| # taz.de -- Autor und Agent Forsyth ist tot: Vom Spionieren zum Fabulieren | |
| > Auslandskorrespondent, Autor, Agent: Der britische Bestsellerautor | |
| > Frederick Forsyth (1938–2025) war alles zugleich. Nachruf auf einen | |
| > Vielschreiber. | |
| Bild: Auch in Schottland ein Star: Frederick Forsyth beim Literaturfestival Edi… | |
| Frederick Forsyth gehört zum britischen Inventar der 1970er und 1980er | |
| Jahre, seine Bestseller haben ganzen Generationen in Großbritannien den | |
| Blick auf die aufregende Welt eröffnet. Am Pfingstmontag ist der Erfinder | |
| des modernen britischen Thrillers im Alter von 86 Jahren gestorben. Sein | |
| Erbe wirkt merkwürdig aktuell in einer Zeit, deren Skrupellosigkeit in | |
| vielfacher Hinsicht die Romanvorlagen übertrifft. | |
| Literarisch beheimatet irgendwo zwischen John Le Carré, Chronist des ewig | |
| zweifelnden Geheimagenten, und Ian Fleming, Erfinder des ewig siegreichen | |
| Spions James Bond, hat Frederick Forsyth den politischen Thriller neu | |
| erfunden, als Überhöhung der Realität. | |
| Sein größter Erfolg, „The Day of the Jackal“, inszeniert ein Mordkomplott | |
| der französischen OAS-Rechten gegen Charles de Gaulle. Auf dem Höhepunkt | |
| des Algerienkrieges sollte jene Terrorkampagne die Kolonialherrschaft | |
| bewahren. Das Mordkomplott gab es wirklich, der dafür angeheuerte | |
| „Schakal“, von dessen Schicksal der Roman handelt, ist Fiktion, aber die | |
| Art von Fiktion, bei der die Grenze zur Wirklichkeit unsichtbar bleibt. | |
| ## Realistische Vorlage | |
| Forsyth konzipierte die Geschichte 1962 als junger Reuters-Korrespondent in | |
| Paris just zur Zeit der algerischen Unabhängigkeit und schrieb sie 1970 | |
| angeblich in nur 35 Tagen auf; der Roman wurde von mehreren Verlagen | |
| abgelehnt, bis er dann doch ersch[1][ien und zum Welterfolg wurde. In | |
| weiteren Bestsellern wie „The Odessa File“ über geheime deutsche | |
| Altnazi-Netzwerke] oder „The Dogs of War“ über weiße Söldner in Afrika h… | |
| Forsyth die Grenze zwischen Fiktion und Fakten immer wieder aufgehoben. | |
| Für den „Schakal“ nutzte Forsyth seine Vertrautheit mit de Gaulles realen | |
| Leibwächtern, für das SS-Netzwerk seine Erlebnisse als Korrespondent in | |
| Ostberlin. Die Romane waren so überzeugend, dass sie selbst Wirklichkeit | |
| geschaffen haben. Der französische Söldnerführer Bob Denard soll sich als | |
| Putschist auf den Komoren ebenso an „The Dogs of War“ orientiert haben wie | |
| der britische Söldnerführer Simon Mann später in Äquatorialguinea. | |
| Für den 1938 in einfachen Verhältnissen geborenen Forsyth war Schreiben | |
| Handwerk, nicht Kunst. Seine Sprache ist verständlich, präzise und direkt, | |
| so wie man es als Journalist lernt. Er begann seine Karriere ganz klassisch | |
| als Lokalreporter im ostenglischen King’s Lynn. Bevor er einen Roman in | |
| Angriff nahm, recherchierte er monatelang am liebsten vor Ort; noch im | |
| hohen Alter zog es ihn nach Somalia für seinen Islamismus-Thriller „The | |
| Kill List“. | |
| ## Schlüsselerlebenis Biafra-Krieg | |
| [2][Forsyths Schlüsselerlebnis war der Biafra-Krieg in Nigeria ab 1967, | |
| dessen Militärregime mit Unterstützung der ehemaligen Kolonialmacht | |
| Großbritannien und auch der Sowjetunion den Sezessionsstaat „Biafra“ des | |
| Igbo-Volkes brutal zerschlug, um den Preis einer Hungersnot mit über einer | |
| Million Toten]. Forsyth schrieb darüber 1969 sein Buchdebüt „The Biafra | |
| Story“: kein Roman, sondern eine Anklageschrift, in der er zum Schluss kam, | |
| in Biafra finde ein Genozid statt und die damalige britische | |
| Labour-Regierung leiste hierfür Beihilfe. [3][Das verhallte ungehört, | |
| seinen Job war er los, aus der Not wuchs dann „The Day of the Jackal“.] Es | |
| war der Sprung zum Erfolg. | |
| Dass es neben der ersten Karriere als Journalist und der zweiten als | |
| Schriftsteller noch eine dritte als Geheimdienstler gab, enthüllte Forsyth | |
| erst viel später, aber eigentlich ahnte es die Öffentlichkeit ohnehin. | |
| [4][In einem gewissen englischen Milieu ist die Grenze zwischen | |
| Journalismus, Schriftstellerei und Agententätigkeit ebenso fließend wie die | |
| zwischen Fiktion und Wirklichkeit in den Thrillern dazu.] Dieses Milieu | |
| gehört heute der Vergangenheit an. Zuletzt präsentierte sich Forsyth mit | |
| Vorliebe als alter weißer Mann, dessen Schreibtätigkeit sich auf | |
| Leserbriefe an den konservativen Daily Telegraph beschränkt. | |
| Wobei echte Geheimdienstler ja nie verraten, dass sie Geheimdienstler | |
| gewesen sind; es ist strafbar. Was also genau ist real an Forsyths Leben? | |
| Vieles nimmt er mit ins Grab. Er bleibt in Erinnerung als Zeichner des | |
| Welthorizonts des verblassenden Empire – und als Meister der britischen | |
| Selbstironie. | |
| Bei seiner sensiblen Materie habe er natürlich immer auch verdeckt | |
| recherchieren müssen, erklärte er in einem seiner letzten Interviews. Wie | |
| recherchiert man denn verdeckt als bekannter Schriftsteller, fragte der | |
| Interviewer. „Ich sage, ich bin ein bekannter Schriftsteller und | |
| recherchiere für mein nächstes Buch“, antwortete Forsyth lakonisch. | |
| „Komischerweise können die Leute dann nicht den Mund halten.“ | |
| 10 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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