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# taz.de -- Ausstellung über Filmkünstler Grimonprez: Fetzen des Medienkonsum…
> Filme des Belgiers Johan Grimonprez oszillieren zwischen freier Kunst,
> politischem Essay und großem Kino. Das ZKM Karlsruhe zeigt das barocke
> Werk.
Bild: Sieht irgendwie schön aus, so kurz vorm Fall: Videostandbild aus „…�…
Johan Grimonprez hält mit seinen politischen Überzeugungen nicht hinterm
Berg. „Geschichte ist, wie Foucault sagte, eine Lüge, auf die wir uns
verständigt haben. Es geht darum, Geschichte neu zu schreiben, die
Vergangenheit zu überschreiben, um sie für die Gegenwart relevant zu
machen.“ Das klingt nach einem guten Plan, den schon andere verfolgt haben.
Die Frage ist, wie der Künstler das macht und damit sogar die Kinoleinwand
erobert hat.
Er sammelt Fetzen des kollektiven Medienkonsums und macht daraus Filme,
deren Schönheit atemberaubend ist. Er weiß um die Faszination bewegter
Bilder und wie wichtig der Sound ist. Für ihn ist Filmkunst weder
Traumfabrik noch Selbstzweck. Seine Bild- und Soundcollagen dienen der
Suche nach einer Wahrheit, die komplexer ist als das, was die Medien
bieten. Wie das funktionieren kann, zeigt das Karlsruher Zentrum für Kunst
und Medien (ZKM) in der Retrospektive „Johan Grimonprez. All Memory is
Theft“.
Das Highlight der Schau ist sein preisgekrönter Film [1][„Soundtrack to a
Coup d’État“] von 2024, der Anfang des Jahres in der Kategorie bester
Dokumentarfilm für einen Oscar nominiert wurde. Er erzählt von der
Ermordung des ersten Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo Patrice
Lumumba 1961. Damals sandte die US-Regierung Louis Armstrong auf
Konzerttournee in das zentralafrikanische Land. Der Jazz als Botschafter
der freien Welt? Eine zynische Idee. Die US-Führung sorgte sich nach der
Unabhängigkeit des afrikanischen Landes von Belgien vielmehr um seinen
Zugang zu Bodenschätzen.
## Archivbilder nahtlos aneinandergefügt
Obwohl Grimonprez Archivbilder verschiedener Genres nahtlos
aneinandergefügt, bleibt eine lineare Erzählung aus. Diese Leerstelle
scheint das Publikum nicht zu stören. In New York laufe der Film bereits
seit acht Wochen in den Kinos, sagt der Autor. Sicher, die Sprache des
Films sei sehr experimentell. Aber dennoch würden sich die Leute den Film
anschauen. Im ZKM läuft er in ganzer Länge. Nebenan ist das zugehörige
„Storyboard“ angepinnt: eine wilde Collage aus Texten und Abbildungen auf
DIN-A4-Blättern, bearbeitet mit Markern und anderen Stiften.
Grimonprez studierte in Gent und New York Sozialanthropologie, Philosophie
und Kunst. Das Werk des 1962 in Belgien geborenen Künstlers vibriert vor
Querverweisen auf Literatur, Film- und Mediengeschichte. Er interviewt
Wissenschaftler und kommentiert wie in dem Kurzfilm „every day words
disappear – Michael Hardt on the politics of love“ das Gespräch mit
Kinobildern; in diesem Fall mit Szenen aus [2][Jean-Luc Godards
Science-Fiction] „Alphaville“ von 1965. Dort sind alle Wörter, die Gefühle
ausdrücken, bei Todesstrafe verboten. Über die Einhaltung des Gesetzes
wacht ein Supercomputer, der erfreulicherweise am Ende durch die Macht der
Poesie zur Strecke gebracht wird.
Gleich zu Beginn der Ausstellung konfrontiert der Meister der surrealen
Verschiebung das Publikum mit Videoclips, die noch nicht zu einem Film
verdichtet sind. Sie laufen auf historischen Geräten aus den 1960er und
1970er Jahren aus der ZKM-Sammlung antiquierter Medien. Es handelt sich um
Material aus seinem „Vlog“, seinem Videoblog. „Das sind kurze Schnipsel,
die ich gefunden habe, in der Werbung etwa, die ich sammle, um einen Film
daraus zu machen. Es kann jegliches Quellenmaterial sein, Heimvideos,
Werbung, politische Sachen.“
## Flugzeugentführungen der 1960er und 1970er
Diese disparate Sammlung verarbeitet Grimonprez zu abendfüllenden Filmen.
