| # taz.de -- Mit Rollstuhl in der Berliner S-Bahn: Nach Sturm zurückgelassen | |
| > Stundenlang musste ein Rollstuhlfahrer am Montag am Bahnhof Yorckstraße | |
| > ausharren, weil es dort keinen Aufzug gab – und mutmaßlich kein | |
| > Hilfskonzept. | |
| Bild: Schnell mal den Bahnsteig verlassen – das können nicht alle | |
| Berlin taz | Als am Montagabend Orkanböen durch Berlin pflügten und für | |
| Zerstörungen sorgten, war Edwin Greve gerade mit der S-Bahn unterwegs. Beim | |
| Halt auf dem Bahnhof Yorckstraße war plötzlich Schluss: „Die Bahn blieb | |
| stehen, alle wurden über Lautsprecher gebeten, auszusteigen und für die | |
| Weiterfahrt die BVG zu nutzen“, so schildert es der Referent für | |
| Antidiskriminierung beim Berliner Migrationsrat der taz. Das Unternehmen | |
| hatte entschieden, zur Sicherheit den gesamten S-Bahn-Betrieb einzustellen. | |
| Erst am Dienstagmorgen fuhren wieder alle Linien. | |
| Auch Greve wollte sich auf den Weg zum U-Bahnhof machen – bis er entdeckte, | |
| dass es gar keinen Fahrstuhl gab, der ihn und seinen 120 Kilo schweren | |
| E-Rollstuhl nach unten hätte bringen können. Er blieb zurück auf dem | |
| Bahnsteig. Der Fahrer der Bahn war ratlos und fragte bei der Leitstelle | |
| nach, aber die wusste auch nicht zu helfen. „Es gab schlicht und einfach | |
| keine Lösung. Ich solle einfach warten, hieß es“, sagt Greve. Das Warten | |
| wurde schier endlos: Erst nach vier Stunden nahm ihn die Bahn einen Halt | |
| bis Südkreuz mit. | |
| Das war es aber noch nicht gewesen. „Dort auf dem unteren S-Bahn-Steig | |
| funktionierte der Fahrstuhl nicht“, berichtet Greve. Sein einziges Glück: | |
| Er hatte am Bahnhof Yorckstraße einen Mitarbeiter des Technischen | |
| Hilfswerks getroffen, der privat unterwegs war und sich entschloss zu | |
| assistieren. Mit seiner Hilfe und der Unterstützung eines Bundespolizisten | |
| fuhr Greve schließlich auf die Rolltreppe, um nach oben zu gelangen. „Die | |
| beiden mussten sich mit ihrem vollen Körpergewicht gegen den Rollstuhl | |
| stemmen.“ | |
| Am Ende kam Greve mit sechs Stunden Verspätung nach Hause. Er hätte es ohne | |
| die Möglichkeit, eine Toilette aufzusuchen, auch nicht viel länger | |
| ausgehalten, sagt er. Auch die Feuerwehr hatte er zwischenzeitlich versucht | |
| zu rufen, die verwies auf den Fahrdienst WirMobil, der aber auch nicht | |
| helfen konnte. | |
| In der gesamten Situation habe er völlige Konzeptlosigkeit erlebt, so | |
| Greve. Er mache den S-Bahn-MitarbeiterInnen keinen persönlichen Vorwurf – | |
| es handele es sich offensichtlich um ein strukturelles Problem, das am Ende | |
| nur durch Improvisation gelöst wurde, zum Glück, ohne dass jemand zu | |
| Schaden kam. | |
| ## S-Bahn bittet um Entschuldigung | |
| Auf Anfrage der taz teilt die S-Bahn Berlin GmbH mit, es sei dem | |
| Unternehmen „leider aufgrund der Ausnahmesituation nach dem Unwetter nicht | |
| möglich gewesen, eine Traghilfe zu organisieren“. Man bitte „ausdrücklich | |
| um Entschuldigung“, so ein Sprecher. | |
| Generell sei man aber nicht unvorbereitet: Die Bahn führe regelmäßig | |
| Evakuierungsübungen durch, erst im April habe eine solche am S-Bahnhof | |
| Potsdamer Platz stattgefunden, auch mit einem Rollstuhlfahrer als | |
