| # taz.de -- Karneval der Kulturen in Berlin: Mehr als nur Folklore | |
| > Hunderttausende haben am Wochenende beim Karneval der Kulturen in Berlin | |
| > gefeiert. Die Veranstalter betonten den politischen Charakter des | |
| > Großevents. | |
| Bild: Ganz schön bunt hier: Gruppe beim Karneval der Kulturen 2025 | |
| Berlin taz | Für diejenigen, die beim großen Umzug des [1][Karnevals der | |
| Kulturen] in ihren bunten Kostümen durch die Straßen tanzten, begann das | |
| Spektakel nicht erst beim offiziellen Startschuss, sondern bereits Stunden | |
| vorher. Am Pfingstsonntag zogen die 68 Musik- und Tanzgruppen erst gegen | |
| 14.30 Uhr los, aber bereits zur frühen Mittagszeit warfen sich die | |
| Teilnehmenden auf der Frankfurter Allee in Friedrichshain in Schale und | |
| besprachen noch einmal die letzten Details ihrer Choreografien. | |
| Ein paar Frauen der Gruppe Bolivien Folk beispielsweise war die Vorfreude | |
| deutlich anzumerken. Aus Städten wie Hamburg oder Düsseldorf seien manche | |
| von ihnen extra angereist, einige bereits zum x-ten Mal. Der Aufwand sei | |
| groß, aber es sei für sie auch eine große Sache, hier vor so vielen | |
| Menschen Aspekte der traditionellen bolivianischen Kultur vorführen zu | |
| dürfen. Morenada heißt ihr Tanz. Zwei Männer in klobigen Kostümen, die zehn | |
| Kilo wiegen, wie sie meinten, erklärten dessen postkoloniale Tradition: | |
| Nichts weniger als den Kampf verschleppter Sklaven gegen ihre Ausbeuter | |
| stelle die Morenada dar. | |
| Auch [2][der 27. Karneval der Kulturen in Berlin], zu dem in diesem Jahr | |
| nach Angaben der Veranstalter rund 750.000 Besucher und Besucherinnen | |
| kamen, war also mehr als ein folkloristisches Schaulaufen von migrantisch | |
| geprägten Vereinen. Er war eine Veranstaltung voller politischer | |
| Implikationen. Gegen Ausbeutung und Unterdrückung zog Bolivien Folk über | |
| die Frankfurter und die Karl-Marx-Allee – auch wenn man auf den ersten | |
| Blick vielleicht meinen konnte, es handle sich dabei vor allem um eine | |
| besonders fantastisch ausgelebte Freude am Ausdruckstanz. | |
| Die Botschaft der Tänzerinnen des Vereins Kul'tura, einer ukrainischen | |
| Gruppierung in traditionellen Kostümen, ergab sich dagegen von ganz allein: | |
| Auch wenn Russlands Machthaber Wladimir Putin die ukrainische Kultur | |
| vernichten will, bleibt sie dennoch lebendig und präsent. | |
| ## Menschgewordenes Monopoly | |
| Bei der Gruppe „100 % Tempelhofer Feld“ war von Folklore gar nichts zu | |
| sehen – ihr ging es ganz klar nur um Politik. Und natürlich um Originalität | |
| bei der eigenen Inszenierung. Als menschgewordenes Monopoly-Spiel zogen die | |
| Mitglieder dieser Initiative durch Friedrichshain. Ein Mann auf Stelzen, | |
| mit Geldscheinen im Hosenbund, verkörperte das böse Kapital. Andere waren | |
| verkleidet als Spielsteine, als Häuser und Hotels. | |
| Zuschauern und Zuschauerinnen, die trotzdem noch daran zweifelten, einer | |
| durchaus politischen Parade beizuwohnen, wurden mit Durchsagen an den | |
| historischen Ursprung des Fests erinnert. „Tanzen gegen Rassismus“, | |
| schallte es am Sonntag entlang des Umzugs aus Lautsprechern. | |
| Tatsächlich war der Karneval der Kulturen Mitte der Neunziger explizit als | |
| ein großes Fest gegen Rassismus gegründet worden, hatte sich | |
| zwischenzeitlich aber anhören müssen, vor allem dem Stadtmarketing Berlins | |
| als weltoffener Metropole zu dienen. | |
| ## Bemühungen um eine Repolitisierung | |
| Die Veranstalter und die Bezirksbürgermeisterin von | |
| Friedrichshain-Kreuzberg, [3][Clara Herrmann (Grüne)], waren in diesem Jahr | |
| deutlich vernehmbar um eine Repolitisierung bemüht. Und auch während der | |
| diesjährigen Ausgabe war Herrmann, Schirmherrin des Karnevals, schon | |
| Stunden vor dem eigentlichen Event in Friedrichshain unterwegs und erklärte | |
| Presseleuten, dass es jetzt erst recht darum gehe, Vielfalt zu zeigen, in | |
| Zeiten, „in denen [4][immer mehr Nazis in den Parlamenten] sitzen.“ | |
| Für etwas Aufregung sorgte der diesjährige Umzug aber auch, weil er | |
| erstmals in seiner Geschichte nicht im Ortsteil Kreuzberg stattfand, | |
| sondern durchs benachbarte Friedrichshain lief. Entlang der angestammten | |
| Strecke auf der Gneisenaustraße finden derzeit Bauarbeiten statt, deswegen | |
| die Verlegung. | |
| Die sogenannten Stalinbauten an der Route auf der Karl-Marx-Allee stehen | |
| jedoch unter Denkmalschutz. Vor dieser Kulisse sollten besser nicht | |
| hunderttausende Partyhungrige mit Caipirinha-Schwips umherziehen, befanden | |
| Kritiker. Aber wenn nicht immer irgendjemand bei einer Neuerung etwas zu | |
| meckern hätte in Berlin, wäre es ja auch langweilig. | |
| So weit sich das auf den ersten Blick beurteilen lässt, stehen die | |
| Stalinbauten jedenfalls auch nach dem Ende des Karnevals der Kulturen noch. | |
| Und Bürgermeisterin Clara Herrmann hat bereits verlauten lassen, dass sie | |
| sich durchaus vorstellen könne, auch den nächsten Umzug wieder durch | |
| Friedrichshain laufen zu lassen. | |
| 9 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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