Der internationale Durchbruch gelang ihm mit seinem Film-Essay „Dial
H-I-S-T-O-R-Y“, den er 1997 auf der Documenta 10 in Kassel zeigte. Er
handelt von Flugzeugentführungen der 1960er und 1970er Jahre. Der Film
erzeugt eine ambivalente Wirkung. Die Bilder der Medien schüren zugleich
Angst vor terroristischen Angriffen und präsentieren die Entführer als
Freiheitskämpfer. Eine sich scheinbar widersprechende Sichtweise, die uns
heute unter anderem Vorzeichen in der Berichterstattung über den Krieg in
Gaza wieder begegnet. Grimonprez zieht dann eine ganz andere, überraschende
Ebene ein: „Wenn Leila Khaled ein Flugzeug entführt, als sie ihre Freunde
in Haifa hat sterben sehen, ihr Zuhause verloren hat und in den Libanon
fliehen musste, sehen wir ein Moment des Übergangs. Sie entführt ein
Flugzeug und erklärt es zum unabhängigen Staat Palästina. Das Flugzeug wird
zu einer Zone der Transition.“
Für Kurator Philipp Ziegler gehört „Dial H-I-S-T-O-R-Y“ zu den
„markantesten Videoarbeiten des 20. Jahrhunderts“. Es habe nahegelegen, mit
Grimonprez am ZKM zu arbeiten. Der ehemalige Direktor Peter Weibel habe das
schon vorgehabt. „Das breite Denken, die literarischen Bezüge, das
enzyklopädische Montieren von Literatur, Philosophie, Politik,
Wissenschaft, Filmgeschichte, von Technik und Apparaten, das liegt sehr nah
an den Denkprozessen von Peter Weibel.“
Die Schau in Karlsruhe ist eine Art multimediale Einführung in Grimonprezs
Arbeit, die auf intellektueller Analyse und einem sechsten Sinn für
produktive Bildkollisionen beruht. Seine Motive wie das vom Himmel
herabstürzende Haus fesseln den Blick. Dabei handelt es sich nur um einen
burlesquen Stummfilm aus den 1920ern. Das Motiv des Absturzes stünde für
die Angst vor Kontrollverlust, heißt es in einem Wandtexte. Wenn das so
ist, würde sich erklären, warum in der Schau alte TV-Fernbedienungen wie
Kostbarkeiten auf Sockeln präsentiert werden. Mit der Lizenz zum Zappen
ließ sich der Kalte Krieg, Aufrüstung durch Abschreckung, vom Fernsehsessel
aus ganz gut aushalten.
Ist das heute so viel anders? Die Frage steht im Raum und sorgt für
Unbehagen. Grimonprez ruft mit jedem Zitat, ob es nun von Don DeLillo,
Octavio Paz, Jean-Luc Godard, Alfred Hitchcock oder [3][René Magritte]
stammt, das Publikum zu einer eigenen Sicht der Dinge auf, selbst wenn es
um scheinbar banale Dinge geht. Etwa sich das Küssen auf der Straße nicht
verbieten zu lassen, wie es die Stadt Sorocaba vorgemacht hat. Die
brasilianische Militärregierung soll in den 1980er Jahren ein Kussverbot im
öffentlichen Raum erlassen haben. In „kiss-o-drome“ verknüpft Grimonprez
die Geschichte mit schwindelerregenden Aufnahmen eines Paartanzes auf
Rollschuhen.
11 Jun 2025
## LINKS
[1] /Essayfilm-von-Johan-Grimonprez/!6063762
[2] /Nachruf-auf-Filmemacher-Jean-Luc-Godard/!5881355
[3] /Surrealismus-in-Belgien/!6046982
## AUTOREN
Carmela Thiele
## TAGS
Ausstellung
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Essay
Michel Foucault
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Kongo
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Feminismus
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