| Komparsen. Und: „Bei der Evakuierung mobilitätseingeschränkter Reisender | |
| werden immer Rettungskräfte hinzugezogen, die genau dafür ausgebildet | |
| sind.“ Im konkreten Fall am Montag fehlte das Notfallwissen offenbar – oder | |
| hielt man Greves Lage nicht für schlimm genug, um einzugreifen? | |
| Die stellvertretende Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, | |
| Heike Schwarz-Weineck, sieht angesichts des Sturms „höhere Gewalt“ im | |
| Spiel, „da kann auch eine S-Bahn so schnell nichts machen“. Darüber hinaus | |
| habe das Land auch keinen direkten Einfluss auf das private Unternehmen. | |
| Das Thema E-Rollstühle habe man aber im Blick und versuche, den | |
| Bundesbeauftragten in die Spur zu schicken. Die schweren Rollstühle würden | |
| nämlich nach aktueller Rechtslage in Rettungssituationen von Feuerwehr oder | |
| Polizei stehengelassen. | |
| ## Ein Fall für das AGG | |
| Auch der Vorsitzende des Berliner Behindertenverbands, Felix Tautz, hat | |
| sich den Vorfall von Edwin Greve schildern lassen. Er als Jurist kommt zu | |
| einer anderen Einschätzung. Die unterbliebene Hilfe sei nicht nur moralisch | |
| inakzeptabel, vielmehr seien hier Rechte des Betroffenen berührt. Nach dem | |
| [1][Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)] müsse diskriminierendes | |
| Verhalten unterlassen werden: „Auch wenn die S-Bahn nicht für die Umstände | |
| verantwortlich war, muss es für solche Fälle ein Konzept oder Regelwerk | |
| geben, die Mitarbeiter müssen entsprechend geschult sein und im | |
| Zweifelsfall Hilfe durch Dritte anfordern.“ | |
| Tautz vergleicht Greves Situation mit der von Reisenden, deren Zug auf | |
| offener Strecke evakuiert werde und die das auch nicht ohne fremde Hilfe | |
| bewältigen könnten. „Das passiert ja regelmäßig, und das ist dann Aufgabe | |
| des Betreibers.“ Zumal Greve nicht irgendwo im öffentlichen Straßenraum, | |
| sondern auf dem Gelände der S-Bahn in Not geraten sei. | |
| Was zumindest das Vorhandensein eines Fahrstuhls angeht, hatte Greve | |
| tatsächlich Pech: Der Bahnhof Yorckstraße für die Linien 2, 25 und 26 | |
| gehört zu den 5 letzten von 168 S-Bahnhöfen, die noch nicht barrierefrei | |
| erreichbar sind – neben Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, Nöldnerplatz, | |
| Marienfelde und Hirschgarten. Für die Yorckstraße gibt es laut S-Bahn auch | |
| noch gar keinen Zeitplan, da bei der Planung auch der Ausbau der S21 und | |
| der Stammbahn nach Potsdam berücksichtigt werden müsse. | |
| Update 25.06.: Die BVG teilt auf taz-Anfrage mit, ein Rollstuhlfahrer müsse | |
| in einem Fall wie diesem lediglich den „blauen Barrierefrei-Knopf“ auf der | |
| Notruf- und Informationssäule drücken, im Notfall auch den roten | |
| Notfallknopf. Welche Maßnahmen die „hilfsbereiten Kolleg*innen“ dann | |
| einleiten würden, bleibt allerdings unklar. Bei der BVG sind aktuell 148 | |
| von 175 Bahnhöfen stufenlos erreichbar, die Umrüstung erfolge | |
| „kontinuierlich“, hieß es. | |
| Anmerkung der Redaktion: In einer vorigen Version dieses Textes haben wir | |
| das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) falsch benannt. Das ist | |
| korrigiert. | |
| 24 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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