden Pole im Blick behalten. Wenn wir nach | |
zukunftsfähigen Modellen suchen, wie wir mit dem Weltraum umgehen, dann | |
sollten wir von dem lernen, was bereits auf der Erde funktioniert. | |
Es gibt den sogenannten Weltraumvertrag, der vor über 50 Jahren von einem | |
UN-Komitee ausgehandelt und von mehr als 100 Staaten ratifiziert wurde. Er | |
bildet die Grundlage für die friedliche Erforschung des Weltraums. | |
Venkatesan: Der Weltraumvertrag ist das beste internationale Regelwerk, das | |
wir derzeit für die Verwaltung des Weltraums und die friedliche Erforschung | |
des Alls durch verschiedene Raumfahrtnationen haben. Wenn es uns gelänge, | |
uns zumindest an die darin formulierten Grundprinzipien zu halten, wäre das | |
ein großer Schritt. Der Vertrag ist aber ein Kind seiner Zeit. Er basierte | |
auf der Annahme, dass Nationalstaaten im All friedlich zusammenarbeiten | |
würden. Was er nicht antizipierte, ist die inzwischen übergroße Rolle | |
privater Weltraum-Akteur*innen. Er ging davon aus, dass Regierungen | |
Verträge schließen, sich an sie halten und einander zur Rechenschaft | |
ziehen. Doch wie soll das gehen, wenn nun private Konzerne und | |
milliardenschwere CEOs zunehmend das Sagen haben? | |
13 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Gefahr-durch-Muell-im-Weltall-Antworten-zu-den-wichtigsten-Fragen/!6075080 | |
[2] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!6066713 | |
[3] https://www.nytimes.com/2021/11/04/opinion/elon-musk-capitalism.html | |
[4] /Katy-Perry-im-Weltraum/!6079279 | |
## AUTOREN | |
Sophie Tiedemann | |
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