# taz.de -- SPD-Parteitag: Mund abputzen. Weitermachen | |
> Parteichef Klingbeil bekommt bei seiner Wiederwahl nur 65 Prozent. Danach | |
> bemüht sich die SPD um Harmonie – gegen mehr Frieden und für ein | |
> AfD-Verbot. | |
Bild: Ob Koffein da reicht? Lars Klingbeil und Bärbel Bas beim Parteitag | |
Berlin taz | Lars Klingbeil ist 1,96 Meter und damit häufig der Größte. | |
Freitagnacht nicht. Der SPD-Chef steht eingerahmt zwischen dem hünenhaften | |
rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer und dem | |
schlaksigen Parlamentarischen Geschäftsführer Dirk Wiese auf einer kleinen | |
Bühne in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin-Mitte. Und er | |
ist tatsächlich einen halben Kopf kleiner als die beiden. Das passt ins | |
Bild. | |
[1][Klingbeil ist gerade auf dem Parteitag der SPD mit knapp 65 Prozent | |
wiedergewählt worden. Bärbel Bas, die Co-Chefin, bekam 30 Prozentpunkte | |
mehr.] Noch nie wurde ein sozialdemokratischer Parteivorsitzender ohne | |
Gegenkandidat mit weniger Rückhalt ins Amt geschickt. | |
Als Klingbeil danach zum Parteiabend des Seeheimer Kreises, der | |
konservativen Parteiströmung, kommt, ist ihm der Nackenschlag immer noch | |
anzumerken. „Viele von Euch fragen sich jetzt, wie geht’s dem Jungen | |
eigentlich“, sagt Klingbeil. Er ist selbst Seeheimer. „Na ja, ist schon ok. | |
Wirklich.“ Er habe ja den einen oder anderen in eine Situation gebracht, | |
mit der die Personen nicht „happy“ seien. „Ich war ein bisschen der | |
Blitzableiter.“ | |
Schweitzer schnappt sich das Mikrofon. „Manchmal braucht eine Partei auch | |
einen kurzen masochistischen Moment“, sagt er und wendet sich an Klingbeil. | |
Klar, die 65 Prozent seien ein schwieriges Ergebnis. Aber jetzt gelte das | |
Motto: Mund abputzen, weitermachen. | |
## Verstörend gleichbleibende Munterkeit | |
Bis zu diesem Parteitag ist in der Tat einiges zusammengekommen. Das | |
historische schlechte Wahlergebnis, die ungeliebte, aber alternativlose | |
Koalition mit der Union, der Koalitionsvertrag, der viele eigentlich | |
unverdauliche Brocken enthält und schließlich Klingbeils vorsichtig gesagt | |
resolute Personalpolitik. | |
Das sind jedenfalls die Faktoren, die genannt werden, wenn man sich auf dem | |
Parteitag umhört. Es war keine Kampagne gegen den Parteichef, kein | |
organisierter Aufstand. Die knapp 65 Prozent sind Ausdruck der Enttäuschung | |
der Partei über die Niederlage bei der Bundestagswahl. Und auch Kritik an | |
Klingbeil, der mit verstörend gleichbleibenden Munterkeit immer | |
weitermacht. | |
In seiner Rede gestand er Fehler ein, allerdings äußerst vage. Und er | |
versuchte den Eindruck zu zerstreuen, die Niederlage der SPD genutzt zu | |
haben, um sich als neues Machtzentrum zu etablieren. Nach dem miserablen | |
Ergebnis der Bundestagswahl habe er zwei Möglichkeiten gesehen: „Entweder | |
ich höre auf oder ich gehe voll in die Verantwortung.“ Das war, jedenfalls | |
für ein Drittel der Delegierten, zu wenig Demut. | |
Ist der Denkzettel für den machtbewussten Vizekanzler Klingbeil nur ein | |
schnell vergessenes Stimmungsbild? Mund abputzen, weitermachen wie bisher? | |
Nicht ganz. Denn Bärbel Bas, die Co-Chefin, ist machtpolitisch ein anderes | |
Kaliber als Saskia Esken. Die Macht-Hierarchie zwischen Klingbeil (wichtig) | |
und Esken (nicht so wichtig) war immer klar. Esken, die sich sehr emotional | |
von Olaf Scholz („Du warst mein Kanzler“) verabschiedete, war als | |
Parteichefin oft Kanzler-Erklärerin. Bas, die selbstbewusste | |
