# taz.de -- Soli-Abend im Hamburger Schauspielhaus: Große Bühne für die Anti… | |
> Das Schauspielhaus Hamburg hat seinen Saal Unterstützer*innen der | |
> verfolgten Antifaschist:innen im Budapest-Komplex zur Verfügung | |
> gestellt. | |
Bild: Hamburger Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen bei einer Demonst… | |
Am Ende des Liedes reißt es viele im Publikum am Donnerstagabend | |
vergangener Woche [1][im Hamburger Schauspielhaus] aus den samtgepolsterten | |
Sitzen. In jeder Reihe sind einige aufgestanden und klatschen, ein | |
grauhaariger Mann im Funktionshemd singt laut mit: „Die letzte Schlacht | |
gewinnen wir, wir, wir!“ Viele recken bei jedem „wir“ die Fäuste hoch zur | |
gold verzierten Saaldecke. Der Saal ist voll, Mittsechziger*innen in | |
Funktionshosen sitzen und stehen hier neben Teenagern mit blauen Haaren. | |
Auf der Bühne covern der Liedermacher Jan Plewka und das [2][Punk-Urgestein | |
Diggen], ehemals Sänger von Slime, [3][den Ton-Steine-Scherben-Knaller von | |
1972]. Am Piano sitzt Ex-Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel. Als der | |
letzte Akkord verklingt, ruft jemand von ganz hinten: „Free Maja, free, | |
free Maja“ und aus verschiedenen Ecken des Saals stimmen Leute mit ein. | |
Es ist ein ganz schön optimistisches Ende für die zwei Stunden, die hinter | |
dem Publikum liegen. Unter der Überschrift „Gestörtes Vertrauen“ ging es … | |
nicht weniger als die Frage, wie es um den deutschen Rechtsstaat steht. | |
„Wir möchten informieren und ich hoffe, dass sie rausgehen und danach ein | |
wenig schlauer sind als davor, ein wenig häufiger aufstehen und sagen: Das | |
darf nicht sein“, hatte [4][Moderator Michel Abdollahi] am Beginn des | |
Abends gesagt. | |
Genau zwei Wochen zuvor war Maja T. in Ungarn wegen menschenunwürdiger | |
Haftbedingungen [5][in den Hungerstreik getreten]. Zum Diskussionsabend mit | |
Musikeinlagen hatte deshalb die [6][Hamburger Gruppe „Family & Friends“] | |
geladen. In ihr sind Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen | |
der Beschuldigten im „Budapest-Komplex“ organisiert, denen teils schwere | |
Angriffe auf Neonazis vorgeworfen werden. | |
## Rechtsstaat und Unrechtsstaat | |
Am Anfang des Abends steht Birgit W., die Mutter der Hamburgerin Clara W., | |
allein auf der Bühne im Scheinwerferlicht. Clara W. soll wie Maja T. und 16 | |
weitere Beschuldigte aus Deutschland, Frankreich und Italien an den | |
Angriffen beteiligt gewesen sein. | |
„Wie kann es sein, dass ein Staat wie Deutschland, der sich Rechtsstaat | |
nennt, einen Unrechtsstaat wie Ungarn dafür nutzt, Antifaschist*innen | |
für Jahrzehnte wegsperren zu lassen?“, fragt Birgit W. in den dunklen Saal. | |
Sie verliest eine Erklärung von Family & Friends. „Wir stehen mit dem | |
Rücken zur Wand. Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist nicht nur bei uns | |
nachhaltig gestört. Aber aufgeben ist keine Option“, sagt sie später zur | |
taz. | |
Ihrer Tochter und den anderen Beschuldigten in Deutschland [7][droht weiter | |
die Auslieferung nach Ungarn]. Maja T., die dort derzeit vor Gericht steht, | |
drohen 24 Jahre Haft. Die nichtbinäre Person war im Juni 2024 in einer | |
Schnellschussaktion der sächsischen Polizei ausgeliefert worden, ohne – und | |
das ist der Knackpunkt, um den es an diesem Abend geht – auf eine | |
