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# taz.de -- Gender Health Gap: Tee statt Antibiotikum? Danke für nichts!
> Unsere Autorin wurde im Behandlungszimmer nicht ernst genommen. Frauen
> erleben das immer wieder – und zahlen mit ihrer Gesundheit.
Bild: Gerade bei Behandlungen, die unmittelbar mit dem Geschlecht zu tun haben,…
Wenn ich mal wieder krank bin, dann halte ich das erst mal aus. Lange. Zu
lange. Denn ich hasse es, zum Arzt zu gehen. Meine Freunde werden dann
wütend, nennen mich unvernünftig. Aber das bin ich nicht – ich bin
realistisch. Ich habe früh gelernt: Ärzt:innen helfen mir nicht.
Ich war zwölf, als ich mir auf der Klassenfahrt im Harz beim
Schlittenfahren den Fuß verletzte. Ich versuchte, tapfer zu wirken, die
Tränen liefen trotzdem. „Heul nicht so rum!“, schimpfte mein Lehrer. Erst
am nächsten Tag fuhr er mich zum Dorfarzt. Der röntgte nicht mal. Mit Blick
auf meinen geschwollenen Fuß sagte er: „Du hast nichts. Warum humpelst du
so?“
Am nächsten Tag musste ich mit ins Schwimmbad. Als die Bademeisterin mich
sah, bestand sie darauf, mich ins Krankenhaus zu schicken. Das Ergebnis der
Untersuchung: drei gebrochene Fußknochen. Bis heute habe ich Schmerzen und
humple ein bisschen.
Wäre der Fuß besser verheilt, wenn er gleich geschient worden wäre? Hätte
man mir geglaubt, wäre ich kein Mädchen gewesen? Mit dieser Erfahrung bei
Arztbesuchen bin ich nicht allein. 87 Prozent der Frauen zwischen 16 und 30
Jahren fühlen sich laut [1][einer Umfrage] aus diesem Jahr von Ärzt:innen
nicht ernst genommen.
## Keine Behandlung, monatelange Schmerzen
Suchen wir bei Schmerzen Hilfe, werden wir hingehalten: Frauen [2][warten
länger in Notaufnahmen, bekommen weniger oft Schmerzmittel verabreicht],
kriegen bei physischen Beschwerden überdurchschnittlich oft Psychopharmaka
verschrieben und [3][werden im Fall von Krebs tendenziell zu spät
behandelt].
Vergangenes Jahr kämpfte ich monatelang mit einer [4][Blasenentzündung].
Auf den Hausarzttermin bereitete ich mich akribisch vor. Ich recherchierte
im Netz und in meinem Umfeld, las die Apotheken Umschau, notierte mir all
meine Fragen. Als ich die Hausärztin dann nach einem passenden Antibiotikum
und den dafür notwendigen Test fragte, wies sie mich ab mit den Worten:
„Brauchen Sie nicht. Probieren Sie es mal mit einem Tee.“
In der Folge hatte ich monatelang immer wieder Nierenschmerzen, Übelkeit,
hielt ständig Ausschau nach der nächsten Toilette. Eine Zeit, in der ich
Feierabendbiere mit meinen Freundinnen verpasste. In der ich an vielen
Tagen im Homeoffice bleiben musste, mit Wärmflasche auf dem Bauch. Der
Campingtrip: abgesagt.
Erst die dritte Ärztin, vor der ich aus lauter Erschöpfung in Tränen
ausbreche, machte den von mir geforderten Test und verschrieb das passende
Antibiotikum. Fünf Tage später war die Entzündung weg. Und wieder frage ich
mich: Hätte ich früher die richtige Behandlung bekommen, hätte ich keine
„Frauenkrankheit“ gehabt?
## Gender Health Gap kann Frauen das Leben kosten
Und selbst wenn Ärzt:innen unser Leiden anerkennen, können sie uns oft
nicht helfen. Viele für Frauen typische Krankheiten sind schlecht
erforscht, genauso die Wirkung von Medikamenten auf unsere Körper. Das ist
kein Zufall, sondern hat System in einer Welt, die weiblichen Schmerz nicht
ernst nimmt. [5][Gender Health Gap] nennt sich dieses Phänomen.
„Die Betäubung wirkt bei Frauen irgendwie manchmal nicht so zuverlässig“,
höre ich noch heute meinen Arzt sagen, während er mir unter Schmerzen den
Weisheitszahn aus dem Kiefer zieht. Absurd, wenn man bedenkt, dass unsere
Körper über die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen.
Die Erfahrung, lange krank zu sein und keine Hilfe zu bekommen, häuft sich
in meinem Umfeld. Bei meiner Mitbewohnerin: [6][Endometriose]. Bei meiner
Freundin: ein zu spät behandelter Tumor in der Schulter. Ob wir nun krank
sind, weil wir Frauen sind, oder nicht geheilt werden, weil wir Frauen
sind: Wir sind noch keine 30 und fühlen uns wie eine Gruppe Rentnerinnen.
Der Gender Health Gap kostet uns im allerschlimmsten Fall das Leben, in
jedem Fall aber unsere Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe. Und
manchmal raubt er uns die Kraft, weiter für das zu kämpfen, was
selbstverständlich sein sollte: dass unsere Schmerzen ernst genommen und
unsere Krankheiten endlich erforscht werden.
7 Jul 2025
## LINKS
[1] https://newsroom.hansemerkur.de/gesundheit/umfrage-mehrheit-der-frauen-fueh…
[2] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5845507/
[3] https://www.geo.de/wissen/gesundheit/krebsmedizin--frauen-sind-bei-vorsorge…
[4] https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/krebs/fatale-fehldiagnosen-blasenk…
[5] /Geschlechtersensible-Forschung/!5969913
[6] /Diagnose-von-Endometriose/!5987054
## AUTOREN
Josefine Rein
## TAGS
Kolumne Starke Gefühle
Gesundheit
Medizin
Gender
Weiblichkeit
Ärztemangel
Gender
Frauenkörper
Kolumne Krank und Schein
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