# taz.de -- Studie zur Klimakrise: Noch 3 Jahre, bis 1,5 Grad unvermeidlich sind | |
> Emittiert die Welt Treibhausgas weiter wie bisher, ist bald so viel CO2 | |
> in der Atmosphäre, dass das Pariser Klimaziel dauerhaft überschritten | |
> wird. | |
Bild: Die steigenden Temperaturen machen auch der Gewässerqualität zu schaffen | |
Berlin taz | Die Messreihe auf dem Mauna Loa begann 1958. Die Lage des | |
Laboratoriums auf dem 4.170 Meter hohen Vulkan auf Hawaii ist ideal für | |
atmosphärische Untersuchungen: Die nächsten Industrieschlote sind tausende | |
Kilometer weit weg. Damals maßen die Wissenschaftler 315 Teile Kohlendioxid | |
pro Million Teile Luft. 1970 waren es 324 „parts per million“, abgekürzt | |
ppm. Jahr für Jahr stieg die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre, | |
aktuell liegt sie bei 429,93 ppm. Im vergangenen Jahr war es 1,6 Grad zu | |
warm. | |
Ein neuer Bericht kommt nun zu dem Schluss, dass die Konzentration bereits | |
in drei Jahren so hoch sein wird, dass ein Anstieg der globalen | |
Lufttemperatur um 1,5 Grad durchschnittlich über das Niveau der | |
vorindustriellen Zeit wahrscheinlich nicht mehr zu vermeiden ist. Dann ist | |
die Menge an CO2 in der Atmosphäre erreicht, bis zu der die Wissenschaft | |
davon ausgeht, dass es zumindest noch eine Fifty-fifty-Chance gibt, dass | |
die Erderhitzung bei 1,5 Grad Halt macht. | |
Will man sich nicht auf die Münzwurfwahrscheinlichkeit verlassen und | |
immerhin eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit haben, die 1,5-Grad-Marke | |
nicht dauerhaft zu knacken, ist die zulässige CO2-Menge noch geringer. | |
Emittiert die Welt im bisherigen Tempo weiter Treibhausgas, reicht das | |
Budget der neuen Untersuchung zufolge für weniger als zwei Jahre. | |
Der [1][Report „Indicators of Global Climate Change“] wurde von einem | |
internationalen Forscherteam erstellt und enthält eine Sammlung der | |
wichtigsten Daten und Kennzahlen zur globalen Erwärmung. „Wir orientieren | |
uns dabei so eng wie möglich an den Methoden des Sechsten | |
Sachstandsberichts (AR6) des IPCC“, schreiben die Autoren. | |
Ursprünglich hatten sich die Staaten der [2][Klimarahmenkonferenz 2015 mit | |
dem Paris-Protokol]l verpflichtet, Anstrengungen zu unternehmen, „den | |
Temperaturanstieg auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu | |
begrenzen“. Im Vertrag steht auch die Begründung für genau diese | |
Temperaturschwelle. Es wurde erkannt, heißt es im Artikel 2, „dass dies die | |
Risiken und Auswirkungen der Klimaänderungen erheblich verringern würde.“ | |
Diese gehen von sogenannten Kipppunkten aus: zentrale Teile des | |
Klimasystems, darunter etwa die Eisschilde von Grönland und der Antarktis, | |
die atlantische Ozeanzirkulation oder der Amazonas-Regenwald. | |
„Diese können höchst nicht-linear reagieren“, erklärt die Klimaforscherin | |
Ricarda Winkelmann. „Wenn diese Systeme sich erst einmal in einem | |
kritischen Zustand befinden, also nahe ihres Kipppunktes, reicht eine | |
kleine Störung, wie zum Beispiel eine kleine Änderung in der Temperatur, | |
aus, um weitreichende, teils unumkehrbare Folgen auszulösen“, so die | |
Professorin für Klimasystemanalyse an der Universität Potsdam. | |
## Das Eis schmilzt | |
Der grönländische Eispanzer – flächenmäßig viermal so groß wie die | |
Bundesrepublik – ist bis zu 3.300 Meter hoch. Taut das Eis, fällt seine | |
Oberkante nach unten in immer wärmere Schichten. Der Tauprozess läuft | |
bereits, in den vergangenen vier Jahrzehnten ging Eismasse auf einer Fläche | |
von mehr als [3][5.000 Quadratkilometern] verloren. Das ist doppelt so | |
viel, wie das Saarland groß ist. | |
Taut der grönländische Eisschild komplett ab, steigt der Meeresspiegel um | |
sieben Meter. Das hätte schwere Folgen für viele Orte weltweit, auch in | |
Deutschland. Emden zum Beispiel liegt einen Meter hoch. | |
Die Erde erwärmt sich nicht gleichmäßig, an den Polen verläuft der | |
Temperaturanstieg deutlich schneller als am Äquator, „die Arktis erwärmt | |
sich viermal schneller als der Rest des Planeten“, sagt Julienne Stroeve, | |