Arbeitsministerin und Parteilinke, wird keine Vizekanzler-Erklärerin | |
werden. Bisher schien Klingbeil das einzige Machtzentrum der SPD zu sein, | |
auch der einzige denkbare Kanzlerkandidat 2029. Das ist jetzt zumindest | |
offen. | |
Auf dem Parteitag attackierte Bas Richtung Union den „Klassenkampf von | |
oben“ und den Sexismus in der Politik. Und damit auch die SPD. Die Partei | |
sei mit den beiden einzigen SPD-Chefinnen in 162 Jahren, Andrea Nahles und | |
Saskia Esken, nicht sonderlich fair umgegangen. Damit sprach sie den | |
GenossInnen aus dem Herzen. | |
## Selbst Klingbeil schien erschrocken | |
Tim Klüssendorf ist mit 90 Prozent der Stimmen zum neuen Generalsekretär | |
gewählt worden. Auf dem letzten Parteitag galt der 33-Jährige noch als | |
„Rebell“, nun ist er dessen oberster Manager. Die Härte des Jobs ist ihm am | |
Sonntagmorgen anzumerken: Er sieht ein bisschen müde aus, trotz der | |
Schminke für den nächsten Fernsehauftritt. Das Ergebnis für Klingbeil | |
kommentiert der Parteilinke jedoch gelassen: „Ich glaube nicht, dass da was | |
hängen bleibt. Die Genossinnen und Genossen wollen jetzt nach vorn | |
schauen.“ | |
Selbst die Jusos, die Klingbeil auf dem Parteitag am härtesten angingen, | |
schienen ein bisschen erschrocken über den Affront gegen den Chef. | |
Juso-Chef Philipp Türmer verzieht ein wenig das Gesicht, wenn man ihn | |
darauf anspricht. Und will, wie Klüssendorf, nach vorn schauen. | |
Dort wartet die Arbeit am neuen Grundsatzprogramm. Das soll bringen, was | |
auf diesem Parteitag echte Mangelware ist – zündende, einleuchtende Ideen, | |
warum es die Sozialdemokratie geben muss. [2][Ex-Kanzler Olaf Scholz hatte | |
nicht nur versprochen, „ein ehemaliger Kanzler zu sein, über den sich die | |
SPD immer freut“] – also kein Gerhard Schröder Nummer 2. Scholz hatte auch | |
eine Sozialdemokratie beschworen, die für normale Leute ohne akademischen | |
Abschluss da ist, und die auf Respekt und Hoffnung auf eine bessere Zukunft | |
setzt. Nur so sei der Rechtspopulismus zu bekämpfen. Dass Scholz, der Mann | |
von gestern, die programmatisch vielleicht stärkste Rede hielt, sprach auch | |
Bände. | |
Aufbruchvibes habe er auf dem Parteitag nicht gespürt, sagt Türmer am | |
Sonntag. Der Juso-Chef hofft auf „neue Ideen für eine solidarische | |
Flüchtlingspolitik und echte Verteilungsgerechtigkeit“, so Türmer zur taz. | |
Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil, der die Debatte um das letzte | |
Grundsatzprogramm 2008 organisiert hatte, warnt die SPD schon vorab vor zu | |
viel Selbstbezüglichkeit. Beim Grundsatzprogramm müsse man die Diskussion | |
in die Gesellschaft öffnen. „Wir sind zu langweilig, liebe Genossinnen und | |
Genossen“, so Heil. Ein Satz, der bemerkenswert viel Beifall bekam. | |
Direkter Streit? Ringen um den Kurs? Angriffe auf Schuldige an der | |
Wahlniederlage? All das gab es nicht, oder zumindest nur am Rande. Nur bei | |
einem Thema wurde mit offenem Visier gekämpft: Ist die SPD Friedenspartei | |
in der Tradition von Egon Bahr, die Deals mit Moskau groß anvisiert? | |
[3][Oder die Partei der größten Aufrüstung seit Jahrzehnten, inklusive | |
Wiederaufnahme der Wehrpflicht?] | |
Ralf Stegner, Unterstützer des Manifests, plädierte für Unterstützung der | |
Ukraine mit Waffen, aber kritisierte die „wahnsinnige Aufrüstung“. | |
Verteidigungsminister Boris Pistorius antwortete umgehend. Putin sei ein | |
Imperialist, der „nicht verhandeln und keinen Frieden will“. Deshalb könne | |