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu warten, das wenige Stunden | |
später entschied, dass die Auslieferung rechtswidrig war. | |
Anna Busl, Anwältin des [8][Beschuldigten Zaid N. aus Nürnberg], fragt auf | |
der Bühne, wie sie ihrem Mandanten garantieren soll, dass er gegen eine | |
Auslieferung juristisch vorgehen kann, wenn der Fall Maja T. gezeigt habe, | |
dass die Exekutive Gerichte ignoriert und es „einfach macht?“ Zaid N. | |
besitzt keine deutsche Staatsbürgerschaft und ist deswegen am stärksten von | |
einer Auslieferung bedroht. | |
Im Publikum sind besorgte Gesichter zu sehen, überall Kopfschütteln. Neben | |
Busl sitzt Cuno Tarfusser, Mailänder Staatsanwalt und ehemaliger | |
Vizepräsident des Internationalen Strafgerichtshofs. Er hat den | |
europäischen Haftbefehl des ebenfalls im Budapest-Komplex beschuldigten | |
Gabriele M. aus Italien bearbeitet. Ihm sei gleich klar gewesen, dass | |
widersprochen werden müsse, sagt er. „Ein Fall Maja T. wäre in Italien | |
nicht möglich gewesen.“ Tarfusser hat das Vorgehen Deutschlands schon öfter | |
scharf kritisiert. | |
Anders als Deutschland hatte ein italienisches Gericht die Auslieferung | |
Gabriele M.s nach Ungarn mit Verweis auf die Haftbedingungen abgelehnt. | |
Auch [9][Frankreich hat die Auslieferung von Rexhino A. ausgesetzt]. Warum | |
das in Deutschland anders lief? | |
„Frankreich und Italien haben ihren Kopf eingeschaltet“, sagt Tarfusser. Er | |
plädiert dafür, Recht nicht nach „Schema F“ zu betreiben. Anna Busl nickt. | |
„Wir sind nicht der juristische [10][verlängerte Arm Orbans] in Europa“, | |
sagt sie. Das Publikum applaudiert. Busl und Tarfusser sind nicht die | |
einzigen Jurist*innen, die das Vorgehen im Fall Maja T. scharf kritisieren. | |
## Postkarten ans Auswärtige Amt | |
Immer wieder geht es am Abend auch um Innenminister Dobrindt, dem | |
vorgeworfen wird, absichtlich die Entscheidung eines Berliner Gerichts zu | |
ignorieren, indem er weiter an Grenzen zurückweisen will. Ihm empfiehlt | |
Katrin Höffler, Professorin an der HU Berlin, im zweiten Teil des Abends | |
eine Reise nach New York ins Headquarter der Vereinten Nationen. Da solle | |
er sich einmal die Menschenrechte anschauen. | |
Das Publikum applaudiert und pfeift nun. „Also diese Energie, die Sie | |
haben, die brauchen wir draußen jeden Tag“, sagt Moderator Abdollahi. Am | |
Ende verteilen die Angehörigen der Beschuldigten am Ausgang im Foyer | |
Postkarten an das Auswärtige Amt, das sich für Maja T.s Überstellung nach | |
Deutschland einsetzten soll. „Das Schauspielhaus war genau der richtige | |
Ort“, sagt Birgit W. von Family & Friends: „So konnten wir noch einmal mehr | |
Menschen als bisher erreichen.“ | |
24 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Theaterstueck-Ein-Sommer-in-Niendorf/!6083870 | |
[2] /Punk-und-Pauli-Aktivist-ueber-neue-Show/!5986533 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=pW5w6BF1OwU | |
[4] /Demokratie-Kunstwerk-beschaedigt/!5594922 | |
[5] /In-Budapest-inhaftierte-Linke/!6093797 | |
[6] https://www.instagram.com/familyfriendshamburg/ | |
[7] /Urteil-des-Bundesverfassungsgerichts/!6063981 | |
[8] /Angriffe-auf-Neonazis-in-Budapest/!6085567 | |
[9] /Budapest-Komplex/!6058952 | |
[10] /Queer-Feindlichkeit-in-Ungarn/!6091776 | |
## AUTOREN | |
Amira Klute | |
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