Professorin am National Snow and Ice Data Center in den USA. In diesem | |
Februar lag die Temperatur am Nordpol mitten im arktischen Winter über dem | |
Gefrierpunkt. | |
Das hat auch Auswirkungen auf unser Alltagsleben, wie eine [4][weitere | |
soeben erschienene Studie] zeigt: Unsichtbare Staus am Himmel sind in den | |
letzten Jahren dreimal häufiger geworden. Es geht um Starkwinde in der | |
Stratosphäre, den „Jetstream“ beispielsweise, der wegen der Erdrotation von | |
West nach Ost mit Geschwindigkeiten von teils mehr als 500 | |
Stundenkilometern in ziemlich gleichmäßigen Wellen um den Globus mäandert. | |
Angetrieben wird er von den Temperatur- und Druckunterschieden zwischen | |
Tropen und Polen, seine Wellenbewegung bringt nach einem Tiefdruckgebiet | |
ein Hoch und dann wieder ein Tief und so weiter. | |
## Jetstream verliert an Kraft | |
Wenn die Temperatur an den Polen aber immer wärmer wird, verliert der | |
Jetstream seine Kraft. Wetterextreme sind die Folge, der Extremsommer 2018, | |
die extreme Hitze in Deutschland im Juli 2019 mit Temperaturen von über 40 | |
Grad, das Ahrtalhochwasser 2021, aber auch der ungewöhnlich kalte Winter | |
2009/10. | |
Ein Team um Xueke Li und den renommierten Klimaforscher Michael Mann von | |
der University of Pennsylvania haben nun globale Wetterdaten aus der Zeit | |
von 1950 bis heute mithilfe neuer Analysemethoden ausgewertet. Zusätzlich | |
untersuchten sie, wie oft die atmosphärischen Winde blockiert wurden. | |
Ergebnis: Extremwetter haben sich in den letzten 70 Jahren von | |
durchschnittlich einmal pro Jahr auf dreimal erhöht. | |
Aktuell tagt die Klimadiplomatie in Bonn, um den Fahrplan für ihre | |
Verhandlungen in diesem Jahr festzulegen. Beobachter sprechen von zähen | |
Gesprächen. Durchschnittlich messen sie auf dem Mauna Loa, dass pro Jahr 2 | |
ppm Treibhausgase hinzukommen: Erreicht die Konzentration 450 ppm, wird | |
auch das 2-Grad-Ziel gerissen. Schreibt sich die aktuelle Entwicklung so | |
fort, wäre das 2035. | |
(Transparenzhinweis: In einer früheren Version hieß es versehentlich, die | |
Messungen auf dem Mauna Loa hätten 1958 15 Teile Kohlendioxid pro Million | |
Teile Luft ergeben.) | |
19 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://essd.copernicus.org/articles/17/2641/2025/ | |
[2] /Pariser-Abkommen/!t5301048 | |
[3] https://www.nature.com/articles/s41586-023-06863-2 | |
[4] https://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.2504482122 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Hitzesommer | |
CO2-Emissionen | |
GNS | |
Hitze | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Dürre | |
wochentaz | |
wochentaz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Extreme Temperaturen in Deutschland: Sport trotz Hitzewelle | |
Die Gefahr von Temperaturen weit über 30 Grad werden immer noch | |
unterschätzt, warnen Experten. In Sportvereinen beginnt gerade ein | |
Umdenken. | |
Extremtemperaturen in Europa: Deutschland hinkt nur hinterher | |
In Südeuropa gelten Hitzewarnungen teils bereits flächendeckend, Wälder | |
brennen. Hierzulande kratzt vermutlich der Mittwoch an den 40 Grad. | |
Klimakiller Lebensmittelhändler: Supermarkt-Fleischfabriken stoßen so viel CO… | |
Die Fleischwerke von Edeka, Kaufland und Rewe stoßen so viel CO₂ aus wie | |
die Millionenstadt. Konzerne benötigen eine Klimastrategie, fordert | |
Greenpeace. | |
Klimawandel: Deutschland war im Frühjahr trocken wie Staub | |
Die Dürremonitore schlagen Alarm: Noch nie hat es im Frühjahr so wenig | |
geregnet wie in diesem Jahr. Dabei gibt es für Dürre unterschiedliche | |
Definitionen. | |
Kaffee, Orangensaft, Olivenöl: Klima lässt die Preise steigen | |
Dürre, Starkregen, Hurrikans – die Folgen des Klimawandels vernichten | |
Ernten weltweit. Die Qualität leidet, und die Preise für Verbraucher | |
steigen. | |
Umwelt- und Klimapolitik: Minister für Überforderung | |
Carsten Schneider ist der neue Bundesumwelt- und Klimaminister. Für viele | |
Klimaschutz-Maßnahmen sind allerdings andere im Kabinett zuständig. |