man mit Moskau nicht ernsthaft „über Frieden und Abrüstung reden“. Das | |
waren die bekannten Argumente aus der hitzigen Debatte um das Manifest. Der | |
Parteitag zeigte recht eindeutig, wie die Mehrheitsverhältnisse in der SPD | |
sind. Die Kritik an Stegner überwog deutlich. Der Ex-Fraktionschef und | |
Außenpolitiker Rolf Mützenich, der Kopf hinter dem Manifest, war nicht zum | |
Parteitag gekommen. | |
## Sieben Stunden um einen Kompromiss gerungen | |
Parteichef Klingbeil hatte nach dem Überfall auf die Ukraine 2022 die SPD | |
auf einen neuen Kurs gebracht. Es gehe um Sicherheit vor Russland, nicht | |
mehr um Sicherheit mit Russland. Im Manifest ist die Rede davon, Berlin | |
müsse perspektivisch zu Sicherheit mit Moskau zurückkehren. Klingbeil und | |
Pistorius haben in dieser Frage die Partei, jedenfalls die Delegierten, | |
hinter sich. In der Debatte argumentierten auffällig viele jüngere | |
GenossInnen gegen das Manifest. | |
Das zweite kontroverse Thema war die Wehrpflicht. Die Union will die | |
Aussetzung der Wehrpflicht sofort beenden. Die Jusos wollten die SPD per | |
Initiativantrag auf ein Nein zum Zwangsdienst festlegen. Das wiederum ging | |
Minister Pistorius zu weit. Der setzt auf Freiwilligkeit, will sich aber, | |
falls diese Konzept scheitert, die Tür offen lassen, die die Jusos | |
verriegeln wollen. Sieben Stunden wurde hinter den Kulissen um einen | |
Kompromiss gerungen. Die SPD bekennt sich nun zu einem Wehrdienst, „der auf | |
Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell | |
orientiert“. Die Tür zur Wehrpflicht aber bleibt offen: Man müsse | |
„reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage dies erfordert“. | |
Die Dramaturgie des Parteitages verlief in klassischen Bahnen. Vom Konflikt | |
zur Versöhnung. Erst das Drama um Klingbeil, dann überschaubarer Dissens | |
bei Frieden, Rüstung, Wehrpflicht, um am Sonntag in schönste Einigkeit zu | |
münden. Die SPD fordert ein AfD-Verbotsverfahren, das es sofort | |
vorzubereiten gelte. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Materialien für | |
ein AfD-Verbot sammeln, das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht soll | |
„unverzüglich“ folgen. | |
Klingbeil warf der Union bei diesem Thema eine zögerliche Haltung vor. „In | |
dem Moment, wo der Verfassungsschutz sagt, dass es eine rechtsextreme | |
Partei ist, darf es kein Taktieren mehr geben.“ Das war einer der ganz | |
wenigen Sätze, in denen Klingbeil den Koalitionspartner erwähnte. | |
## Wehret den Anfängen | |
Der Kampf gegen rechts ist für viele SozialdemokratInnen immer noch | |
die erste Bürgerpflicht – die Debatte ist von Feierlichkeit getragen, | |
gespickt mit Referenzen an SPD-Altvordere wie Carlo Schmid und Otto Wels, | |
die sich dem Kampf gegen den Nationalsozialismus verschrieben hatten. | |
Der Tenor lautet: Wehret den Anfängen. Die AfD habe „erst damit begonnen, | |
die Demokratie zu beseitigen“, warnte Thüringens Innenminister Georg Maier. | |
„Wenn wir es nicht schaffen, diesen Antrag innerhalb der nächsten vier | |
Jahre zu stellen, sieht es düster aus“, sagte die Bundestagsabgeordnete | |
Carmen Wegge. | |
Etwas anders klang Henning Homann. Sachsens SPD-Chef störte die Euphorie im | |
Saal: „Hier geht es nicht um antifaschistische Folkore.“ Für den Antrag | |
votierte Homann dennoch: Ein Verbotsverfahren sei „vielleicht unsere letzte | |
Chance, die Demokratie zu retten“. | |
30 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Sönke Gorgos | |
Anna Lehmann | |
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